Freitag, 18. Mai 2012

1901-1908 Verne, Jules Der Pilot von der Donau

Verne, Jules, Romane, Der Pilot von der Donau - Zeno.org
Text-Ausgabe des Buchs mit gescannten Bildern

Kapitel 5 und 6 spielen in Regensburg

Auszug aus Kapitel 5:

Im Bewußtsein, an der Bewunderung der Leute keinen Anteil zu hab en, hatte der sich bescheiden unter das Kojendach zurückgezogen, wo Ilia Brusch ihn aufsuchte, sobald er seiner enthusiastischen Bewunderer quitt geworden war. Es galt jetzt keine Zeit zu verlieren, um zu schlafen, da die Nachtruhe nur kurz sein sollte. Da Ilia Brusch daran gelegen war, in dem volle sechzig Kilometer entfernten Regensburg beizeiten einzutreffen, hatte er sich vorgenommen, in sehr früher Morgenstunde weiterzufahren, weil er dann trotz der langen Strecke noch Zeit gewann, auch morgen zu fischen.
Gegen dreißig Pfund Fische hatte Ilia Brusch denn auch schon am Vormittag erbeutet, und die Neugierigen, die sich auf dem Kai in Regensburg drängten, hatten es nicht zu bereuen, sich seinetwegen hierherbegeben zu haben. Der Enthusiasmus der Menge nahm sichtlich zu. Die Liebhaber überboten einander, und die dreißig Pfund Fische brachten dem Preisträger des Donaubundes nicht weniger als einundvierzig Gulden ein.

