Sonntag, 26. Januar 2014

1841: Die Geflüchtete, Novelle

Rosen und Vergißmeinnicht: dargebracht dem Jahre 1841 - Google Books

S. 157 ff

Die Geflüchtete

Novelle von Bernd von Guseck

spielt in Regensburg



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Die Geflüchtete.
Novelle
von
Gernd von GulecK.

galt schmerzlichen Abschied. Die junge Frau hatte ihre beiden Arme um den Hals des Geliebten geschlungen und lehnte trostlos, sprachlos an seiner Brust, nur das erstickte Schluchzen und der Krampf, welcher zuweilen ihre Glieder durchzuckte, gaben Zeugniß, daß sie des bittern Augenblicks vollbewußt war. Und der Mann! Fieberhaft bebten seine Lippen, welche Worte des Trostes zu sprechen hatten, sein Auge hing verdunkelt am Boden, er durfte es nicht heben, wenn ihm nicht das Herz brechen sollte, denn wenige Schritte von ihm spielte sein zweijähriger Knabe, dessen harmloses Lächeln den schrecklichsten Eindruck auf die verzweifelnden Eltern machte.
„Fasse Dich, Anna!" beschwor sie der Gatte. „Diese Trennung wird vorübergehen, ich kehre zurück, sobald ich kann und nichts soll uns mehr scheiden."
Sie schüttelte heftig den Kopf, daß ihre schwarzen Flechten sich lösten und das reiche Haar fesselfrei über die Schultern niederwogte, wie ein Mantel die schöne Gestalt umhüllend — ein schwarzer Trauermantel. Kein Wort erwiederte sie, aber fester umschlang sie ihn und drückte ihre Stirn an sein Herz, das unter ihr schwoll, wie die Fluth im Sturme. Er versuchte jetzt sanft, sie von sich zu lösen — da stieß sie einen durchdringenden Schrei aus, ihre Arme sanken kraftlos herab, sie schwankte und wäre zu Boden gefallen, wenn er sie nicht in seinen Armen aufgefangen hätte. Kaum selbst wissend, was er that, trug er die Ohnmächtige auf ihr Bett — wenn er sich jetzt nicht losriß, war es um seinen Entschluß geschehen! Halb wahnsinnig hob er noch einmal sein Kind empor, preßte es heftig an seine Brust, dann stürzte er hinaus , schickte die treue Dienerin seiner Frau zu Hülfe und floh. — Die ihm auf der Straße begegneten, blieben stehen und sahen ihm verwundert nach.
Er wollte noch einmal mit dem unbeugsamen Manne reden, der sein Schicksal bestimmt hatte. Vielleicht gelang es der Sprache der Verzweiflung, was den flehentlichsten Bitten versagt worden war. Ohne sich umzusehen, stürmte er seines Weges, bis er das Thor des Bischofshofes erreichte. Der heutige Wachter kannte ihn nicht und wehrte ihm den Eingang.
„Törring mein Name!" rief der Angekommene trotzig. „Laßt dem Bischofe, meinem Oheim, das melden."
Es währte nicht lange, so wurde er in das Gemach geführt, das er gestern mit ganz andern Hoffnungen betreten hatte. Der Abendschein lachte durch die hellen Fenster, Alles sah freundlich im Zimmer aus, der alte Bischof in seinem Lehnstuhle hatte gar nicht die Miene, als könne von seinen Lippen ein strenges Urtheil tönen — noch einmal regte sich die Hoffnung in Törrings Herzen und färbte sein bleiches Gesicht.
„Was bringst Du mir, Reinhard?" fragte der Bischof. „Deine bessere Ueberzeugung?"
So sanft klang das Wort und es traf doch, wie ein eisiger Sturm alle Hoffnungskeime in Reinhards Brust, daß sie erstarrten! — „Oheim!" preßte er mühsam hervor. „Ick, kann Euch nicht gehorchen."
Die Stirn des Greises bewölkte sich, doch nur bekümmert, nicht leidenschaftlich war der Ton seiner Antwort: „Die Wahl ist Dir erspart," sagte er. „Beweise Deine gute Sache."
„Ihr könnt, Ihr dürft uns nicht trennen!" rief Reinhard. „Siehat um meinetwillen Vaterland, Freunde—"
„Und ihre Pflicht verlassen!" unterbrach ihn der Bischof.
„Aber ihr Vater hat eingewilligt auf dem Sterbebette, der Pfarrer, der uns getraut, ist dessen Zeuge!" rief Reinhard heftig. „Gilt Euch mein Wort, mein Schwur denn gar nichts? Ich schwöre —"
„Still!" sagte der Bischof ernst. „Auf keine Weise gestatte ich das. Ich kenne Dich leider seit Deinem zwölften Iahre nicht mehr und wie in achtzehn Iahren des Menschen Sinn, auch längst erprobter, sich ändert, habe ich in dieser trüben Zeit nur zu oft erfahren. Mich freut es, daß Du zu Deinem alten Oheim Deine Zuflucht genommen hast und ich werde Dich und die Deinen nicht verlassen. Aber fordern muß ich, daß Du mir ein gültig Zeugniß bringst für die Gesetzmäßigkeit Deiner Verbindung. Du hast mir selbst gesagt, daß sie eines Andern verlobte Braut gewesen, daß sie Dir zu Liebe dieses Band zerrissen, daß sie zwei Iahre Dein Kriegerleben im Feldlager getheilt — nun bringe mir des Pfarrers Zeugniß, daß sie nur als Dein, mit des sterbenden Vaters Bewilligung Dir angetrautes, Weib Dir gefolgt! Hast Du ein reines Gewissen, warum dieser Widerstand 's" „O Ihr kennt das Gefühl nicht, das zwei Herzen verbindet!" rief Reinhard. „Euer Priestergewand deckt eine öde Brust! Ahntet Ihr, was es heißt, sich von den Seinigen trennen, Ihr würdet nimmer auf Eurer harten Forderung bestehen! Wer bürgt mir, daß die Verlassene, der nur ich die Heimath vergessen machte, im fremden Lande erkrankt? — Laßt sie mich begleiten!" setzte er, von einem plötzlichen Gedanken erfaßt, hinzu.
„Nimmermehr!" sagte der Bischof. „Verdenke mir's nicht, wenn jede Aeußerung mein Mißtrauen steigert. Ließe ich Euch wieder ziehen, Ihr kehrtet wohl nimmer zurück, und was wäre Euer Loos? Zeitliches Elend und ewige Reue! — Vertraue mir, Reinhard, öffne mir Dein Herz, thue Buße, wenn Du gefrevelt hast — wo nicht, so ermanne Dich, trage das Weh der kurzen Trennung und kehre mit den Beweisen Eurer Lauterkeit zurück. Dann will ich Dir meinen Verdacht abbitten. Bis dahin bleibt mein Wille unabänderlich und müßt' ich Gewalt brauchen! — Um Weib und Kind sorge nicht, sie sollen der treuesten Pflege befohlen werden."
Reinhard hatte sich viel vorgenommen, was er
dem strengen Manne sagen wollte, er hat ihm Trotz zu bieten gedacht, aber seine ruhige Hoheit imponirte ihm so, daß er sich seines Vorsatzes kaum erinnerte.
„Wohlan, ich gehe!" sagte er endlich. „In Eure Hut übergebe ich das, was mir auf Erden das Theuerste ist, Ihr habt mir versprochen, sie zu schirmen in aller Gefahr und Noth, von Euch fordere ich sie ungekränkt zurück. — Wenn aber der Pfarrer schon todt oder in den schlimmen Zeiten, von denen auch Ungern weiß, vertrieben, verschollen ist?"
„Neffe, Neffe!" rief der Bischof mit erhobenem Finger drohend.
Reinhard erröthete tief. — „Wahrlich, Oheim!" sagte er mit unklarer Stimme, „Ihr müßt viel Schlechtigkeit kennen gelernt haben, daß Ihr so mißtrauisch seid. Ich verschmähe es, Euch zu antworten. Lebt wohl."
„Nimm meinen Segen!" sprach der Alte. „Tritt her, Sohn meines Bruders. Sieh' mir fest in's Auge, wie es ein Törring thun kann. Zuckst doch mit den Wimpern! Nun, Gott führe Dich auf Deinen Wegen!"
Reinhard verließ den Hof. Er kämpfte mit sich, ob er noch einmal zu seiner Anna zurückkehren sollte, aber er fühlte, daß ihm die Kraft zu einer zweiten Trennung fehlen würde, so schickte er einen Buben nach seinem Pferde und schärfte ihm ein, den Wirth um das Befinden der Frau zu fragen, denn es lag ihm wie ein Fels auf der Brust, daß er sie in Ohnmacht verlassen hatte. Er bestellte sein Pferd an das Thor und ging auf einem Umwege dorthin. Wie unerträglich lange blieb der Bote, endlich kam er mir ungenügendem Bescheide. Der Wirth wußte nichts und hatte gemeint: es sei ja oben Alles ruhig! — Entsetzliches, vieldeutiges Wort!
Schweren Herzens bestieg Törring seinen Hengst, und ritt, dessen Ungestüm zügelnd, langsam hinaus in die duftige Frische des Frühlingsabends. Als er die Höhe erreichte, wo er die Straße links nach Straubing einschlagen mußte, hielt er noch einmal an, wandte sein Pferd und ließ die Blicke inniger Sehnsucht auf der alten Reichsstadt ruhen, die all' sein Glück umschloß. Er hatte sie begrüßt^ als den Hafen, der sein Lebensschiff vor den Stürmen bergen sollte und sie hatte ihm ein neues, noch nicht gekanntes Leid gebracht, das Leid der Trennung!
Die Sonne war untergegangen, nur die Knöpfe und Kreuze auf Regensburgs Thürmen schimmerten noch im goldenen Strahl. Ein leichtes Lüftchen flüsterte mit den Bäumen, die Nachtigall sang ihr süßes Lied im Gebüsch am Bache, der sich zur Donau hermederschlängelte, keine Wolke trübte drohend den Purpur des Spätroths — der Friede, der auf der Abendlandschaft lag, wirkte beruhigend auf Reinhards Seele, daß sich die hochgehenden Wogen des Gefühls zu ebnen begannen. Alles wird gut werden! tröstete er sich. Die bitterste Sorge ist mir ja vom Herzen genommen, die Sorge um der Meinigen Unterhalt! Sie hat mich freilich gedemüthigt — aber ist es mir eine Schande, von meines Vaters Bruder etwas zu nehmen? Und dennoch, wenn ich denke —
Er brach ab, zog die Zügel an und setzte den Hengst in Galopp, als wolle er unerfreulichen Betrachtungen entfliehen. Nicht weit war er geritten, so holte er einen einzelnen Reiter ein, dessen Pferd wild gemacht nach einem Paar Sätzen mit seinem Herrn, welcher Hut und Steigbügel verloren hatte, durchging. Törring hielt es für seine Pflicht, den Mann zu rettetliLl es kostete seinem Hengste wenig Anstrengung, den schlechten Renner zu überholen, ein kräftiger Ruck « die Zügel brachte ihn zum Stehen, worauf der Fremde sehr blaß aber lächelnd die Mähne, an der er sich gehalten, fahren ließ und sich höflich bedankte. ES war ein noch junger Mann von einer Corpulenz, die nicht für seine Iahre paßte. Beide sahen sich lange an, als suchten sie gegenseitig aus ihren Zügen ein Bild alter Erinnerung aufzufrischen. Endlich war es dem Umfangsreichen gelungen.
„Irre ich nicht," sprach er lebhaft, „so seid Ihr der Freiherr Törring."
„Getroffen!" erwiederte Reinhard. „Auch Ihr kommt mir bekannt vor, doch habe ich soviel Menschen gesehen —" , .
„Nun, ich hätte Euch auch nicht wieder gekannt," sagte der Dicke, sich nach seinem Hute umsehend, „aber in unserm Stadtwesen wird so leicht nichts der Vigilanz des Nächsten entgehen. So vernahm ich, daß Ihr, weil Euer Valor anjetzo rasten muß, zurückgekehrt seied, maßen Bethlen Gabor, Euer Kriegsherr, das Zeitliche gesegnet, item, daß Ihr Euch eine bildschöne Sponsa —"
„Laßt die Erörterung!" unterbrach ihn Törring unfreundlich. „Wer seid Ihr?"
„Meinen Hut, Herr, erst muß ich meinen Hut haben," rief der Fremde. „Wer aber soll mich wieder auf das Pferd bringen, wenn ich absteige? O Ihr könnt Eurer Benevolenz die Krone aufsetzen, so Ihr mir den Hut wieder verschafft."
Törring war nicht in der Laune, sich eine solche Zumuthung auch nur im Scherz machen zu lassen, und wollte eben eine herbe Antwort geben, als der Dicke, sein flammendes Auge bemerkend, rief: „Mir, Eurem Vetter und Schulgenossen, Eurem ehemaligen Pylades, mir wollt Ihr solchen Gefallen abschlagen?"
„Irlbach?" sagte Törring. „Bei Gott! Du bist's!" — Und rasch jagte er dem Orte zu, wo der entfallene Hut lag, hob ihn auf und brachte ihn dem schmunzelnden Vetter. — „Dich hätte ich nie wieder gekannt!" rief er. „Nur Dein Auge, das mich so prüfend faßte, gab mir eine dunkle Erinnerung. Es scheint Dir wohl zu gehen."
„Allen Heiligen Dank!" sagte Irlbach. „Ich sitze im Domkapitel. — Aber der Abend wird frisch und es ist des Spazierritts genug, außerdem habe ich mich über sothanen Thieres Insolenz alterirt. Laß uns umkehren und, so Du nicht an Ialousie leidest, könne« wir den Abend mitsammen passiren, wo Du mir Deine Avantüren beichten sollst. Bedenkest Du Dich?"
„Mein Weg führt dort hinab!" sagte Törring düster, indem er nach der Himmelsgegend zeigte, wo schon die Dämmerung heraufzog.
„Nicht möglich!" rief Irlbach. „Du kommst vor der Thorsperre nicht heim. Und wirst doch nicht fern von der Sponsa pernoctiren wollen?"
„Ich habe eine weite Reise vor," sagte Törring, die Stirn runzelnd. „Halte mich nicht länger auf; wenn ich zurückkehre, wollen wir unsere Bekanntschaft erneuern. Nur Eins noch: sage dem Bischofe, daß er seines Versprechens eingedenk bleibe — und gütig sei!"
Die letzten Worte sprach er sehr weich, dann reichte er seinem Vetter die Hand und wollte scheiden. Der aber sagte mit Herzlichkeit: „Kann ich Dir sonst helfen? Ich bin noch der Alte!"
„Dank, Dank!" rief Törring. „Willst Du etwas thun, so achte darauf, daß meinem Weibe keine Unbill geschehe."
„Das will ich, so wahr mir Gott helfe!" sagte Irlbach. „Aber Reinhard, Du reitest in Nacht und Nebel mit kranker Seele hinaus, das ist nicht gut. Ich will Dir eine Proposition thun. Kehr' ein in meinem Haus zu Adelmanstein und bleib' die Nacht dort, ich begleite Dich und so mein Consilium Dir etwas nützen kann, geb' ich's gern."
Törring war Anfangs geneigt, das Erbieten ab- , zulehnen, aber des Iugendfreundes Bitten waren so aufrichtig und wohlgemeint, daß er endlich einwilligte. Sie bogen vom Wege ab nach Donaustauf zu und ein Ritt von anderthalb Stunden brachte sie nach dem Schlosse des Domherrn. Es schien natürlich, daß Törring seinem Begleiter, der den herzlichsten Antheil nahm, aus Erkenntlichkeit sein Vertrauen schenkte,