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Dieser selbst hätte sich einen solchen Erfolg niemals träumen lassen und er kam schon auf den Gedanken, daß Jäger schließlich ein vorzügliches Geschäft machen werde. Jetzt fühlte er sich natürlich verpflichtet, die einundvierzig Gulden ihrem rechtmäßigen Eigentümer zu überliefern, sah sich augenblicklich dazu aber außerstande. Jäger hatte sich unbemerkt von der Jolle entfernt und an seinen Begleiter nur die kurze Mitteilung hinterlassen, daß dieser mit dem Abendessen nicht auf ihn warten möge, da er erst spät am Abend zurückkehren würde.
Ilia Brusch fand es ganz natürlich, daß Jäger die Gelegenheit benützen wollte, eine Stadt zu besuchen, die einst fünfzig Jahre lang kaiserliche Residenz gewesen war. Vielleicht wäre er darüber weniger zufrieden als erstaunt gewesen, wenn er gewußt hätte, was sein Passagier hier vorhatte, und wenn ihm dessen Person richtig bekannt gewesen wäre.
[67] »Herr Jäger, Wien, Leipziger Straße 43« hatte Ilia Brusch gelehrig nach dem Diktat des neuen Ankömmlings geschrieben. Der wäre aber in arge Verlegenheit gekommen, wenn der Fischer neugieriger gewesen wäre und vielleicht, indem er selbst eine Befragung vornahm, deren Unannehmlichkeit er am eigenen Leibe gespürt hatte, von Jäger verlangt hätte, ihm seine Papiere vorzuzeigen.
Ilia Brusch vernachlässigte diese Vorsicht, deren Rechtmäßigkeit ihm ja deutlich demonstriert worden war, und diese Vernachlässigung sollte für ihn die schlimmsten Folgen haben.
Welchen Namen der Gendarm auf dem ihm von Jäger vorgewiesenen Passe gelesen hatte, wußte niemand; wenn das aber der des wirklichen Eigentümers gewesen war, konnte es nur der Name Karl Dragoch sein.
Der leidenschaftliche Angelfreund und der Chef der neuen Donaupolizei waren tatsächlich ein und dieselbe Person. Entschlossen, in Ilia Bruschs Boot um jeden Preis Aufnahme zu finden, hatte Karl Dragoch, in Voraussicht der Möglichkeit eines kaum zu überwindenden Widerstandes, seine Maßregeln danach getroffen. Das Eingreifen des Gendarmen war eine abgekartete Sache und der Auftritt ebenso wie einer auf der Bühne vorbereitet gewesen.
Der Erfolg zeigte, daß Karl Dragoch richtig gerechnet hatte, denn Ilia Brusch betrachtete es jetzt, gegenüber ähnlichen, ihm vielleicht drohenden Gefahren, für ein Glück, einen Beschützer zu haben, an dessen mächtigem Einflusse er nicht zweifeln konnte.
Dieser Erfolg war sogar so groß gewesen, daß Dragoch sich darüber wunderte. Warum hatte sich Ilia Brusch dem Auftreten des Gendarmen gegenüber so auffallend ängstlich gezeigt? Warum hatte er eine solche Furcht, nochmals einem Abenteuer dieser Art zu begegnen, daß er dieser Furcht sogar die – übrigens auch etwas übertriebene – Vorliebe für das Alleinsein opferte? Ein ehrlicher Mann hat doch – zum Kuckuck! – das Erscheinen vor einem Polizeikommissar nicht zu fürchten. Die schlimmste Folge davon konnte doch nur eine Verzögerung von einigen Stunden, höchstens einigen Tagen sein, und wenn man keine besondre Eile hat... Doch, Ilia Brusch schien es ja sehr eilig zu haben, und das gab wiederum zu denken.
[68] Von Natur mißtrauisch, wie jeder gute Polizist, dachte Karl Dragoch darüber nach. Er hatte aber zuviel gefunden Menschenverstand, sich durch flüchtige Einzelheiten irreführen zu lassen, die später vielleicht eine ganz einfache Erklärung fanden. Er prägte seinem Gedächtnis also nur kleine Beobachtungen ein und verwendete seine geistigen Anlagen auf die Lösung des ihm am Herzen liegenden Problems, das ja wichtiger war, als jener unbedeutende Zwischenfall.