aber dazu schien er keine Lust zu haben. Iede offene Frage des Vetters beantwortete er mit einer Vertröstung auf die Zeit, seine Stirn verdüsterte sich immer mehr, und die schweigsame Laune, in welche er verfiel, mußte am Ende selbst dem geschwätzigen Domherrn auffallen, so gern er sich selbst in seiner pretiösen Redeweise sprechen hörte.
„Reinharde!" begann er, das Glas, das er eben zum Munde führte, absetzend. „Ich hatte mich einer größern Favor bei Dir versehen. Ich glaubte, inr Kriegsleben lernte man erst recht begreifen, was ein Freund werth sei, aber mich dünkt, der Panzer hat solcbes Gefühl in Dir erstickt. Aus Curiosität frage ich nicht nach Deinen Schicksalen, sondern weil ich hoffe, Dir mit Imperienz und ruhiger Ueberlegung dienen zu können. War' ich mißtrauischer Natur, ich zöge ein schlimmes Conclusum auf Dein Geheimniß und Dich selbst."
Das traf. — „Es ist mein Schicksal, verkannt zu werden!" rief Törring. „Von Dir, dem ich entfremdet bin, wundert es mich nicht, aber auch — von denen, die mir nahe gestanden! Was kann ich dagegen thun? Kann ich dafür, daß mich die Natur nicht schwatzhaft gemacht, wie ein altes Weib? Daß ich in meine Brust verschließe, was sich nicht ändern läßt — weil ich wohl stark genug bin, Alles zu tragen, was über mich kommt, Andere aber unter der Last erliegen würden?"
„Packe" sie mir auf!" sagte der Domherr gelassen.
,,Du verstehst mich nicht," erwiederte Törring. Der Eintritt der Diener, welche das Abendessen auftrugen, unterbrach das Gespräch, dessen Fortsetzung vor der Hand unterblieb, da die beiden Freunde nicht mehr allein waren. Irlbach gab sich den Genüssen der Tafel hin, deren Beschickung seinem Hause Ehre machte, Törring aß hastig und zerstreut, und blickte sich oft mißmuthig nach dem Dienstmann um, der hinter seinem Stuhle stand und ihm sehr lästig war. Der Hausherr bemerkte es endlich, sein Wink entfernte die Zeugen. Aber statt daß sich nun, wie er gehofft, des Vetters Herz erschließen sollte, stand Törring auf und sagte: „Laß uns schlafen gehen. Ich will morgen vor der Sonne aufstehen und nehme daher gleich Abschied. Habe Dank für Deine Freundschaft und wenn Du nach Regensburg kommst, frage zuweilen nach, wie es meinem Weibe geht."
„Herr Bruder," sprach der Domherr ärgerlich, „mir scheint es nicht absonderlich wohl gethan, die Sorge um Frau und Kind Andern zu committiren, die man nicht einmal der kleinen Considenz werth hält: warum man die Liebsten im wildfremden Lande — solches ist ihnen unser Hochstift, maßen Deine Sponsa, wie verlautet, ungrischen Geblüts —"
„Warum giebst Du ihr immer den verdammten Namen?" fuhr Törring auf. „Warum nennst Du sie nicht meine Frau, meine Ehefrau, mein angetrautes Weib?"
„Ei, wenn es Dir besser klingt, thue ich es gern," sagte Irlbach, verwundert. „Du bist bösen Humors."
Törring reichte ihm die Hand, und als der Gutmüthige lächelnd einschlug, zog ihn Reinhard an seine Brust und sagte: „Verzeih, mein Bruder. Du weißt nicht, welche Kämpfe mich so empfindlich gemacht haben, Du kennst den bittersten Feind unsers Gleichmuths nicht" — er brach kurz ab und griff zum Hute.
„Mir wär's lieb, Du nenntest mir diesen Feind," versetzte Irlbach.
„Er heißt: der Mangel!" sagte Törring. „Still! Kein Anerbieten! Vor der Hand bin ich überreich und wenn ich glücklich zurückkehre, wird Alles gut. Grüße meine Anna und meinen Stephan. Gute Nacht!"
Der Domherr griff selbst zum Lichte, um ihn nach seinem Zimmer zu führen, aber Reinhard drückte ihn in den Sessel zurück und entfernte sich eilends. Vor der Thüre harrte der Diener. Als dieser nach einiger Zeit, von Törring abgefertigt, zurückkam, erhielt er von seinem Herrn noch einen Auftrag, dessen er sich geschickt entledigte. Irlbach rieb sich zufrieden die Hände.
Noch säumte kaum der erste ZZurpurstreif des Ostens Schwelle, als Törring den Stall suchte, um sein Pferd zu rüsten und ohne Störung, als nur des Thorhüters, das Schloß zu verlassen. Aber er fand die Knechte bereits Alle munter und auch des Hausherrn Pferd gesattelt. Ein Diener stürzte über den Hof und brachte ihm Irlbachs Bitte, nicht ohne Frühstück und Abschied zu reiten. So mußte er sich fügen.
„Du hast unter dem husarischen Volke *) viele
"Z So „anntc man die ungarischen Völker bereits im schmalkaldischen Kriege.
Untugenden gelernt," rief ihm der Domherr zu, der auch schon reisefertig war. „Desertirst böslich? Ohne Stärkung auf den weiten Weg?" — Er rückte ihm einen Sessel hin, zeigte auf das dampfende Frühstück und schenkte einen großen Becher für ihn voll.
„Keinen Wein!" sagte Törring.
„Wie? Auch nicht auf das Wohl Deiner ehelichen Hausfrau?" rief der Domherr.
Mit leuchtendem Blick ergriff Törring den Becher und leerte ihn auf einen Zug, dann leistete er der gastlichen Aufforderung Genüge, und Irlbach sprach: „Es ist gut, daß Du Deine Familie unter den Schutz eines gewissenhaften Freundes gestellt hast, denn Regensburg wird nächstens wie ein Hoflager anzusehen sein und eine verlassene Frau — eine so schöne Frau," verbesserte er, als sich Törring's Augenbraunen zusammenzogen , „dürfte wohl bei dem Modus der Iunkherrn und ihrer Disposition nicht ohne Anfechtung bleiben." ^
„Was meinst Du?" fragte Törring. „Hoflager in Regensburg? Etwa ein Reichstag wieder?"
„Getroffen! Ia wohl, ein Churfürstentag," versicherte der Domherr. „Man sagt, Kaiserliche Majestät wolle demselben in Person assistiren."
„Und was wollen sie wieder berathen?" rief Törring unmuthig. „Wie all' das Elend zu vermeiden gewesen wäre?" ..'
„Darüber sind sie wohl jetzt einig," sagte Irlbach. „Es giebt aber, nun kein Feind mehr im Felde steht, seit der Dänenkönig pacificirt und Dein Kriegsherr in Siebenbürgen der Zeitlichkeit Valet gesagt, viel zu restituiren im Reiche und alle Gravamina, so gegen den Wallenstein sich gehäuft, sollen hier zur Sprache kommen."
„Und dazu ist Regensburg ersehen? und der Kaiser selbst will kommen?" fragte Törring zerstreut.
„Mit großem Comitat," erwiederte Irlbach, „Es mag zugleich auf die römische Königswahl spekulirt werden." ^
„Also der König von Ungern auch!" sagte Törring und fiel in tiefe Gedanken. Irlbach nickte, mit Speisen beschäftigt. Es trat eine Pause ein. Endlich erhob sich der Gast und nahm Abschied, denn die Sonne warf bereits ihre ersten Strahlen auf die Fenster der Gebäude und beschämte das Kerzenlicht, das noch im Zimmer brannte.
„Sage meiner Frauwar Törrings letztes Wort, „daß sie, während die Stadt voll fremder Gäste ist, streng das Haus hüte; und sollte ein frecher Gesell ihr nahen, so sei Du ihr Schirm oder rufe meinen Oheim dazu auf."
Der Domherr versprach es mit ehrlichem Handschlag und entließ seinen Freund, dem er Glück auf den Weg und baldige Heimkehr wünschte. Törring schwang sich auf, der Siebenbürger trug ihn mit zwei Sätzen durch das Thor. .'' ,, .
„Hat er die Satteltaschen untersucht?" fragte der Domherr seinen Leibdiener und als dieser verneinte, war er sehr froh über seine unschuldige List. — „Du magst mich begleiten," sagte er dann zu dem Knechte.
 
 
„Mein Roß hat sich gestern sehr boshaften Ingenii gezeigt." — Der Diener verbiß das Lachen.
S.
Wehe den Zurückbleibenden! Der Augenblick der Trennung ist gleich schmerzlich für den, der hinauszieht, aber ihn reißt das Leben in seine Strömung, Well' auf Welle rauscht an ihm vorüber, er muß handeln und kämpfen, schaffen und schauen, und nur der Moment der Ruhe, nur die Nacht, die Pflegerin aller Sorgen, bringt ihm den Gram um verlornes Glück. Der Verlassene dagegen! Alles um ihn ist noch, wie es war, ehe der Geliebte schied, nichts Aeußerliches bekundet den schrecklichen Wechsel, der momentan vergessen werden könnte, wenn nicht jeder Stätte der Umgebung das Bild des Geliebten fehlte, so daß die Erinnerung immer neu und die brennende Wunde stets offen gehalten wird. Und kommt ja der Schlaf der Erschöpfung über das müde Augenlied, wie furchtbar ist das Erwachen! Der Morgen lächelt überhaupt nur den Glücklichen. Wer irgend eine Sorge unter seinen Pfühl begraben hat, die der Schlummer vergessen, der Traum sich in Freude verwandeln läßt — dem tagt das Morgenlicht feindlich und er erschrickt vor dem wiederkehrenden Bewußtsein.
So die junge Frau, welche Törring in Regensburg zurückgelassen hatte. Sie war spät aus ihrer Ohnmacht erwacht und das Gefühl, von ihm geschieden zu sein, der ihr einziger Halt im Leben war, hatte sie an den Rand des Wahnsinns geführt. Nicht in wildem Ergusse der Leidenschaft äußerte sich ihr Schmerz, dazu war er zu tief, er hatte den Nerv ihres Daseins getroffen und jede Kraft gelähmt. Still, todtenbleich, mit starrem, thränenlosem Auge saß die Frau, ihr Kind auf dem Schooße, und weder dessen Liebkosung, noch das Trostwort des treuen Mädchens, das ihr aus der Heimath gefolgt war, schienen auf sie den geringsten Eindruck zu machen. Sie nahm keine Nahrung zu sich und als der Abend dunkelte, ließ sie es still mit sich geschehen, daß die Dienerin sie zu Bett brachte.
Diese saß nun allein und hütete wachsam jeden Athemzug der Herrin und ihres Kindes. Sie wußte nicht, warum der Hauptmann — so war sie gewohnt, den Freiherrn von Törring zu nennen — seine Frau verlassen hatte, und das Benehmen der Letztern schien fast auf eine ewige Trennung zu deuten. Die Folge davon schien ihr die Heimkehr in das liebe Magyarenland zu sein und das schwarze Auge der Dirne fing sich an höher zu entzünden, aber ein Blick auf das Bett ihrer leidenden Frau genügte, den Funken der Freude im feuchten Schimmer verglimmen zu lassen. Und ein schwerer Seufzer hob ihr Mieder.
Am andern Morgen, zu derselben Stunde, als Törring aus dem Schlosse seines Freundes sprengte, erwachte Anna im jähen Schreck aus dem wüsten Traume, der die Ermattete in den Frühstunden umsponnen hatte. Sie fuhr auf, stützte sich auf den kräftigen weißen Arm und sah wild umher. Das Bewußtsein ihres Schicksals bäumte sich, wie ein riesiger Feind vor ihr auf, eine bittere Angst verzog die feinen, lieblichen Lippen, schon flackerten ihre Blicke wieder irr in's Leere, da hob sich vor ihr des Knaben brauner Lockenkopf aus seinem Bettchen, er lachte die Mutter an und langte mit beiden Aermchen jauchzend herüber — das brach der Mutter Herz, aber auch den Starrkrampf ihrer Verzweiflung, eine Fluth von Thränen löste sich, sie war gerettet.
Ietzt nahte auch die ungarische Dienerin und sprach ihr mit gutgemeinten Worten zu.
„Eörse!" rief Anna. „Wird er wieder kommen?"
Die Dienerin sagte, was mit ihrem eigenen Glauben stritt, ließ aber doch ein Wort von Heimkehr fallen. Eine heftig abwehrende Gebchrde war die Antwort darauf.
Gegen Mittag kam ein fremder Besuch. Der Bischof wollte sich persönlich überzeugen, wie die Trennung, die er veranlaßt hatte, auf die junge Frau wirkte, und was ihr nöthig sei, denn er hielt es für seine Pflicht, sich der Verlassenen anzunehmen, für deren Schicksal er verantwortlich war. Sein Eifer hatte ihn fast gewaltthätig einschreiten lassen, der Neffe, welcher in der äußersten Noth, als er die Seinigen dem bittern Mangel Preis gegeben sah, seine Zuflucht zu ihm nahm, hatte einen strengen Vormund in ihm gefunden, der ihn sofort seine Macht fühlen Neß. Wohl gab die böse Sitte der Zeit und Reinhard's unsicheres Benehmen Anlaß, die Rechtmäßigkeit seiner Verbindung in Zweifel zu ziehen; durfte der fromme Kirchenfürst ein solches Skandal unter seinen Augen dulden, durch seine Freigebigkeit unterstützen? War es unbillig, daß er von seinem Neffen den Beweis seiner Unschuld verlangte, der mit dem Opfer einer kurzen Trennung herbeizuschaffen war? Und für den Fall, daß sein Verdacht gegründet war, mußte er die Verirrten nicht auf den rechten Weg führen, zur Buße und Reue, damit sie des Segens der Kirche Werth würden? Reinhard war ja der Sohn seines Bruders und er hatte ihn zu lieb, um ihn dem Verderben zu überlassen. — So kam er denn in der Mittagsstunde, als Anna eben ihren Kleinen zur Ruhe gebracht hatte, nach der Herberge, wo Törring mit ihr eingekehrt war. Er hatte es dem Letztern abgeschlagen, sein Weib zu sehen, aber die Rücksicht, welche ihn dazu bewog, war jetzt vor einer andern in den Hintergrund getreten.
Der Wirth, obzwar ein Lutheraner, und wie alle Reichsstädter etwas patziger Natur, hatte doch vor dem fürstlichen Stande des Bischofs Respect und führte ihn, eine Meldung für überflüssig haltend, grade zu nach dem Giebelzimmer, welches er den Fremden in Ansehung ihres ärmlichen Einzugs angewiesen hatte. Er riß die Thüre auf und trat zurück.
Anna saß am Bette des Knaben, hatte sich über den Schlummernden gebeugt und schien keinen Sinn für das zu haben, was um sie vorging, aber die Dienenn, eine entschlossene Dirne, sprang auf, als sie den ungebetenen Gast erblickte und wollte ihm die Thüre wehren. Des Bischofs würdiges Ansehen störte jedoch ihr Vorhaben und er trat ein, nicht ohne Verlegenheit, wie er sich ankündigen sollte. Hinter ihm wollte auch der Wirth in das Zimmer schlüpfen, aber Eörse schlug ihm die Thüre vor der Nase zu.
Das Geräusch weckte Anna aus ihrem Hinstarren, sie wandte sich um; als sie den fremden Mann erblickte, fchrack sie zusammen. Der Greis nahte ihr schnell, ergriff ihre Hand und sprach: Fürchtet Euch, nicht, liebe Frau. Ich meine es gut mit Euch! Dabei sah er ihr, wie seine Gewohnheit war, scharf in die Augen.
Frau Anna entzog ihm ihre Hand, sie war im Feldlager nicht eben vortheilhaft mit der Sinnesart der Männer bekannt geworden, und hätte vielleicht auch den ehrlichen Bischof in argen Verdacht genommen, wenn nicht sein geistliches Gewand und eine gewisse Aehnlichkeit mit dem entfernten Geliebten ihr plötzlich verrathen hätten, wer vor ihr stand. Das war also der Mann, dessen Gewaltspruch sie namenlos unglücklich gemacht, das war der Mißtrauische, der ihr Verhältniß zu Törring — sie wurde bei dem Gedanken wie mit Blnt übergossen. Dem Bischofe gefiel es nicht, daß sie vor ihm bis unter die Locken der Stirne erröthete.
„Kennt Ihr mich?" fragte er, schon viel dreister und ernster.
„Ich glaube, ja! Ihr seid der Freiherr Albrecht
 
 
von Törring," erwiederte die Fremde in reinem, wenn auch etwas fremdklingendem Deutsch. Sie heftete einen stolzen Blick auf ihn: „Meines Gemahls Oheim!" setzte sie hinzu.
Der Kirchenfürst war wenig mit Frauen umgegangen, so daß er ihren Sinn nicht kannte. Er wußte nicht, was er aus Anna's Zuversicht machen sollte und fürchtete sich vor einer Erörterung, die ihn so gut beschämen mußte, als diejenige, welche er für ein Opfer seines leichtsinnigen Neffen hielt. — „Reinhards Oheim, ja!" sagte er. „Ich komme zu sehen, wie es Euch geht. Laßt nicht die Traurigkeit überhand nehmen, — nur eine kurze Zeit — Alles wird gut werden — und wenn Euch irgend etwas fehlt, so wendet Euch dreist an mich, das heißt, sch icke t zu mir, ich meine den Wirth oder einen Knecht desselben."
Das Antlitz der Gekränkten nahm immer mehr den Ausdruck ihres Gefühls an, doch verschmähte sie jede Rechtfertigung.—„Ich danke Euch," sagte sie fast im Tone einer Fürstin, die zu Vasallen spricht. Dabei lud sie den alten Herrn mit einer leichten Bewegung der Hand zum Sitzen ein. Diesem, der sich immer unsicherer fühlte, war es ganz erwünscht, daß in diesem Augenblicke das Gemurmel, welches sich schon ein Weilchen vor der Thüre erhoben hatte, ziemlich laut wurde und der Wirth herein sah. — „Noch einen Besuch, gestrenge Frau!" rief er. „Darf ich aufthun?"
Hinter ihm zeigte sich ein rundes, wohlgefälliges Gesicht, und den Wirth zur Seite schiebend, trat der neue Ankömmling, ein dicker, stattlicher Mann in das Zimmer. Er verneigte sich erst vor der Dame, die ihn nicht kannte und einen fragenden Blick auf ihn richtete, dann aber wandte er sich zu dem Bischofe, ehrerbietig sprechend: „Wollet Euch über meine Präsenz nicht admiriren, hochwürdige Gnaden. Ich habe dem Gesponsen dieser tugendreichen Dame heilige Promessen gegeben, ihr seinen Valetgruß zu bringen."
„Meines Gemahls?" rief Anna. „Ihr habt ihn noch gesehen?"
„Er hat mir die Favor erzeigt, mit einem Hospiz auf meinem Hause zu Adelmanstein fürlieb zu nehmen," sagte der Fremde. „Wir sind Iugendfreunde. Gestattet mir, daß ich mich selbst mit Namen kund thun. Ich bin Ulrich von Irlbach, des hiesigen Domkapitels Membrum und ein Vetter Eures Eheherrn."
„Was hat er Euch aufgetragen?" fragte Anna, deren Antlitz die Freude verschönte, wie ein Sonnenstrahl anmuthige Gefilde.
„Viel herzliche Grüße," erwiederte Irlbach; „Ihr sollet seiner baldigen Wiederkehr harren und während der Troublen, so bald in Regensburg wegen der fremden Gäste des Reichstages herrschen werden, Euch in jedem Embarassement an mich, Euren officiosen Diener wenden, der es für seine heiligste Pflicht halten wird, Euch zu schirmen."
Er sagte die letzten Worte mit großer Wärme; der Eindruck, den die schöne verlassene Frau auf sein Gemüth machte, war unverkennbar. Aber der Bischof sprach: „Hat Euch mein Neffe nicht gesagt, würdiger Vetter, daß ich schon jene Verpflichtung übernommen habe? Seid überzeugt, und auch Ihr, werthe Frau, daß ich sie treulich erfüllen werde."
„Wollet pardonniren, hochwürdige Gnaden," versetzte der Domherr. „Ich soll auch Euch in Nöthen zum Schutz dieser Dame aufrufen."
„Ich wüßte nicht, welche Gefahr mir drohen sollte," sprach Anna lächelnd, von dem Gedanken an ihren Reinhard und seine Sorge und Treue ganz beglückt. „Doch danke ich Euch, Ihr Herrn, für Euern guten Willen, noch mehr wird es mein Gemahl thun, wenn er, so Gott will, bald von seiner" — sie schien lange nach einem passenden Beiworte zu suchen und schlug des Bischofs Blick durch einen vollen Strahl ihres schwarzen Feuerauges zu Boden — „wenn er von seiner Fahrt heimkehrt."
Dem Alten schien der Moment passend, sich zu beurlauben, er that es mit einiger Unbehülflichkeit, zwang aber den Domherrn dadurch, ein Gleiches zu thun. Dieser hatte seinen Auftrag ansgerichtet und nichts mehr hier zu suchen. Dennoch nahm er etwas zögernd Abschied. Anna schenkte ihm einen freundlichen Blick, der wohl seinen Weg fand; gegen den Bischof benahm sie sich stolz und kühl. Als Beide fort waren, sprang Eörse auf, die in der Fensternische gekauert hatte und lachte. — „Vor dem Dicken hüte Dich, Frau," sagte sie in ihrer heimathlichen Sprache.
„Kannst Du Deine Zigeunerkünste nicht vergessen?" entgegnete Anna halb scherzend.
„Brauch's hier nicht!" rief Eörse. „Hab' ein gutes Auge. Bewachen wird er Dich besser, als alle Haiducken Deines Bruders und die des schmucken Grafen Stephan!"
„Still, böses Mädchen!" unterbrach sie Anna, schnell verdüstert. „Nichts von ihm, wenn Du mich lieb hast."
„So lieb, wie er!" betheuerte Eörse, doch, rasch zur Reue, warf sie sich vor der Herrin nieder und küßte ihren Fuß. — Anna seufzte tief und ging wieder an das Bett ihres Knaben, in dessen Anblick sie sich vertiefte.
„Vetter," sagte der Bischof Arbrecht im Hausflur zu Irlbach, „Ihr müßt mich begleiten. Wahrscheinlich hat Euch der Tollkopf, ich meine den Reinhard, in seiner Leidenschaft ein falsch Zeugniß über mein Verfahren gegeben. Ich muß Euch die Sache erklären. Esset bei mir, Ihr sollt treffliche Ortolanen und eine Barbe schmecken, dergleichen noch nicht im Hochstifte gesehen worden."
Die letzte Aussicht lockte den Domherrn nicht minder, als die Gewißheit, über Törrings Verhältnisse Aufschluß zu bekommen. Er sagte zu und stellte sich pünktlich ein. Der Bischof hatte veranstaltet, daß sie auf seinem Zimmer selbander speisten und sobald der erste Gang aufgetragen war, entfernte er die Dienerschaft.
„Stellt Euch nur die Lage der Dinge klar vor," begann er, als ihn Irlbach erwartungsvoll ansah. „Vor mir erscheint ein bärtiger, gebräunter Kriegsmann, der sich mir als den Sohn meines Bruders zu erkennen giebt. Ich habe ihn seit seinem zwölften Jahre nicht gesehen, wo ihn mein unglücklicher Bruder, der sich zum Lutherthum verirrt hatte, wie Ihr wißt, mit hinausnahm, um ihn im Feldlager der Unirten aufwachsen zu lassen. Solches pflegt nicht absonderlich auf das Seelenheil zu wirken. Doch gefielen mir Reinhard's Aeußerungen, die Offenheit, mit welcher er mir seine Noth und sein Zutrauen auf meine Hülfe kund that, ganz gut; ich vernahm zwar ungern, daß er unter dem Mannsfelder gedient, ihn auf seiner Flucht nach der Dessauer Schlacht bis in Ungarn und Sclavonien begleitet und nach seinem Tode, weil er einmaVdort noch war, dem Bethlen Gabor gefolgt, der grad wieder die Waffen ergriffen hatte — allein ich meinte, der Soldat nehme es nicht so genau mit der Wahl seiner Fahne und verhoffte, ihn jetzt, wo es sich zum Frieden anzulassen scheint, der Gesittung und vielleicht auch dem wahren Glauben wieder zu gewinnen. Da trat er mit seinem zweiten Gestündniß hervor, wenn ich es so nennen darf, denn er that nicht eben befangen, sondern, als ob es ganz in der Ordnung sei, was er mir erzählte. Nämlich in Ungarn, wo die Großen selbst das schlechteste Beispiel geben mit Wegelagerung, Weiberraub und blutiger Gewaltsamkeit,— er hat Euch wohl die Geschichte erzählt? So kann ich sie übergehen."
„Nicht eben!" sagte der Domherr hastig. „Nur Resultate weiß ich. Continuiret gewogentlichst, hochwürdiger Oheim."
„Es war dem Reinhard geglückt," fuhr der Bischof fort, „ein Fräulein, wie er sagt, a«s vornehmem
 