Der Plan, den Karl Dragoch verfolgte, als er sich Ilia Brusch als Passagier aufdrängte, war keineswegs in seinem Gehirn entsprungen. Dessen wahrhafter Urheber war vielmehr Michael Michaelowitsch gewesen, der davon freilich nichts ahnte. Als der lustige Serbe scherzweise geäußert hatte, der Preisträger des Donaubundes könnte ja – je nach Belieben – entweder der verfolgte Verbrecher oder der verfolgende Polizist sein, da hatte Dragoch diesen leicht hingeworfenen Worten eine ernste Aufmerksamkeit geschenkt. Natürlich hatte er sie nicht wörtlich genommen. Er wußte ja recht gut, daß der Fischer und der Polizist nichts miteinander gemein hatten, und er betrachtete es deshalb als höchstwahrscheinlich, daß der Fischer auch nicht mehr Beziehung zu dem Verbrecher haben werde. Daraus aber, daß eine Tat nicht begangen worden ist, folgt ja nicht, daß dies nicht noch geschehen könnte, und Karl Dragoch dachte sogleich, daß der lustige Serbe damit recht haben könne, daß ein Detektiv, der die Donau zu überwachen wünschte, nichts besseres tun könnte, als sich als Fischer zu verkleiden, damit niemand in ihm seinen wahren Beruf vermutete.
So verlockend diese Kombination auch erschien, mußte er sie doch außer acht lassen. Der Wettstreit von Sigmaringen hatte stattgefunden, und Ilia Brusch, der Sieger im Turnier, hatte öffentlich seine Absicht angekündigt, und gewiß würde er nicht zu haben sein, dabei einen andern an seine Stelle treten zu lassen. Übrigens wäre das auch ein sehr gewagter Personenwechsel gewesen, da die Züge des Preisträgers viel zu vielen seiner Kollegen bekannt waren.
Wenn er sich aber nun sagen mußte, daß Ilia Brusch nicht zustimmen würde, die angekündigte Reise unter seinem Namen von einem andern unternehmen zu lassen, konnte er seinen Zweck doch vielleicht auf Umwegen erreichen. Bei der Unmöglichkeit, selbst als Ilia Brusch aufzutreten, konnte sich Karl Dragoch ja damit begnügen, diesen auf der Fahrt in seinem [69] Boote zu begleiten. Wer würde da auf den Begleiter eines Mannes achten, der fast berühmt geworden war und der folglich das öffentliche Interesse auf sich konzentrierte? Und selbst wenn einer einen flüchtigen Blick auf den unbekannten Begleiter warf, würde er doch niemals auf den Gedanken kommen, in diesem den Polizisten zu sehen, der hier im Schutze eines Inkognitos seinen Auftrag erledigte.
Nach langer Prüfung dieses Planes erschien er Karl Dragoch ganz vortrefflich, so daß er beschloß, ihn auszuführen. Der Leser weiß, wie ungemein geschickt er die erste Szene beim Zusammentreffen zu gestalten wußte, dieser wären, wenn nötig, aber auch noch andre ähnliche gefolgt. Wenn es nicht anders ging, wäre Ilia Brusch dem Polizeikommissar zugeführt, sogar unter irgendwelchem Vorwande in Hast genommen und auf hunderterlei Weise in Angst gesetzt worden. Karl Dragoch hätte jedenfalls ohne Gewissens bisse ganz nach Willkür gehandelt, bis der erschreckte Fischer in dem erst abgewiesenen Passagier nichts andres als seinen Retter aus der Not erblickt hätte.
Der Detektiv schätzte sich jetzt aber immerhin glücklich, ohne moralischen Zwang gesiegt zu haben und diese Komödie nur bis zum ersten Akte haben spielen zu brauchen.
Jetzt saß er an dem gewünschten Platze, überzeugt, daß sein Wirt, wenn er diesen Platz verlassen wollte, dem ebenso bestimmt, wie früher seiner Aufnahme in das Boot, widersprochen haben würde. Nun galt es, die günstige Lage auszunützen.
Dazu brauchte sich Karl Dragoch ja nur von der Strömung mit hinabtragen zu lassen. Während sein Begleiter angelte oder ruderte, konnte er den Strom im Auge behalten, wo seinem geübten Blicke nichts Auffallendes entgehen würde. Unterwegs aber konnte er sich mit seinen längs der Ufer verstreuten Untergebenen besprechen. Auf die erste Meldung einer Untat oder eines Verbrechens wollte er sich von Ilia Brusch trennen, um den Übeltätern nachzuspüren, und dasselbe beabsichtigte er auch, wenn ein verdächtiges Vorkommnis, ohne daß es noch zur Ausführung eines Verbrechens gekommen war, seine Aufmerksamkeit erweckte.
Alles das war klug und weise ausgedacht, und je mehr er sich's überlegte, desto mehr beglückwünschte sich Karl Dragoch wegen seiner Idee, die seine Aussichten auf Erfolg vervielfältigte, während sie sein Inkognito [70] auf der ganzen Donaustrecke sicherte. Bei diesem Gedankengange hatte Karl Dragoch aber leider den Zufall außer Rechnung gelassen. Es kam ihm gar nicht in den Sinn, daß eine Reihe seltsamer Ereignisse seine Nachforschungen nach einer ganz andern Richtung ablenken und seiner Aufgabe unerwartet weitere Grenzen stecken würde.