 
Geschlechte, einer großen Gefahr zu entreißen, als sie schon von einer Bande geraubt war und forgeschleppt werden sollte. Ihren Räuber hatte Reinhard zwar besiegt, aber selbst eine Schramme davongetragen, so daß er auf das Schloß, wo des Fräuleins alter Vater hauste, gebracht und allda verpflegt wurde. Wie Ihr gesehen, ist die Bewußte nicht unlieblich von Gestalt."
„Sie ist bildschön, wie ein Engel," rief der Domherr.
Sein Oberer mißbilligte den sündhaften Vergleich und erzählte dann weiter: „So kam es, daß Reinhard von einer Liebe befallen wurde, trotz dem, daß das Mädchen bereits die Verlobte eines Andern war. Dieser stellte sich auch ein, aber sie behandelte ihn von Stund' an mit Kälte — Reinhard sagt, weil er sich nicht um ihre Rettung hervorgethan — und am Ende brach sie mit ihm. Der Vater soll darauf sehr zornig gewesen sein und Reinhard das Schloß haben verlassen müssen, doch als er bald darauf zum Tode erkrankt, — berichtet Reinhard — habe er seine Härte bereut, in die Verbindung gewilligt und das Paar neben seinem Sterbelager durch einen Pfarrer, der ihm in der Todesstunde beigestanden, ehelich trauen lassen. Hat er es Euch auch so erzählt?"
Der Domherr umging die grade Antwort, welche ihm weitere Mittheilungen vorenthalten konnte; er äußerte nur, die ganze Geschichte sei ihm nicht recht klar.
„Nun also! Hab' ich nicht Recht?" rief der Bischof. „Der Zusammenhang des letzten Theils ist dunkel, nicht begründet, schlecht erwiesen. Auch sah ich deutlich, daß Reinhard sich hier nicht recht auslassen wollte. Der Verdacht liegt noch, daß die Unglückliche, von ihrer Liebe bethört, mit ihm geflohen und die ganze Geschichte der Einwilligung, samt Trausegen, nichts als eine Ersindung ist. Denn später auf den Kriegszügen, wo sie ihm gefolgt ist, werden sie wohl den Segen der Kirche nicht gesucht haben — wir wissen Das auch, trotz dem wir nichts mit dem Soldatentreiben zu thun haben, uns soll man nicht blind machen, wir haben auch gehört, wie es zugeht."
„Sollte es wirklich eine Fadul sein?" fragte der Domherr, welcher vor eifrigem Zuhören ganz roth geworden war. „Ich kann mir nicht denken — die Dame hat ein so sittiges Exterieur, ihre Nobilität spricht aus jeder Miene —" -,
„Vetter, wir können darüber nicht urtheilen," versetzte der Bischof. — „Ich zog nun den Handel in Ueberlegung. Wenn Reinhard die Wahrheit gesprochen, so hatte er volles Recht auf meinen Beistand und ich würde die Nichte mit Freuden aufgenommen haben. Im Gegentheil war ich fern davon, sie in's Elend zu verstoßen, ich hatte vielmehr die Abficht, das Geschehene gut zu machen. Wie anders sollt' ich die Wahrheit ermitteln, als daß ich Reinhard gebot, mir das Zeugniß des Pfarrers herbeizuschaffen? Es ist wahr, ich bestand mit einiger Strenge darauf und drohte ihm, da er sich widersetzte, ihn von seiner Gefährtin zu trennen und diese einem Kloster zu überweisen, bis ich Nachricht von ihren Angehörigen haben würde. Konnt' ich anders seinen Trotz beugen? Dann ließ ich die Herberge besetzen, weil er ohne diese Maßregel mit Weib und Kind geflohen wäre, um im Frevel zu beharren."
„Ihr thatet das in der freien Reichsstadt?" sagte der Domherr.
„Guter Vetter," versetzte der Bischof lächelnd, „vor zehn Iahren hätte ich es nicht gewagt, aber jetzt sind andere Zeiten und Ihr werdet noch mebr erleben. Es krähte kein Hahn danach und das Schimpfen des Wirthes verstummte, als die Eingelegten mit blanken Gulden bezahlten. Reinhard bestürmte mich mit Bitten, ich solle doch nur selbst sein Weib sehen, mich überzeugen, daß Alles, was er gesagt, Wahrheit sein müsse — als ob es dem Menschen im Angesichte geschrieben stände, wie es in seinem Herzen beschaffen ist!"
„Nun, es gibt doch Casus, in denen das Antlitz ein Spiegel der Seele," meinte Irlbach. „Besonders das Auge."
„Da habt Ihr Recht," rief der Bischof, „mein erster Blick, wenn ich neue Menschen sehe, trifft immer das Auge. Aber eben Reinhards Auge verrieth mir, daß irgend etwas nicht lauter sei. Darum setzte ich meinen Beschluß durch. Ist es nicht zu seinem eigenen Besten? Nun urtheilt selbst, ob ich anders handeln konnte, und ob es eine gar so grausame Sache ist, sich auf ein Paar Wochen vom Weibe zu trennen."
„Letzteres mögen wir Beide nicht unserm Iudicio unterwerfen," erwiederte Irlbach lächelnd. „Aber jetzt supponiret einmal, hochwürdiger Oheim, daß Reinhard bei seiner Impresa nicht reussirt —"
„Das hat er mir auch schon vorgebracht," fuhr der Bischof auf. „Wahrscheinlich hat der Bube die Absicht, mich zu betrügen, aber es soll ihm nicht gelingen!" — Ueber seine Heftigkeit beschämt, milderte er den Ton der Stimme gleich wieder und setzte hinzu: „In diesem Falle bleibt mir immer noch der Ausweg, bei den Verwandten der übelberathenen Frau, deren Namen mir Reinhard genannt hat, Erkundigungen einzuziehen. — Lieb ist es mir, daß Ihr Euch der speciellen Sorge um das Wohlergehen der Dame unterziehen wollt, für mich scheint es nicht passend, oft mit ihr zu verkehren, auch mag ihr mein Anblick nicht erfreulich sein und ich finde ihren Unwillen gegen mich sehr natürlich. Ihr jedoch könnt zuweilen nachfragen, ob ihr etwas mangelt."
„Dazu autorisirt Ihr mich?" fragte der Domherr etwas unsichern Blickes.
„Versteht sich, nicht gerade bei ihr selbst," ergänzte der Bischof. „Wolltet Ihr Euch oft dort blicken lassen, so könnte solches am Ende Eurem Leumund schaden, und leider sind nicht Alle, die unserem heiligen Stande angehören, so fest in der Prüfung, wie Ihr immerdar erfunden worden seid."
„Gott stärke mich auch ferner!" sagte der Domherr aufrichtig.
Als er den Bischofshof verließ, machte er einen ziemlichen Umweg, damit er nicht wieder an dem Hause des Bärenwirths vorüber kam, wo die Familie seines Freundes wohnte. Gegen Abend ritt er nach seinem Landsitze zurück, ohne sich weiter um sie zu kümmern. Aber schon den zweiten Tag darauf riefen ihn wiederum Geschäfte zur Stadt und da er einmal dort war und später vielleicht eine längere Zeit ausbleiben mochte, so beschloß er, seinem Versprechen treu, sich von dem Befinden der einsamen Frau zu überzeugen, um dann über sie ruhig sein zu können.
Er stieg diesmal geradezu im schwarzen Baren ab. Warum nicht hier so gut, als anderswo? — Der Wirth blinzelte schlau und frech, als er nach der „gestrengen Frau" fragte. — „Nun, sie hat jetzt mein bestes Gemach inne," sagte er, „die finstere Stiege mochte Seiner Gnaden nicht gefallen haben."
„Was meint Ihr?" fragte Irlbach. „Hat Seine Hochwürden Gnaden meine Muhme wiederum mit einer Visite favorisirt?"
„Noch nicht," sagte der Wirth. „Euer Hochwürden Muhme also? Gut! Wollt Ihr Euch bemühen?"
Irlbach hatte die Absicht nicht gerade gehabt, da ihn aber der Wirth nach dem Zimmer wies, das Anna jetzt bewohnte, so folgte er ihm und klopfte an die Thüre. Sie wurde rasch von innen geöffnet und die brennenden Augen der ungarischen Zofe trafen die seinigen so seltsam, daß sein Bewußtsein mit einem Male rege ward und seinem Benehmen die Sicherheit raubte. Nur Anna's freundlicher Willkommen gab ihm einige Zuversicht zurück. Er nahte ihr ehrerbietig, fragte nach ihrer Gesundheit und ihren Befehlen und berief sich auf seines Freundes Wunsch, ohne den er nicht gewagt haben würde, die Ruhe ihres Asyls zu stören. Sie dankte ihm, sie äußerte ihm ihre Freude, ihn wieder
 
 
zu sehen, den Einzigen, der es gut mit ihrem Reinhard und ihr selbst meine. Dies Gefühl, von dem sie durchdrungen war, gab ihren Worten einen so herzlichen Klang, ihren Blicken eine Innigkeit, welche ohnehin der Grundton ihres Wesens war, daß Irlbach ganz von ihr bezaubert wurde. Dazu kam, daß sie durch den häufigen Verkehr mit Männern jene Scheu und äußerliche Sprödigkeit, welche er an de« Frauen seiner Nachbarschaft kannte, verloren hatte, ohne jedoch in den entgegengesetzten Fehler zu fallen, welcher sogar sittenlose Männer abstößt. Und wie schön sie war! Diese schlanke, schmiegsame Gestalt, diese schwellenden Glieder, überall Kraft und Fülle bei dem zierlichsten Ebenmaß, — ihre kleine Hand von zartem Weiß so fein und länglich geformt, das blasse rührende Gesicht mit den geistreichen Zügen und ach! das Auge! Der Domherr stand plötzlich auf und empfahl sich. Ihre ungezwungene Einladung, wieder zu kommen, und ihr noch mehr von Törrings Kinderjahren zu erzählen, wie es heut ihre kurze Unterhaltung ausgemacht hatte, beantwortete er mit einer geschraubten Rede, deren Deutsch er zur Hälfte mit fremden Wörtern durchschoß, so daß sie fast unverständlich blieb. Er ließ all' seine Geschäfte im Stich, befahl seinen Zelter zu satteln und ritt so scharf, daß ihm der Diener kaum zu folgen vermochte, ja es geschah, was bis jetzt noch nie von ihm gesehen worden, er gab dem Rößlein die Sporen! das erschrak über die Maßen und rannte gestreckten Laufes dahin, bis es zu Adelmanstein dem Stallknecht überantwortet wurde,
wo es dann seinem abgesessenen Herrn mit unverkenbarem Erstaunen nachsah.
Irlbach war früher heimgekehrt, als man ihn erwartet hatte, die Abendmahlzeit blieb daher sehr lange aus, dennoch behielt der Domherr seinen Gleichmuth, wanderte verschränkten Armes auf und ab und sagte kein tadelndes Wort, als endlich aufgetragen wurde. Während des Speisens erklärten sich die Diener das Räthsel: er hatte keinen Appetit! Nur hastig, ohne Eifer und Nachdruck nahm er einige Bissen zu sich, dann saß er und schaute verdrießlich, fast betrübt in den Teller und als er endlich aufstand und seine letzten Befehle gab, klang seine Rede, die sonst der wälschen Ausdrücke wegen errathen werden mußte, so vernünftig, wie jedes andern Menschen. Er war gewiß krank.
Sie hatten ihn nun allein gelassen, er holte tief Athem und schlug den weitläufigen Hausrock über die Brust. „In meinem ganzen Leben ist mir kein so übler Auftrag geworden!" murmelte er vor sich hin. „Ulrich! sieh dich vor! Du hast dich selbst ertappt auf Blicken, so dir nicht zustanden, auf einem Wohlgefallen, das bedenklich scheint. Sie ist reizend — ja, das ist das wahre Prädikat! Sie reizet! Ihre Reize reizen. Pfui über dich, Ulrice, daß du solchen Reizungen nicht gewachsen bist!"
Mit dem festen Entschlusse, die Versuchung zu fliehen, legte er sich zu Bett. Sonst, wenn er übersatt sein weiches Lager suchte, hatte er kaum Zeit, die Decke überzuziehen, ehe er einschlief. Heut floh ihn der Schlummer, im halbwachen Zustande gaukelten ihm traumhafte Bilder vor, die seine Ruhe noch nie gestört hatten, erst spät überkam ihn der Schlaf, nicht erquicklich, wie sonst, sondern schwer und dumpf, eine Folge der Uebermüdung. Die Phantasie aber blieb rege und führte ihn in den Kampf, gab ihm ein Schwert in die Faust und hieß ihn für sein Leben fechten — Gedanken, die ihn noch nie berührt! Er erwachte in Schweiß gebadet, er freute sich, daß die Gefahr nur ein Traum gewesen sei, aber ihm stand ein anderer Kampf bevor, nicht minder gefährlich.
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Regensburg fing an, sich mit fremden Gästen zu füllen. Ueberall waren die Herbergen in Beschlag genommen, in den vornehmsten Häusern traf man Anstalten, die gekrönten Häupter würdig zu empfangen, schon kamen deren Vorläufer an, Handel und Wandel belebte sich, die Preise stiegen. Dem Wirthe zum schwarzen Bären war es unter diesen Umständen nicht zu verdenken, daß er seinen Vortheil wahrzunehmen suchte, und für Anna's Gemach, das freilich eins der besten in seinem Hause war, den Miethzins vervierfachte. Der Bischof, dachte er, muß ja doch zahlen. Aber die junge Frau forderte sogleich ihr früheres ärmliches Zimmer wieder und bestand auch, als er die Saiten niedriger stimmte, mit großer Hartnäckigkeit darauf, so daß er am Ende ihren Willen that und sie für den gleichen Preis in das schlechtere Gemach einquartierte. Sie hatte ihre Gründe dazu. Das Zimmer, das sie nach dem Wunsche des Bischofs beziehen müssen, bot grade die Aussicht auf den Platz, sie konnte nicht hoffen, der Aufmerksamkeit der Fremden zu entgehen und droben kümmerte sich Niemand um sie, auch hatte sie das enge Stübchen mit ihrem Reinhard bewohnt, die Erinnerung machte es ihr lieb. Dem Wirthe stand nun das große Zimmer leer und er durfte hoffen, bei dem heutigen Einzuge des Kaisers noch irgend einen vornehmen Herrn aufzugreifen, der wegen seines Unterkommens in Verlegenheit wäre und gern jeden Preis dafür zahlte. Er machte sich daher bei Zeiten an das Thor, um den günstigen Augenblick nicht zu versäumen.
Eörse sprach den ganzen Vormittag fast nur von den Festlichkeiten, die man bereitet, so daß ihre Herrin ihr endlich lächelnd die Erlaubniß gab, den Einzug anzusehen. Auf flüchtigen Fersen eilte die Dirne hinab und drängte sich durch die Menge, bis sie die blumengeschmückten Straßen, die Doppelreihe der bewaffneten Bürger, welche vom Thore an aufgestellt war, hinter sich hatte und einen Platz gewann, wo sie Alles bequem sehen konnte. Es traf sich, daß auch ihr Hauswirth in der Nähe war, dieser nahm das Mädchen unter seinen Schutz und ließ es sich angelegen sein, ihr Alles zu erklären.
Eben donnerte der erste Kanonenschuß vom Walle, es war das Zeichen, daß der kaiserliche Wagenzug sich der Stadt nahe. Aber es verging noch eine geraume Zeit, ehe die vorsprengenden Reiter ankamen, die nun Halt machten und sich ordneten, um gemessenen Schrittes die Prunkwagen zu eskortiren. Ein fremdartiges Geschwader! die guten Regensburger verwunderten sich nicht wenig über ihre sonderbare Tracht und Bewaffnung und der Bärenwirth stieß Eörsen, welche verstummt mit weit aufgerissenen Augen die Reiter anstarrte, wiederholt in die Seite, um ihr seine Beobachtungen mitzutheilen. Fast Alle ritten weißgeborene Hengste, deren Mähne, Schweif und Beine mit leuchtendem Roth gefärbt waren, sie trugen enganschließende Kleidung von kostbarem Stoff, mit vielen Knöpfen und Schnüren besetzt, Stiefeln von Maroquin roth oder gelb, hohe Pelzmützen mir Reiherfedern, krumme Säbel nach Türkenart. Eörsens Herz schlug höher bei dem Anblick, sie sah stolz umher, als wolle sie die Bewunderung für die prachtvolle Schaar einsammeln. — „Das sind des Königs Haiducken," erklärte der Wirth.
„Haiducken laufen zu Fuß!" sagte sie verächtlich. „Ieder Gespan hält sich Haiducken, bewaffnet Fußvolk. Das sind magyarische Edelleute!"
Ietzt rollte der Wagen des Königs von Ungarn, von sechs Pferden gezogen, schwerfällig daher, im > Schlage standen Oberhofmeister und Kammerherr; Hellebardiere begleiteten den Wagen, Alle baarhaupt, auch die Dienerschaft, bis auf den Kutscher. — „Schau, Mädel!" sagte der Wirth, „das soll unser künftiger
 
 
Kaiser werden! Gefällt er Dir? Mir nicht! Hat ein ellenlang Gesicht, nicht mehr Haare drin als Du, und die gedrehten Locken an der Seite lassen recht wie es die Epaniolen tragen, vor denen Dich Gott bewahren möge!" — Er schielte sie bedeutsam an.
Neuer Kanonendonner unterbrach seine Rede, der Wagen des Kaisers erschien. Ferdinand der Zweite saß allein auf dem geräumigen Sitze, die Kaiserin rückwärts. Während der Zeit war der Magistrat in schwarzer Feiertracht heraus getreten, das Oberhaupt des Reiches zu empfangen, ein Baldachin schwebte in der Luft, Begrüßungsrede, Musik, Zujauchzen fehlte nicht, der Kaiser dankte huldreich und die Wachen hatten alle Mühe, den Zudrang des Volkes zurückzuhalten. Keinen Blick verwandte der Bärenwirth von dem ernsten Antlitze des Kaisers, wenn er ihn schon als eifriger Lutheraner nicht eben liebreich betrachtete, Eörse dagegen sah nach einer ganz andern Richtung, ihr Athem ging rasch, sie zuckte mehrmals zusammen. Der Wirth, der ihr seine Bemerkungen vertrauen wollte, wurde gewahr, daß sie nach dem Wagen der kaiserlichen Prinzessinnen blickte, welcher dem der Majestäten folgte.
„Ia das wird freilich hübscher sein," sagte er. „Inzwischen sieht man doch einen Potentaten gern, und sein blaues Wamms mit Silberblumen nimmt sich auf den rothen Sammtkissen ganz gut aus. Du bist aber auf des Kaisers Töchter neugierig — oder schaust Du nach den schmucken Kavalieren, die den Wagen begleiten? Kann Dir's nicht verdenken! Wenn Du mir ein gut Wort giebst, suche ich den Hübschesten aus und biete ihm Herberg in meinem Hause an!" „Ihr wolltet —?" fuhr Eörse erschrocken auf. „Wie das gleich Feuer fängt!" lachte der Wirth. „Nun Dir zu Gefallen werde ich mich darum bemühen, einen recht jungen, schönen, reichen Herrn zu kriegen, der die Ducaten nicht schont! Kann die alten Griesbärte selber nicht leiden, — geiziges Wolk! Aber Mädel! was fällt Dir ein? Sie werden Dir eins mit der Hellebarde geben."
Die Ungarin drängte sich ungestüm vor, als der Wagen der beiden Prinzessinnen nahte. Sie hörte die Warnung nicht, ihr Auge hatte einen Gegenstand gefaßt, von dem es nicht abließ und erst, als das Geschwader der Edelleute, welches dem Wagen folgte, vorüber war, und eine Schaar leichtbewaffneter Reiter den Zug schloß, erwachte das Mädchen gleichsam, und rief: „Keinen von diesen! Versprecht es mir!"
„Warum denn, Mäuschen?" fragte der Wirth. „Hast Du Dir was Anderes ausgesucht?"
Der Strom des Volkes, der sich nach dem Innern der Stadt zurückwälzte, riß auch das Paar in der allgemeinen Richtung mit sich fort und ehe der Wirth sich dessen versah, war Eörse von seiner Seite verschwunden. Sie kämpfte mit der Kraft ihrer Ellnbogen quer durch die Menge, daß sie ein Seitengäßchen erreichte, wo sie ungehindert und flink, wie das Reh ihrer karpathische» Berge, davonsprang. Sie hoffte, trotz des Umwegs rascher nach Hause zu kommen, aber fremd wie sie war, konnte sie sich in dem Labyrinth der Gassen nicht zurechtfinden und war auf einmal wieder dem Getümmel nah, dicht an der Wohnung , die man dem Könige von Ungarn bereitet hatte. Einen Moment blieb sie stehen und spähte unter den Reitern, die noch immer durcheinander wogten, umher. Dann sah sie sich nach dem Wege um, den sie zu nehmen hatte: er führte sie mitten durch das Gewühl. Sie besann sich nicht lange, sie hatte keine Zeit zu verlieren. Eilends schlüpfte sie, die Pferde vermeidend, die Menschenmenge theilend, nach der jenseitigen Straßenecke, wo nur noch wenig Schritte bis zu ihrer Wohnung waren. Da erschreckte sie plötzlich der grause Nationalfluch von einer Stimme, die sie nur zu gut kannte — sie glaubte, es gelte ihr, sie sei erkannt; sie rannte ohne aufzublicken durch die Lücke, welche sich ihr eben bot, von dannen, aber in demselben Moment wollte auch ein Reiter dieselbe benutzen, sein Pferd streifte das Mädchen mit dem Bug und warf sie nieder. Laut auf schrieen die Zeugen, das Volk schimpfte auf den Fremden, der, den Unfall bemerkend, den er angestiftet hatte, sofort vom Pferde sprang und sich der Beschädigten hülfreich erweisen wollte. Eörse, welche sich an der Stirn verletzt hatte, so daß ihr das Blut über die Wange rieselte, war aber schon wieder auf den Füßen, heftete einen schnellen Blick auf ihn und wie verscheucht, stürzte sie sich, zur Flucht gewandt, auf den Kreis der Umstehenden, zersprengte ihn und war verschwunden. Der Fremde hatte nicht einmal Zeit gehabt, ihr ein Goldstück, nach dem er gegriffen, zum Schmerzensgelde zu geben. Er wollte wieder aufsteigen, aber
das Wolk war durch den Anblick des Blutes gereizt, es tobte in wildem Geschrei und nur die kühne Haltung des Fremden war sein Glück, daß nicht Hand an ihn gelegt wurde. Wohl hatte sich seine Wange etwas höher gefärbt, als er sich vom Pöbel bedroht sah, aber ohne sich irren zu lassen, schob er die Nächsten keck beiseit, gab dem Burschen, der sich der Zügel seines Resses bemächtigt hatte, das Goldstück, welches dem umgerittenen Mädchen bestimmt gewesen, in die Hand, als Lohn für seine Bemühung und schwang sich ruhig in den Sattel.
„Schaff' mir eine Herberge!" rief er dem Gesellen zu, der schmunzelnd die blanke Münze betrachtete.
„Herberge? Hier!" schrie ein Mann, der eben dazu kam — es war der Bärenwirth. „Sucht Ihr Herberge? Ich kann zwar eigentlich keinen Winkel mehr missen, aber es wäre unchristlich. Euch auf der Straße zu lassen." — Und eine weitläufige Anpreisung seines Hauses und seiner eigenen Person erfolgte, welche der Fremde mit dem Befehl unterbrach, ihn unter Dach zu fördern. Sein lauter Ruf brachte noch einige Knechte mit Packpferden herbei, zugleich auch Einen seiner vornehmen Genossen, der ihn mit gerunzelter Stirn fragte: ob er untergebracht sei? und auf die bejahende Antwort einen heftigen Fluch ausstieß, daß es ihm selbst noch nicht gelungen.
„Ich theile Bett und Raum mit Dir!" sagte der Erste mit offnem Anerbieten. Aber der Andere dankte ihm stolz und ritt zu seinen Knechten.
Während dies vor dem Hause des Königs von Ungarn geschah, war Eörse athemlos die dunkle Stiege zum Gemach ihrer Herrin hinaufgesprungen und trat, mit bluttriefendem Antlitz, ein Bild zum Entsetzen/ über die Schwelle. — „Ihr Heiligen!" schrie Anna. „Was ist Dir begegnet?"
„Er, Er ist hier!" rief Eörse. „Ich bitte Dich, Frau, —"
„Wen meinst Du? Gott, Du blutest, Du bist verwundet! Sagemir!" drängte Anna bleich wie eine Lilie.
„Graf Iury," sprach das Mädchen, die Hände ringend.
Mit einem Laut der Bestürzung sank Anna in den Sessel zurück. — „Und das ist von Ihm!" stöhnte sie, auf die Wunde der Verletzten deutend. „Ich erkenne seine Weise!"
„Ach und Graf Stephan auch!" sagte Eörse. „Er ritt mich nieder, ich habe in sein Auge gesehen!"
Beide Hände erhob Anna, purpurglühend im jähen Schreck, keines Wortes mächtig. — Da wurde es unten im Hause laut von Pferdegetrappel und vielen durch einander schreienden Stimmen, Eörse horchte mit verhaltenem Athem, endlich schlich sie zur Thüre, öffnete diese und lauschte ein Weilchen hinaus. Dann machte sie behutsam wieder zu, nickte bedeutsam und sagte: „Magyaren!"
„Nur Er nicht!" rief Anna aufspringend, „Gott, großer Gott, das erspare mir! — Eörse, meine Treue, komm, sorge für Deine Wunde, laß sehen, es ist nur eine leichte Verletzung, wasche das Blut ab, ich will Dir ein Balsampflaster auflegen, das binde fest über
 