Sechstes Kapitel.

Die blauen Augen.



[70] Als Karl Dragoch die Jolle verlassen hatte, begab er sich nach den innern Stadtteilen. Er kannte Regensburg, und, ohne über die einzuhaltende Richtung im Zweifel zu sein, wanderte er durch die stillen, da und dort von zehn Stockwerke hohen Warttürmen unterbrochenen Straßen der einst geräuschvollen Stadt, die gegenwärtig kaum von einer Bevölkerung von sechsundzwanzigtausend Seelen belebt wird.
Karl Dragoch dachte jedoch nicht daran, die Stadt zu besuchen, wie Ilia Brusch glaubte, Er reiste ja nicht als Tourist. Unweit von der Brücke kam er schon nach dem Dome, einem großen Bauwerke mit unvollendeten Türmen; er warf aber nur einen flüchtigen Blick auf dessen merkwürdiges Portal, das aus dem 15. Jahrhundert stammt. Ebensowenig dachte er daran, den Palast der Fürsten von Thurn und Taxis zu bewundern, oder die gotische Kapelle und das spitzbogige Kloster, so wenig wie die merkwürdige Sammlung von Pfeifen – übrigens eine Sehenswürdigkeit – die dieses enthält. Auch das Rathaus, den einstmaligen Sitz des Reichstags, dessen Saal mit sehr alten Tapeten geschmückt ist, wollte er nicht besuchen, wo noch vom Wachtmeister nicht ohne einen gewissen Stolz die Folterkammer mit all ihren schrecklichen Marterwerkzeugen gezeigt wird. Ein Trinkgeld für einen ortskundigen Führer brauchte er auch nicht auszugeben. Er bedurfte keines solchen, und ohne jemandes Hilfe kam er nach dem Postgebäude, wo mehrere Briefe unter verabredeter Chiffre seiner warteten.
[71] Nachdem er die Briefe gelesen hatte, ohne daß seine Züge sich dabei veränderten, wollte er eben den Schalterraum verlassen, als ein ziemlich gewöhnlicher Mann ihm an der Tür entgegentrat.
Dieser Mann und Dragoch kannten einander denn mit einer Handbewegung unterbrach der Detektiv den andern als der zu sprechen anfangen wollte. Die Geste bedeutete offenbar: »Nicht hier.« Da begaben sich beide nach einem Platze in der Nähe.
»Warum hast du mich nicht am Stromufer erwartet? fragte Karl Dragoch, als er sich vor indiskreten Lauschern geschützt glaubte.
– Ich fürchtete, Sie zu verfehlen, lautete die Antwort. Und da ich wußte, daß Sie nach der Post kommen würden...
– Schon gut; du bist jetzt da, das ist die Hauptsache, unterbrach ihn Karl Dragoch. Nichts neues?
– Gar nichts.
– Nicht einmal ein gewöhnlicher Diebstahl in dem Bezirke?
– Weder im hiesigen Bezirke noch anderswo längs der Donau.
– Bis wieweit reichen deine letzten eingelaufenen Meldungen?
– Es war kaum vor zwei Stunden, wo ich von Zentralbureau in Budapest ein Telegramm erhalten habe. Auf der ganzen Linie ist alles ruhig.«
Karl Dragoch sann einen Augenblick nach.
»Du wirst dich an meiner Stelle nach dem Polizeibureau begeben, dort deinen Namen, Friedrich Uhlmann, nennen und bitten, es dir schleunigst zu melden, wenn irgend etwas vorfallen sollte. Dann reisest du sofort nach Wien ab.
– Aber unsre Leute?