 
das halbe Gesicht — so kennt Dich Niemand. Auch ist es ja lange her — daß — Du mußt mir Gewißheit schaffen!"
Stumm that das Mädchen, wie ihr geheißen war. Indessen sie sich aber damit beschäftigte, kam Iemand die Treppe herauf und klopfte an. Der Muth fehlte Beiden, Herein! zu rufen. Es war der Wirth.
„Was Geier!" sagte er. „Du bist die Umgerittene? Ich hörte nur davon reden! Das trifft sich ja prächtig für Dich. Der Mann ist hier, Du kannst ihn gleich belangen, er schmeißt mit Ducaten um sich. — Wahrhaftig, gestrenge Frau, ein hunniarischer Kavalier, gewiß ein Doppelgespann!"
„Sein Name?" fragte Anna mit einer Stimme, die nach Festigkeit rang.
„Hm! Weiß ich doch den Eurigen nicht einmal!" sagte der Wirth. ,,Das heißt," setzte er hinzu, als er das Auge der Frau unwillig blitzen sah, „Euren eigenen Familiennamen, nicht den Eures Herrn. — Wie der Kavalier heißt, weiß ich nicht, ich kam aber herauf, Euch zu sagen, daß er Euer Landsmann ist und habe ihm auch schon erzählt, daß eine Dame bei mir wohnet, die von Geblüt —"
„Wer hat Euch das gesagt?" fiel Eörse ein. „Ich bin eine Magyarin! Aber die Frau, wie kommt Ihr darauf?"
„Nicht?" sagte der Wirth verwundert. „Nun freilich gehabt Ihr Euch ganz deutsch — ich dachte nur, gestrenge Frau, weil das Mädel da — nun, da muß ich's widerrufen."
„Thut das!" sagte Anna. „Ich bin, und kann nie etwas Anderes sein, als eine Deutsche!"
„Auch von mir erzählt ihm nichts!" rief Eörse. „Ich will nichts mit ihm zu schaffen haben, will ihn nicht sehen, der mich anritt, wie ein Bosniak."
„Ach, Du Schelm!" sagte der Wirth. „Das wird sich finden. Nichts für ungut, gestrenge Frau." — Er ging und ließ die Gequälte rathlos zurück.
„Du weißt ganz gewiß, daß der Mann, dessen Pferd Dich beschädigte — der Graf von Sarosch gewesen?" fing Anna nach einer ängstlichen Pause an. — Eörse betheuerte es. — „Und er ist hier, hier im Hause!" rief Anna.
„Ach, vor ihm darfst Du Dich nicht fürchten!" sagte die Dienerin. „Aber wenn Du errathen würdest, daß Graf Iury —"
„Wir müssen fort!" unterbrach sie Anna. „Fort von hier, ehe es zu spät wird. Wenn Iury mich entdeckt, bin ich verloren! Ach, daß Reinhard fern sein muß! Sein Arm hätte mich geschützt — uns Alle! Wohin sollen wir uns wenden!"
„Icb geh' zum Bischofe!" sagte Eörse. „Er hat uns dazu aufgefordert, wenn wir in Noth sind."
Anna schüttelte den Kopf—„Eher hätte ich zuReinhards Freunde Vertrauen," sprach sie gedankenvoll. „Er meint es ehrlich, ex wird sich unsrer annehmen!"
„Der dicke Herr hat aber ein Auge auf Dich!" rief Eörse.
,,Schäme Dich, Mädchen!" schalt Anna unwillig. „Er nimmt Antheil an mir um Reinhards willen. — Ich muß ihm vertrauen. — Wirst Du seinen Namen behalten? Dich nach ihm erkundigen? Gewiß ist er in der Stadt. Such' ihn auf, bescheide ihn zu mir."
Die Dirne erklärte sich bereit, ließ sich mit einem Tuche verbinden, daß sie ganz unkenntlich wurde und ging, vorläufig beim Wirthe Erkundigungen einzuziehen. Der wußte von Irlbach nichts, wies sie aber nach der Herberge, wo er abzusteigen pflegte. Als sie das Haus verließ, um der Anweisung zu folgen, mußte sie dicht an dem Manne vorüber, dessen Nähe sie um ihrer Herrin willen scheute. Er gab einem Knechte, den er verschicken wollte, in ungarischer Sprache Befehle und zeigte ihm die Richtung, die er zu nehmen hatte. So bemerkte er Eörsen, die wie ein Pfeil vorüber schoß nicht, aber sie hatte wohl verstanden, was der Knecht bestellen sollte und tröstete sich nur damit, daß Frau Anna hinter ihr sorgfältig die Thüre verschlossen hatte. Mit großer Genauigkeit hatte der Wirth ihr das Haus beschrieben, wo der Domherr von Irlbach zu finden sei, sie konnte nicht fehlen, als sie aber dort ankam, fand sie das nämliche Treiben, wie im schwarzen Bären, nur daß hier nicht Ungarn, sondern die Edelleute des Churfürsten von Cöln hausten, welcher dort seine Wohnung gefunden hatte. Ein riesiger Hellebardier im schwarzen Sammetrock, mit weiß und blau geschlitzten Beinkleidern hielt die Wache an der Thüre und wies das Mädchen barsch zurück, sie wollte auf seinen Zuruf nicht achten und hätte gewiß für ihre Hartnäckigkeit gebüßt, wenn nicht eben ein Wagen vorgefahren wäre, in welchem sie den Bischof von Regensburg erkannte. Schnell entschlossen benutzte sie den Augenblick, da der geistliche Herr ausstieg, ihm nahe zu kommen und eilig zu sagen: Meine Frau ist in Noth und muß Euch sprechen! — Unangenehm betroffen winkte ihr der Bischof zurück, Mehrere seines Gefolges mußten die Dirne bemerkt, ihr Anliegen gehört haben, es war ihm im höchsten Grade verletzend, so öffentlich und in so zweideutiger Art angetreten zu werden. Rasch entfernte er sich in das Haus; Eörse, zufrieden, doch etwas für ihre Herrin gethan zu haben, machte sich auf den Rückweg. Sie sah wieder den Knecht des Grafen von Sarosch, der noch immer nicht sein Ziel gefunden hatte und alle Häuser anglotzend, an ihr vorüber ging. Aufathmend beschleunigte die Magyarin ihren Schritt und erlöste Frau Anna, welche sich allein um so verlassener fühlte, von einer großen Angst.
„Ich habe den dicken Herrn nicht gefunden," sagte sie, „aber den Bischof. Dem hab' ich gesagt, daß Du ihn sprechen mußt."
„Das ist mir unlieb!" rief Anna. „Ihm am Wenigsten mag ich verpflichtet sein. Es drückt mich ohnehin, daß er für uns sorgt."
„Er muß Dich fortschaffen, Dich anderwärts sicher unterbringen," sagte Eörse. „Ich habe gehört, wie Graf Stephan den Knecht ausschickte, nach dem Warhely zu fragen und ihn herzuführen."
„Sie sind also noch befreundet!" rief Anna. „Ich sähe doch Iury gern einmal wieder — wenn er nicht so hart wäre!"
„Ei, Frau, doch lieber den schönen Grafen Stepfan?" entgegnete Eörse.
Anna blickte schmerzlich zu Boden und winkte ihr zu schweigen. — „Er ist, Gott weiß! noch schöner geworden," fuhr Eörse fort. „Und freundlich muß er auch noch sein, denn er sprang gleich vom Pferde und wollte mir helfen."
„Ich bitte Dich, Gute, sprich nicht von ihm; Du thust mir weh!" sagte Anna.
„Ha! Es thut Dir leid? Nicht wahr, leid?" rief die Dirne mit funkelnden Augen. „Du möchtest Alles gut machen? Das geht! Darum ist er hier! Sprich ihn, sei ihm wieder gut, er wird Dir nicht bös sein!"
Wie von einer Schlange gestochen, sprang Anna auf und zu ihres Knaben Bett, das sie umklammerte, wie der Verfolgte das kirchliche Heiligthum, dessen Unverletzlichkeit ihn schützen soll. Eörse war vor ihrem leidenschaftlichen Beginnen verstummt und nur das leise krampfhafte Schluchzen der Frau unterbrach die Stille. Ihre Worte bereuend schlich das Mädchen zu ihr, und küßte demüthig den Saum ihres Gewandes. Anna reichte ihr die Hand. Beide schwiegen.
Es war spät Abend und die Dämmerung, welche in Iunitagen nie zur Nacht übergeht, bereits eingebrochen , als der Wirth noch erschien, einen Gast anzumelden. „Euer hochwürdiger Vetter, gestrenge Frau!" rief er in die Thüre.
Der Domherr von Irlbach trat ein. Anna empfing ihn mit großer Freude, wie einen Retter, von ihrem guten Sterne hergeführt, er aber benahm sich
 
 
sehr zurückhaltend. — „Wollet excusiren," sprach er, „daß nicht mein Oheim in Person Eurem Rufe gefolgt. Er ist mit Geschäften cumulirt und hat mich an seiner Statt'geschickt, der ich ihm und Euch Obedienz schuldig bin."
„Ihr seid mir in meiner Roth gesandt!" rief Anna. „Ich dachte, mich Euch anzuvertrauen, dessen Freundschaft Reinhards Gattin nicht verlassen wird, wo sie von Gefahren bedroht ist."
„Ihr bedroht?" rief Irlbach wärmer. „Was kann Euch geschehen sein? Sprecht! Ihr sollt mich treu finden!"
„Es sind Feinde — meines Gemahls in der Stadt, in diesem Hause!" sprach Anna. „Wenn sie mich erkennen, bin ich in ihrer Gewalt und vielleicht mit meinem unschuldigen Kinde einem schrecklichen Schicksal verfallen!"
„Wer darf es wagen, hier in einer freien Stadt, Euch, die unter dem Schutze des Bischofs steht, ein Leid zuzufügen?" rief der Domherr. „Nennt mir diese Feinde, damit ich sie zur Rechenschaft ziehen kann."
„Noch wissen sie nicht um mein Hiersein," erwiederte Anna. „Aber wenn sie davon hören, würde mich keine Macht vor ihnen schützen. Ist es Euch daher möglich, mir noch heut oder spätestens morgen in aller Frühe ein Fuhrwerk zu schaffen, daß ich diese Stadt verlassen kann, so würdet Ihr eine Unglückliche zu ewigem Danke verpflichten. Denkt, daß Ihr es Eurem Freunde thut."
„Regensburg wollt Ihr verlassen?" entgegnete der Domherr, von Zweifeln und Plänen bewegt. „Wohin aber gedenkt Ihr zu ziehen , daß Euch Euer Herr wieder findet? Er hat mir — und unserm Oheim — die Pflicht committiret —"
„Gleichviel, wo ich ein Unterkommen finde!" rief Anna, ihn unterbrechend. „Ihr könnt meinen Gemahl, wenn er zurückkehrt, benachrichtigen, wo er mich trifft. Nur rathet, helft mir jetzt. Es ist keine Zeit zu verlieren."
„So erlaubt, daß ich dem Bischofe, der mich hergeschickt, referire," sprach Irlbach, immer verwirrter. „Sorget nicht! Ihr werdet vor jeglicher Calamität geschützt sein! Noch vor Nacht erhaltet Ihr Bescheid."
Er ging mit kurzem Abschiede, den Kopf ganz voll, das Herz überwallend. — Wer waren die Feinde, vor denen die holde Frau zitterte? Im Hause weilten sie! Er fragte den Wirth nach seinen Gästen. Der hatte aber außer dem Grafen von Sarosch noch mehrere Fremde, so daß Irlbach's Verdacht keine bestimmte Richtung gewann. Eben, als er das Haus verließ, trat ein reichgekleideter Ungar ein, der ihn barsch fragend anrief?, „Graf Sarosch?" — Irlbach's Höflichkeit konnte ihm den Bescheid nicht versagen, daß ein solcher allerdings im Hause wohne, der hinzutretende Wirth übernahm die nähere Zurechtweisung.
„Willkommen, Iury!" rief der Graf, als er den Freund erblickte. „Denke, mich hat der Zufall in das Haus geführt, wo das Mädchen, das ich umritt, wohnt, es soll noch dazu eine Magyarin sein. — Nun Wirth?"
„Ich weiß weiter nichts, als was ich Euer Gnaden schon sagte," versetzte dieser. „Die Dame kam vor einiger Zeit mit ihrem Begleiter an, der nun wieder abgezogen ist. Seitdem erhält sie oft Besuch von geistlichen Vettern, worunter auch unser gnädigster Herr. Doch lehnt sie die Ehre ab, zu Eurer Nation zu gehören, die Magd nur ist ungrisch. Ein Kernmädel! Thut zwar sehr böse auf Euch und will Euch nicht einmal sehen, aber ich denke —"
„Schon gut!" unterbrach ihn der Graf. „Besorgt Speis' und Trank. — Nun, mein Bruder," sagte er, als der Wirth abgegangen war, „hast Du Dich mit der Stadt versöhnt?"
„Hol' sie der Teufel und alle Deutschen dazu!" rief der Andere, seinen schwarzen Bart in eine scharfe Spitze drehend. „Mir ist die ganze Reise verhaßt! Und wenn ich denke, daß dadurch vielleicht Alles, was ich so klug eingeleitet habe, zu Schanden wird! Stephan! Wenn ich das wüßte!" — Er stampfte klirrend mit dem Fuße.
„Du solltest froh sein, wenn die Versuchung Dir erspart würde," sagte der Graf mit einem unterdrückten Seufzer.
„Versuchung?" rief Iury wild. „Ich weiß von keiner, denn^nein Entschluß ist längst gefaßt! Gyonvar's Mauern reden nicht und die Karpathenspitzen, die in mein Schloß schauen, noch minder. — Du bist zahm, wie ein Deutscher, Dich hat keine Magyarin gesäugt! Du, der mehr Grund hat, als ich, zum bittersten Hasse, Du sprichst weich und weibisch."
„Warhely!" sagte Sarosch ernst verweisend.
„Ia, zum Teufel, ich wiederhol' es!" rief Warhely. „Sprich doch, sprich, was würdest Du thun, wenn Beide gebunden Dir zu Füßen lägen? Würdest Du wie ein Mann Deine Ferse auf ihren Nacken setzen?"
„Der Türken Art ist nie mein Vorbild gewesen sagte der Graf unwillig.
„Schmähe die Türken nicht!" entgegnete der hitzige Iury. „Es würde Manches anders stehen, wenn unsere Väter einstimmig zum Zapolya gehalten hätten!"
fassen wir den Streit" bat Sarosch. „Ich kann nur wünschen, daß Deine Nachforschung vergeblich sei, nachdem ich gehört, welches Loos die Unglücklichen von Dir zu erwarten haben."
„Und das wirfst Du mir in den Bart?" fuhr Warhely auf. „Du hast wohl selbst ihre Flucht begünstigt? Du, der an Allem Schuld ist! Hättest Du Deine Braut, wie ein echter Magyar, gehütet, sie vertheidigt, nie aus den Augen gelassen, tapfer das Leben eingesetzt, sie zu befreien — wie hätte der Fremdling sie gewinnen können? Ist es der Anna zu verdenken, daß sie Dich, der nicht den Säbel für sie zog, aufgab, daß sie dem Deutschen, der sein Blut für sie vergoß, lieb gewann? Zum Teufel, nein! Und darum hasse ich sie nicht! Aber daß sie die Ehre Warhely's vergaß, das, das fordert Rache!"
Des Grafen männliches Antlitz hatte sich mit einer schönen Röthe gefärbt, sein Auge blitzte. — ,Ich verschmähe es," sagte er stolz, , auf Deine ungerechte Anklage zu antworten. Wenn Du ruhig bist, wirst Du Dich selbst ihrer schämen,"
„Ruhig?" schnaubte Warhely. „Der Teufel hole das Wort! In meinem Kopfe steht es nicht."
Die ungezähmte Natur des Wilden hätte vielleicht trotz der Mäßigung seines Freundes zu einem Bruche, wo nicht gar zu einem Zweikampfe geführt, wenn nicht der Wirth mit dem Abendessen dazwischen getreten wäre. Sein Geschwätz diente dazu, die vorige Scene ganz abzubrechen. Er erzählte von der Ankunft der Churfürsten und ihrem Gefolge, rühmte die Pracht des von Trier gegen seinen Bruder, den Baiern Mar, den er überhaupt, als das Haupt der katholischen Liga, bitter haßte und schloß mit einigen kühnen Prophezeihungen, die er auf das Ausbleiben der protestantischen Churfürsten von Sachsen und Brandenburg baute. Der Graf von Sarosch ließ ihn plaudern, da ihm die Unterbrechung nicht unlieb war, er hörte jedoch wenig auf ihn, seine Gedanken waren zu gewaltsam auf die Vergangenheit gelenkt worden. Hielt ihn denn das Selbstbewußtsein ganz aufrecht? Es tröstete ihn, aber den Schmerz der aufgerissenen Wunde vermochte es nicht zu lindern.
Als der Wirth endlich seinen Rückzug nahm, bot Warhely, nach Art jähzorniger Menschen schnell besänftigt, dem Freunde die Hand. Beide setzten sich und blieben bis Mitternacht zusammen.
 
 
4.
Für einen unbetheiligten Zeugen wäre es sehr ergötzlich gewesen, die Verlegenheit zu sehen, in welche der Bericht des Herrn von Irlbach seinen Oheim setzte. Dem guten Bischofe war es in diesem Augenblicke schmerzlich Kid, sich einem so mißlichen Geschäft, als die Behütung eines Frauenzimmers überall ist, unterzogen zu haben, doch hielt er sich zu sehr an sein Wort und seine Pflicht gebunden, als daß er jetzt, wo sein Schutz in Anspruch genommen wurde, denselben versagen sollte. Auf der andern Seite lag die Besorgniß ziemlich nahe, ob er nicht ein Unrecht thue, die Geflüchtete — als solche betrachtete er sie! — vor ihren Verwandten zu bergen. Denn nach der natürlichsten Erklärung konnten die Feinde, vor denen sie zitterte, keine andern sein, als ihre Verwandten, welche gekommen waren, sie zurückzufordern. Hier kam es nun darauf an: hatten sie ein Recht dazu? Oder war es Rache, wonach sie gelüsteten? Im ersten Falle entstand ein schlimmer Conflict zwischen seinem dem Neffen gegebenen Versprechen und der Verpflichtung, die ihm sein Gewissen und sein Amt auflegte; es war aber auch der zweite Fall, besonders wenn sein Neffe, wie er herzlich wünschte, die lautere Wahrheit gesprochen , wohl denkbar und dann schien ein rasches entschlossenes Handeln erforderlich. Dazu war aber weder der alte Herr, noch sein umfangreicher Vetter der Mann. Sie saßen sich gegenüber und erschöpften sich
in Muthmaßungen, ohne daß es zu einem Entschlusse kam. Endlich sagte der Bischof: Es könnte der ärgerlichen Ungewißheit mit einem Male abgeholfen werden, wenn man — versteht sich ohne die Frau zu gefährden — mit ihren muthmaßlichen Angehörigen Rücksprache nähme, sie um Auskunft über die obwaltenden Verhältnisse bäte und sich zum Vermittler einer Aussöhnung antrüge! Meint Ihr nicht auch?"
„Ehe das aber so weit gediehen wäre," erwiederte der Domherr, „könnte schon die Arme ihrer Rache verfallen sein." , -'
„Da habt Ihr Recht," versetzte der Bischof. „Sie könnten sie entdecken, mit Gewalt entführen und Alles wäre zu spät. O des Leichtsinns, der sich in solche Lage brachte!" — Die hellen Schweißperlen traten auf seine Stirn. . ,
„Mich dünkt, daß wir durch solche Erclamatio- nes nicht prosperiren," bemerkte Irlbach. „Die Dame wünscht Regensburg zu verlassen, ein Vehikel für sie ist bald besorgt, aber Frage: wo schaffen wir ihr ein Unterkommen, daß sie sicher die Retour ihres Herrn erwarten kann?"
„Reffe, zu Adelmanstein!" erwiederte der Bischof.
Der Domherr fuhr zurück und wurde blutroth. — „Bei mir?" stotterte er. „Das geht nicht! Das geht auf keine Weise!" . , >. ^
„Ich ehre Eure Scrupel," versetzte der Sheim, „es war auch nur ein flüchtiger Gedanke. Fern sei es von mir, Euern guten Leumund vor den Menschen in Gefahr bringen zu wollen. So lasset uns einen andern Rath ersinnen. In das erste beste Dorf können wir die Arme nicht schicken, dorthin reicht unser Schutz nicht, sie einem unserer Amtleute anvertrauen. —"
„Hieße Euch selbst exponiren!" unterbrach ihn der Domherr.
„Gewiß!" bestätigte der Bischof. „Guter Neffe, handelt, wie es Euch der Geist eingiebt. Die Zeit, sehet Ihr, drängt. Schafft nur ein Fuhrwesen, bis dahin wird Euch ein Ort einfallen, wohin Ihr sie einstweilen sendet, Ihr habt ja der Bekannten so viele. Eilet, eilet, ehe es zu spät wird."
Auf diese Weise lud der Bischof die ganze Verantwortung auf die Schultern des Domherrn und behielt sich selbst das schwierige Unternehmen vor, mit Anna's Verwandten eine Aussöhnung zu bewirken. Wenn er nicht wußte, wo die Verfolgte geblieben war, konnte er viel ruhiger auftreten. Der Domherr sträubte sich nicht, er zitterte zwar merklich am ganzen Leibe, aber sein Blick war entschlossen. Aufstehend versprach er, morgen Bericht abzustatten, was er gethan habe. Der Bischof bat, damit zu warten, bis seine Unterhandlung zum Schlusse gediehen sei. „Scheitert sie," sagte er, „so verschweigt mir den Aufenthalt der Armen."
Irlbach ging mit sich kämpfend nach Hause. Er stolperte viel unterwegs, sein Gang wurde immer rascher, endlich stand er keuchend auf der Straße still, legte die Hand auf das Herz und fragte betrübt: „Hab' ich denn böse Absichten? Kann es mir denn in den Sinn kommen, auch nur mit Gedanken gegen Tugend und Freundschaft zu freveln? Woher also diese Angst, als sei ich mir eines Criminis bewußt?"
Er untersagte sich, Frau Anna selbst von seinem Vorhaben zu unterrichten. Er schrieb einen Zettel, den er dem Knecht des Wirths zur Bestellung in Anna's eigene Hände übergab. Das Blatt enthielt nur die Meldung, daß in der Morgendämmerung gegen zwei Uhr ein zuverlässiger Fuhrmann sie abholen werde. Als der Bote fort war, seufzte der Domherr mehrmals vernehmlich, doch war er froh, die Angelegenheit beseitigt zu haben.
Der Wirth zum Bären wunderte sich, als ihm die fremde Frau, gleich nach Empfang des Briefleins, das er dem Boten nicht hatte abschwatzen können, eröffnete, sie werde früh verreisen und ihre Rechnung bezahlte. Er säumte nicht, dem Grafen von Sarosch, bei dem er noch zu thun hatte, die Neuigkeit mitzutheilen. — „Wenn Ihr die Dame sehen solltet, sie ist ein Bild von Schönheit," sagte er. „Mir würde zwar die rothbäckige, frische Magd besser gefallen, aber vornehme Herren ziehen die blassen Gesichter vor."
„Ich bin nicht neugierig," erwiederte der Graf. „Stellt der Dirne, da ich sie selbst nicht mehr sehen kann, dies zu." — Er reichte dem Wirth einige ungezählte Geldstücke. Der steckte sie zu sich und sagte pfiffig! „Es scheint, als wollten die da oben Iemand aus dem Wege gehen. Ich habe so meine eigenen Betrachtungen angestellt."
„Die will ich Euch erlassen," sagte der Graf.
„Nehmt's nicht übel — ist Euer Name Stephan?"
fragte der Unabweisbare. „Ia? Wieso, nicht wahr? — Nun, das Ungarmädel kennt Euch."
„Mich?" rief der Graf. „Warum glaubst Du das? Wer ist sie?"
„Hm! Ich bin nicht auf den Kopf gefallen, man weiß Dinge zusammen zu reimen," erwiederte Iener. „Sie fragte so allerlei und da fuhr's ihr heraus: Graf Stephan hat Besuch? Ich faßte sie gleich beim Wort, aber das Mädel ist wie ein Aal. Könntet Ihr sie nur einmal sehen? — Wie wär's?"
Der Graf erwiederte nichts, er schien mit sich uneins zu sein. — „Vielleicht morgen bei der Abfahrt?" fuhr der Wirth fort. „Ich wäre selbst begierig zu wissen, ob Ew. Gnaden sie kennen."
Sarosch ließ ihn, ohne auf seine Rede einzugehen, abtreten, aber sie war nicht verloren gegangen. Das Benehmen des Mädchens, je mehr er darüber nachsann, wurde ihm immer auffallender und setzte ihn am Ende in eine solche Unruhe, daß der Schlaf sein Auge floh. Aus dem Gewirr abenteuerlicher Vorstellungen rang sich allmälig der Entschluß hervor, die Fremde bei der Abfahrt zu überraschen. — Der Morgen graute, noch immer blieb Alles ruhig. Sarosch war aufgestanden, hatte sich angekleidet und lauschte. Ueber ihm klang ein Fenster, die Fremde mochte hinaushorchen, ob ihr Wagen noch nicht aus der Ferne zu hören sei. Dem Grafen wurde die Erwartung, welche immerdar lästig ist, zur wahren Qual, er schämte sich vor sich selbst und doch konnte er seinem Vorsatze nicht entsagen.
 