– Die laß meine Sorge sein. Ich werde sie schon im Vorüberkommen sehen. Stelldichein in Wien, heut über acht Tage... so lautet der Tagesbefehl.
– Dann wollen Sie den obern Fluß also ohne Bewachung lassen? fragte Uhlmann.
– Dort wird die Ortspolizei genügen, antwortete Dragoch, und beim geringsten Alarm sind wir sofort zur Stelle. Bisher ist übrigens oberhalb Wiens nichts passiert, was uns besonders anginge. So dumm sind unsre Leute nicht, ihre Tätigkeit so weit vom Hauptstützpunkte zu verlegen.
[72] – Ihrem Hauptstützpunkte? wiederholte Uhlmann Hätten Sie darüber besondre Nachrichten?
– Nein, jedenfalls aber eine Ansicht.
– Und die wäre?
– Zu neugierig, Uhlmann... Ich sage aber, daß wir zuerst jedenfalls zwischen Wien und Budapest zu tun haben werden.
– Warum dort zuerst?
– Weil dort das letzte Verbrechen begangen worden ist. Du weißt doch von dem Landmann, dem sie eingeheizt haben und den man bis zu den Knien verbrannt aufgefunden hat.
– Für die Kerle ein Grund mehr, ihre Tätigkeit anderswohin zu verlegen.
– Warum das?
– Weil sie sich sagen werden, daß die Gegend, wo jenes Verbrechen verübt worden ist, besonders scharf überwacht sein wird. Sie müssen also weiter ziehen, ihr Glück zu versuchen. So haben sie es wenigstens bis jetzt gehalten: nie zweimal hintereinander an demselben Orte.
– Da haben sie wie Dummköpfe geurteilt, und du, Friedrich Uhlmann, du machst es nicht viel besser, erwiderte Karl Dragoch. Doch gerade auf ihre Dummheit rechne ich. Alle Zeitungen haben mir, wie du gesehen haben mußt, einen ähnlichen Gedankengang zugeschrieben. Sie haben mit lieblicher Übereinstimmung berichtet, daß ich die obere Donau verließe, wo die Burschen nicht wieder aufzutreten wagen würden, und daß ich mich nach dem südlichen Ungarn zu begeben gedächte. Ich brauche dir wohl nicht versichern, daß daran kein wahres Wort ist, du kannst aber glauben, daß jene tendenziösen Mitteilungen ihre Wirkung auf die Betreffenden nicht verfehlt haben.
– Und daraus schließen Sie?...
– Daß sie das südliche Ungarn vermeiden werden, um dem Wolfe nicht in den Rachen zu laufen.
– Die Donau ist nur sehr lang, wendete Uhlmann ein; sie geht durch Serbien, Rumänien und die Türkei...
– Richtig; aber der Krieg? Dort ist für sie nichts zu holen. Das wird sich ja bald zeigen.«
Karl Dragoch schwieg einen Augenblick still.
[75] »Hat man meine Anweisungen gewissenhaft befolgt? fuhr er dann fort.
– Ganz gewissenhaft.
– Die Überwachung des Stromes ist fortgesetzt worden?
– Tag und Nacht.
– Ohne daß etwas Verdächtiges bemerkt worden ist?
– Nicht das geringste. Alle Jollen, alle Schuten hatten ihre Papiere in Ordnung. Ich muß Ihnen hierbei jedoch sagen, daß diese strenge Kontrolle rechte Unzufriedenheit erregte. Die Flußschiffer erheben dagegen Einspruch, und ich finde, daß sie damit nicht unrecht haben. Auf den Fahrzeugen, sagen sie, wäre doch nichts zu suchen, und auf dem Wasser wären doch keine Verbrechen begangen worden.«

»Stelle dich, als ob du mich nicht kenntest.« (S. 76.)
»Stelle dich, als ob du mich nicht kenntest.« (S. 76.)

Karl Dragoch runzelte die Brauen.
»Ich halte die Besichtigung der Jollen, der Schuten und selbst der kleinsten Boote für sehr wichtig, antwortete er trocknen Tones, und möchte hiermit ein-für allemal ausgesprochen haben, daß ich Einwendungen dieser Art nicht liebe.«
Uhlmann bog sich, so zurechtgewiesen, etwas zusammen.
»Schön, wie Sie wünschen, Herr Dragoch!«
Dieser aber fuhr fort:
»Ich weiß noch nicht, was ich tun werde. Vielleicht bleib' ich in Wien, vielleicht begebe ich mich noch nach Belgrad. Das hängt von Umständen ab. Da es aber darauf ankommt, mich auf dem Laufenden zu erhalten, wirst du mir immer schriftlich Nachricht, und zwar in soviel Exemplaren geben, wie zur Verteilung an unsre zwischen Regensburg und Wien stationierten Leute nötig sind.
– Schön, Herr Dragoch, antwortete Uhlmann. Doch ich... wo werde ich Sie wiedersehen?
– Wie ich schon gesagt habe, nach acht Tagen in Wien«, erwiderte der Detektiv.
Dann dachte er einige Augenblicke nach.
»Vergiß nicht, nach der Polizei zu gehen, und dann benutze den ersten Zug.«
Uhlmann entfernte sich bereits, als Karl Dragoch ihn zurückrief.
»Du hast doch wohl von einem Fischer, einem gewissen Ilia Brusch, reden hören? fragte er.
[76] – Von dem, der es unternommen hat, mit der Angel in der Hand die ganze Donau hinunterzufahren?
– Ganz recht. Wenn du mich also einmal mit dem siehst, so stelle dich, als ob du mich nicht kenntest.«
Hiermit trennten sich beide. Uhlmann verschwand im obren Stadtteile, während Karl Dragoch das Hotel zum Goldnen Kreuz aufsuchte, wo er speisen wollte.
Als er an der Tafel Platz nahm, saßen bereits ein Dutzend Gäste daran, die sich von dem und jenem unterhielten. Karl Dragoch aß mit bestem Appetit, mischte sich aber nicht in das allgemeine Gespräch. Er horchte nur, wie ein Mann, der das Ohr offen zu halten gewöhnt ist, auf alles, was rings um ihn gesagt wurde. Dabei hörte er auch wie einer der Tischgäste an seinen Nachbar die Frage richtete:
»Nun, und von der berüchtigten Bande weiß man noch weiter nichts?
– Nicht mehr als von dem berühmten Brusch, antwortete der andre. Man erwartete sein Eintreffen in Regensburg, bis jetzt hat man aber noch nichts davon gehört.
– Das ist merkwürdig.
– Wenn Brusch und der Anführer der Bande nicht einunddieselbe Person ist.
– Das ist wohl zum Lachen!
– Nun... wer kann's wissen?...«
Karl Dragoch hatte die Augen erhoben. Das war zum zweite einmal, daß diese Vermutung, wenn auch in der Luft schwebend, seine Aufmerksamkeit erregte. Er zuckte dazu aber nur unbemerkbar mit den Achseln und vollendete seine Mahlzeit, ohne ein Wort geäußert zu haben. Das waren doch wohl nur leichte Redereien. Und er mußte gut unterrichtet sein, jener Schwätzer, daß er von Bruschs Ankunft in Regensburg noch nicht einmal etwas wußte.
Nach Beendigung seines Abendessens ging Karl Dragoch wieder nach den Kais hinunter. Er wendete sich jedoch nicht gleich der Jolle zu, sondern blieb kurze Zeit auf der alten Steinbrücke stehen, die Regensburg mit seinem Vororte Stadt am Hof verbindet. Hier blickte er über den Strom hin, wo einige Fahrzeuge im letzten Tagesschimmer noch eilig dahinglitten.
[77] Dabei versank er völlig in seine Gedanken, als sich eine Hand auf seine Schulter legte und ihn gleichzeitig eine wohlbekannte Stimme anrief.
»Man sollte glauben, Herr Jäger, daß das alles hier Sie besonders interessierte.«
Karl Dragoch sah sich um und erkannte, ihm dicht gegenüber, Ilia Brusch, der ihm lächelnd ins Gesicht sah.
»Ja gewiß, antwortete er, das Leben auf dem Strom hat etwas anziehendes, so daß ich nicht müde werde, es zu betrachten.
– O, Herr Jäger, da wird es Sie noch mehr interessieren, wenn wir erst auf den Unterlauf des Stromes kommen, wo noch weit mehr Schiffe verkehren. Sie sollen das einmal sehen, wenn wir am Eisernen Tor sind. Kennen Sie das?
– Nein, antwortete Dragoch.
– Das muß man gesehen haben! erklärte Ilia Brusch eifrig. Wenn es auf Erden keinen schöneren Strom als die Donau gibt, so gibt es längs der ganzen Donau keine schönere Stelle als dieses Eiserne Tor!«
Inzwischen war es völlig dunkel geworden. Ilia Bruschs große Taschenuhr zeigte auf die neunte Stunde.
»Ich befand mich unten in der Jolle, als ich Sie, Herr Jäger, auf der Brücke erkannte. Wenn ich Sie aufgesucht habe, geschah das nur, um Ihnen zu melden, daß wir morgen ganz zeitig abfahren müssen und es deshalb wohl geraten erscheint, uns bald niederzulegen.
– Ich folge Ihnen, Herr Brusch«, sagte einfach Karl Dragoch.
Beide stiegen nun zum Ufer hinunter. Als sie um das Ende der Brücke schritten begann der Passagier:
»Nun, und der Verkauf unsrer Fische, Herr Brusch? Sind Sie damit zufrieden gewesen?
– Mehr als zufrieden. Herr Jäger. Ich habe Ihnen einundvierzig Gulden zu überliefern.
– Das wären mit den siebenundzwanzig früher ein genommenen schon achtundsechzig Gulden. Und jetzt sind wir erst in Regensburg. Ach, mein Herr Brusch, das Geschäft scheint nicht so schlecht zu werden!
– Das glaub' ich jetzt fast selbst«, meinte der Fischer.
Eine Viertelstunde später schlummerten beide nebeneinander, und bei Sonnenaufgang war das Fahrzeug schon fünf Kilometer von Regensburg [78] entfernt. Stromabwärts von dieser Stadt gewähren die Ufer der Donau einen sehr wechselnden Anblick. Auf dem rechten dehnen sich über Sehweite hinaus fruchtbare Ebenen aus, ein lachender, ertragreicher Landstrich, wo es weder an Dörfern noch an Städten fehlt, während das linke von dichten Waldmassen gesäumt ist hinter denen sich Hügel erheben, die bis zum Böhmerwalde reichen.
Im Vorüberfahren konnten Jäger und Ilia Brusch den Sommersitz der Fürsten von Thurn und Taxis sehen auch das alte Bischofsschloß von Regensburg, und weiterhin, auf dem Salvatorberge, die Walhalla, eine Art unter den Himmel Bayerns – denn der gleicht nicht dem Attikas – verirrtes Parthenon, das einst König Ludwig I. erbaut hatte. Das Innere bildet ein Museum mit den Büsten der Helden und andern Berühmtheiten Deutschlands, es steht aber seiner Anlage nach gegen die schöne Außenarchitektur zurück. Wenn die Walhalla also auch nicht dem Parthenon Athens gleichkommt, so übertrifft sie doch bei weitem das entsprechende ähnliche Gebäude, womit die Schotten einen der Hügel von Edinburg, des »alten Rauchfangs«, geschmückt haben.
Die Entfernung zwischen Regensburg und Wien ist, wenn man den vielen Windungen der Donau folgt, sehr groß. An dieser vierhundertfünfundsiebzig Kilometer langen Wasserstraße liegen aber nur sehr wenige, einigermaßen bedeutende Städte. Von diesen wäre nur Straubing, die Kornkammer Bayerns, zu nennen, wo die Jolle am Abend des 18. August anhielt, ferner Passau, das am 20. erreicht wurde, und Linz, an dem sie im Laufe des 21. vorüberkam. Außer diesen Städten, von denen die beiden letzten eine gewisse strategische Bedeutung haben, von denen aber keine über zwanzigtausend Einwohner zählt, gibt es hier nur ganz unbedeutende Ortschaften.




http://de.wikipedia.org/wiki/Der_Pilot_von_der_Donau


Der Pilot von der Donau

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Titelseite der französischen Originalausgabe mit einer Illustration des Zeichners George Roux

Illustration aus dem Roman von dem Zeichner George Roux
Der Pilot von der Donau (auch Der Donaulotse, Der Donauschiffer oder Der Donaupilot) ist ein Roman des französischen Autors Jules Verne, der das Manuskript 1901 geschrieben hat. Der Roman wurde erstmals 1908 posthum von dem Verlag Pierre-Jules Hetzel veröffentlicht. Eine Vorab-Veröffentlichung erschien erstmals unter dem französischen Originaltitel Le pilot du Danube in dem Le Journal in der Zeit vom 24. September bis zum 2. November 1908. Die erste deutschsprachige Ausgabe erschien unter dem Titel Der Pilot von der Donau im November 1908. Der englische Titel des Romans lautet The Danube Pilot.

Inhaltsverzeichnis

Handlung

Die Menschen an den Ufern der Donau werden von einer Verbrecherbande durch Raub und Mord bedroht. Die Bevölkerung ist durch die Vorfälle beunruhigt. Die Polizei konnte die Verbrecher bisher nicht fassen. Der Detektiv Karl Dragoch erhält den Auftrag die Bande mit Hilfe einer Spezialeinheit zu ergreifen.
Der Fischer Ilia Brusch fährt in seiner Jolle die Donau flussabwärts in Richtung Schwarzen Meer. Ein Fremder drängt sich ihm als Passagier auf, der sich als ein Tourist mit dem Namen Jäger ausgibt. Der Freiheitskämpfer Serge Ladko, der in Bulgarien gegen die Herrschaft der Türken kämpft, wird unterdessen mit einem Verbrecher verwechselt, der seinen Namen verwendet. Bei dem Reisenden Jäger handelt es sich in Wirklichkeit um den Detektiv Dragoch und Brusch ist der wirkliche Ladko. Der Verbrecher der den Namen von Ladko verwendet heißt in Wirklichkeit Striga und hat Ladkos Frau auf einem Schiff seiner Bande in seiner Gewalt. Die Flusspiraten werden schließlich mit der Hilfe des echten Ladko unschädlich gemacht. Dieser findet schließlich an Bord des Schiffes der Flusspiraten seine geliebte Frau wieder.

Radio-Feature

Literatur

  • Heinrich Pleticha (Hrsg.): Jules Verne Handbuch. Deutscher Bücherbund/Bertelsmann, Stuttgart und München 1992.
  • Volker Dehs und Ralf Junkerjürgen: Jules Verne. Stimmen und Deutungen zu seinem Werk. Phantastische Bibliothek Wetzlar, Wetzlar 2005.
  • Volker Dehs: Jules Verne. Jules Verne. Eine kritische Biographie. Artemis & Winkler, Düsseldorf 2005. ISBN 3-538-07208-6

Weblinks

 Commons: The Danube Pilot – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
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außerdem interessante Details, die nicht in Wikipedia stehen, auf:

http://www.j-verne.de/verne66.html


Der Donaulotse (1908) auch Der Pilot von der Donau, Der Donauschiffer oder Der Donaupilot

Das Manuskript wurde von Jules Verne 1901 geschrieben. Die Fertigstellung erfolgte durch Michel Verne, der auch maßgeblich die Hauptfigur schuf. Dabei passierte ihm allerdings ein Fehlgriff: „Ungeschickterweise benutzte er den Namen einer Urlaubsbekanntschaft für die Person eines Verbrechers, und so mußte, als der >Verleumdete< einen Prozess in Gang setzte, die gesamte Erstauflage revidiert werden. /1/. Die Erstausgabe erschien 1908 zum Weihnachtsgeschäft unter dem Titel Le pilot du Danube bei J. Hetzel in Paris. Eine französische Vorab-Veröffentlichung gab in Le Journal vom 24. Sept. bis 2. November 1908. Die deutschsprachige Erstausgabe erschien bei Hartleben in der Reihe Collection Verne Band 84 ebenfalls schon im November 1908. Erst 1909 erschien die großformatige vollillustrierte Ausgabe im Rahmen der Serie Bekannte und unbekannte Welten ... im Band 94 (siehe links /2/)

Diese Buch ist eine Mischung zwischen Abenteuer- und Kriminalroman. Eine Bande von Verbrechern macht die Ufer der Donau unsicher. Mord und Raub beunruhigen die Bevölkerung, doch der Polizei ist es bisher nicht gelungen, die Banditen zu fassen. Da erhält der bewährter Detektiv Karl Dragoch den Auftrag, mit Hilfe einer Spezialtruppe die Bande dingfest zu machen. Zur gleichen Zeit fährt der Fischer Ilia Brusch in seiner Jolle die