 
Ietzt! durch die Stille der schlafenden Stadt rasselten die Räder eines herbeieilenden Fuhrwerks; im obern Stock hörte man eilige Schritte sich kreuzen — der Wagen hielt vor der Thüre, die laute Stimme des Wirths erscholl. Mit klopfendem Herzen — wovon er sich selbst nicht Rechenschaft geben konnte — verließ der Graf sein Zimmer, und tappte sich zum Flur, Gewänder rauschten die Hinterstiege herab, eine flüsternde Stimme suchte das Weinen eines Kindes zu beschwichtigen. Der Graf hörte sie vorübergehen, da war auch der Wirth mit der Laterne zur Hand, aber ihr schwaches Licht erlaubte nur die Gestalten zu erkennen, und warf deren riesige Schatten zur Decke. Die Fremde hatte den Wagen schon bestiegen und bog sich hernieder, um das Kind aus den Armen der Dienerin zu nehmen, in diesem Augenblicke fiel der Schein der Laterne voll auf ihr Antlitz!
Laut auf schrie der Graf ihren Namen! Sie war zum Tode entsetzt, Eörse sprang auf den Sitz „Fort!" die Pferde warfen sich in's Zeug, dahin flog der Wagen.
„War es ein Traum?" der Graf hatte fast die Sinne verloren, sein Blut stürmte wie eine Brandung zum Hirne, es war der Moment, wo des Geistes Licht durch den kleinsten Hanch in ewige Nacht verkehrt werden kann. Des Wirthes Stimme entriß den Nachstarrenden der gefährlichen Schwankung. — „Also doch eine Bekannte?" sagte er. „Wollen Euer Gnaden mir gütigst den Namen entdecken, künftiger Nachfrage wegen?"
Der Graf riß sich los, eilte nach dem Stalle und weckte seine Knechte. — „Satteln!" donnerte er. — Sie fuhren schlaftrunken empor, des nachgeschlichenen Wirths Laterne mußte ihnen leuchten; Sarosch war in sein Zimmer gegangen und kehrte, den Kalpak auf dem Haupt, den Säbel an der Seite zurück. Er sah erstaunt sein ganzes Gefolge reisefertig.—„Was wollt Ihr?" sagte er mit mehr Besonnenheit. „Keiner soll mich begleiten. Wenn Graf Warhely kommt, so sagt ihm, ich habe einen nothwendigen Ritt unternommen — und werde zurückkehren, sobald ich kann. — Wißt Ihr," wandte er sich mit sichtlichem Zwange an den Wirth, „welchen Weg die Dame eingeschlagen hat?—" Der Wirth äußerte seine Vermuthung, welche sehr unbestimmt war, und fragte: ob er ihr nachsetzen wolle? — „Was fällt Euch ein!" sagte der Graf. „Ich kenne die Dame und will sie nur einen Moment sprechen!" Er stieg hastig zu Roß und jagte durch den Thorweg die Straße hinab, daß die Funken hinter ihm sprühten. „Das ist sehr schnurrig," sagte der Wirth.
In den ersten Stunden des Morgens blieb Alles still. Die ungarischen Knechte traten bisweilen vor die Hausthüre, um zu sehen, ob ihr Herr noch nicht zurückkehre, aber er blieb aus. — „Ia, wie soll er sie eingeholt haben?" sagte der Wirth. „Ein kleiner Vorsprung thut viel und wenn am Kreuzweg frische Spur rechts und links geht, hat er im Zwielicht die letztgefahrene nicht ausfinden können."
Gegen zehn Uhr kam Warhely. Mit Verwunderung hörte er, was sich zugetragen hatte, des Wirthes Bericht machte ihn stutzig. Er zog die starken Augenbrauen zusammen, seine Stirne wurde finster. — „Ich will ihn erwarten," sagte er. „Schließ auf." — Der Wirth gehorchte, von der herrischen Weise des neuen Gastes wenig erbaut. Kaum hatte er das Geschäft abgethan, als er wiederum gerufen wurde. Es war der Bischof, welcher seinem gestrigen Vorsatze treu, erschien, und nach dem ungarischen Edelmanne fragte, der im Bären Herberg genommen hatte.
„D'rin sitzt Einer, hochwürdige Gnaden, der meinem Schilde Ehre macht," sagte der Wirth. „Der Andere hetzt."
Ohne auf den Sinn der letzten Worte zu achten, befahl der Bischof, ihn bei dem ungarischen Herrn anzumelden. Warhely kam statt der Antwort, dem Kirchenfürsten selbst entgegen, begrüßte ihn mit aller Ehrfurcht eines katholischen Christen und fragte nach seinen Befehlen. Der Bischof sah sich um, ob sie allein seien, bat sich setzen zu dürfen und fing mit einem sehr künstlichen Eingange an, den er sich ausgedacht hatte. Er sagte, daß er gekommen sei, um sich von der Lage der Dinge in Ungarn zu unterrichten, wohin ein Verwandter seines Hauses jüngst eine Reise unternommen, besprach weitläufig die kirchlichen Interessen und ging dann auf die traurigen Folgen des Zerwürfnisses über, das auch in manche Familien Kummer gebracht und einzelne Glieder hinweggerissen habe.
Warhely gab seinen Fragen Bescheid und war erwartungsvoll, wohin die Einleitung führen sollte.
„Irr' ich mich," sagte der Bischof jetzt, „oder habt auch Ihr in Eurem Hause einen ähnlichen Fall zu beklagen?"
„Welches Haus wäre verschont geblieben!" erwiederte Warhely ausweichend, aber seine Miene gab dem Bischofe recht.
„Leider, leider!" fuhr der Bischof fort. „Aber darum sollte auch Alles aufgeboten werden, um das, was einmal geschehen ist, wieder gut zu machen. Ich meine," erklärte er, da ihn Warhely aufmerksam ansah, „wenn ein verirrtes, oder durch Verhältnisse den Familienbanden entfremdetes Mitglied eine Aussöhnung sucht, sollte man diese mit Freuden verwirklichen. Ist das nicht auch Eure Meinung?"
„Sprecht Ihr in Bezug auf mich?" fragte Warhely mit rauhem Ton.
„Auch auf Euch," erwiederte der Bischof. „Würdet Ihr nicht die Hand, die Euch geboten wird, ergreifen?"
„Ganz gewiß und auch festhalten!" rief der Ungar doppelsinnig.
„Nun, Gott sei gelobt, so bin ich da, die Versöhnung zu vermitteln," sprach der Bischof mit Freudigkeit.
Warhely's Augen glühten. — „Ihr wißt —?" fragte er heiß athmend.
„Ich weiß nur soviel, daß es christlich ist, denen zu verzeihen, die gefehlt haben," erwiederte der Bischof. „Eure nähern Verhältnisse kenne ich nicht, doch ist keins denkbar, das eine Aussöhnung unmöglich machte."
„Keine?" rief Warhely. „Und wenn eine Pflichtvergessene das Band zerreißt / das sie nach dem Willen ihres Hauses an einen trefflichen Edelmann knüpfte, wenn sie sich wegwirst an einen Abenteurer von gemeiner Herkunft —"
„Halt!" fiel der Bischof ein, dem das adelige Blut bei dem Ausdruck warm wurde. „Der Mann, dem Eure Verwandte mit Bewilligung ihres Vaters ehelich und kirchlich verbunden ist, kann seinen Adel dreist neben den Eurigen stellen."
„Des Vaters Einwilligung?" schrie Warhely. „Wer hat Euch das vorgelogen? Schafft mir die Ehrlose, auf ihren Knien soll sie die Wahrheit bekennen! Ihr wißt um ihren Aufenthalt! Ihr sollt nicht von der Stelle, bevor Ihr mir sagt, wo sie ist. Ich weiß, was ich Eurem Stande schuldig bin, aber treibt mich nicht aufs Aeußerste!"
„Zähmt Euch!" sagte der Bischof ruhig. „Gebt mir lieber eine klare Verständigung, als daß Ihr leere Drohungen ausstoßt."
„Hochwürdiger Herr, ich bitte Euch, gebt mir das Weib!" rief Warhely. „Sie verdient nicht, daß Ihr sie schützt — ich, ihr Bruder, habe ein Recht sie zu fordern! — Ich will das beweisen, nur gebt sie mir heraus!"
„Ihr sprecht hart von Eurer Schwester," sagte der Bischof. „Beweiset die Wahrheit Eurer Anschuldigungen."
„Ich kann es!" rief Warhely. „Sie hat ihr Haus, ihre Verwandten, Alles verlassen, ist heimlich mit Ienem, den Ihr einen Edelmann nennt, entflohen —
 
 
durch Teufelskunst! Mög' es der Hexe, die ihnen forthalf, belohnt werden!"
„Aber des Vaters Einwilligung? der Pfarrer, welcher als Zeuge dabei gewesen und das Paar getraut?" fragte der Bischof, dessen Herz schwer wurde.
„Ich weiß davon nichts!" schrie Warhely wüthend. „Mein Vater einwilligen! Lehrt Ihr mich meinen Vater kennen? Er hätte sich unter Gyonvar's Mauern begraben, eh' ihm das Kleinste abgetrotzt worden wäre."
Der Bischof erhob sich. — „Und wenn auch!" sagte er. „Was geschehen ist , läßt sich sühnen."
„Sühnen, mit Blut!" knirschte Warhely.
„So hab' ich Euch weiter nichts zu sagen," erwiederte der Greis fest. „Wenn Ihr versöhnlicher gestimmt seid, fragt auf Unserm Sitze nach: ich bin der Bischof von Regensburg."
„Ihr sollt sie mir herausgeben und müßt' ich bis an den Kaiser gehen!" schäumte Warhely. Doch wagte er nicht den Bischof aufzuhalten, dessen furchtloses Wesen ihn entwaffnete.
Mit Unwillen im Herzen kehrte der Greis zurück. So hatte ihn der Neffe wirklich getäuscht, so war sein Vorgeben eine Lüge gewesen! Was sollte nun geschehen? — Im Bischofshofe fand er den Domherrn von Irlbach, der auf ihn wartete. „Hochwürdiger Ohm," begann' er, die Farbe wechselnd, „es ist mir nicht geglückt, trotz angestrengten Meditirens, einen andern Rath zu ersinnen, als die Dame nach —"
„Ich will es nicht wissen," unterbrach ihn der Bischof. „Von Euch bin ich überzeugt, daß Ihr für die Unselige bis zur Rückkehr des gewissenlosen Menschen wohl sorgen werdet. Sie ist allerdings bedroht und sogar ihr Leben in Gefahr." — Und da der Domherr einen kühnen Blick, der ihm sonst nicht eigen war, nach seinem Obern warf, erzählte ihm dieser den Inhalt des eben geführten Gesprächs, welcher für den abwesenden Törring sehr ungünstig schien.
„Verurtheilt ihn nicht zu früh!" rief Irlbach. „Wenn er Unwahrheit gesprochen, warum sollte er denn die weite Fahrt unternommen haben, die doch, wie er ja wüßte, zu keinem Resultat führen könnte? — Und dann, so Ihr nur einmal den Habitus der lieblichen Frau observirtet, wie züchtiglich und schamhaft sie sich gerirt — solches ist nicht Simulanz, sondern die Gloria der Unschuld, die sie unbewußt umstrahlet."
Der Bischof war zu sehr mit seinen Gedanken beschäftigt, um die Wärme des Domherrn, die sich allemal in der geschraubtesten Redeweise kund gab, zu bemerken. — „Ach guter Neffe," sagte er, „Ihr urtheilt nach dem Schein, es macht Euren Herzen Ehre, daß Ihr nichts Böses denkt. Wer kann den Sinn der Menschen durchschauen? Wer bürgt uns, daß Reinhard überhaupt wieder kehrt?"
In dieser Idee lag etwas, das den Domherrn elektrisirte. — „Dann wäre er ja nicht werth all' der Liebe, so das holde Wesen zu ihm manifestirt!" rief er. „Dann möchte sich ja ihre Verbindung anulliren! O sie könnte einen Mann, in jedem Egard, höchst glücklich machen!"
„Wir wollen das Beste von der Zeit hoffenerwieverte der Biscbof. „Sie muß Alles entwickeln." —
S.
Mittag war längst vorüber. Mit höchster Ungeduld erwartete Warhely seinen Freund, der noch immer nicht zurückkehrte. Endlich konnte er die Pein nicht länger ertragen, ihn stachelte das heiße Gelüst der Rache, dessen Befriedigung ihm so nah vor Augen gerückt war, er mußte etwas thun, zum Ziele zu kommen. Verstellung war nicht seine Sache, sonst wäre es ihm vielleicht gelungen, den Bischof zu täuschen, bis er sich seines Opfers versichert hätte. Aber Gewalt führte noch schneller zum Zweck. Durch seinen Herrn, den König von Ungarn, hoffte er den Bischof zu zwingen. Die Stunde war nah, wo ihm der Zutritt offen stand, er warf sich in die glänzende Tracht und eilte zum Hause , das jetzt den Palast des Kaisersohnes bildete. Hier war viel Gedränge von Karossen, im Vorzimmer fand sich kaum noch ein Platz, es war Audienz beim Könige und Warhely durfte nicht hoffen, vor später Nacht seine Angelegenheit betreiben zu können.
Gegen Abend kehrte endlich der Graf von Sarosch zurück, seine Stirn war nicht heiterer geworden. Die Knechte sahen mißvergnügt, wie der schöne türkische Hengst abgejagt war, den Kopf in die Krippe hing und alles Futter verschmähte. Sie murmelten sich ihre Wermuthungen zu, aber diese trafen so wenig das Ziel, als die des Wirthes, welcher sich vergebens bemühte, den Grafen gesprächig zu machen und sich endlich von ihm entschieden abgefertigt sah. Nach einer hastigen Mahlzeit ließ sich Sarosch nach der Herberge Warhely's führen. Dieser war noch nicht zurück und kam spät. Sein Auge flammte, als er den Grafen begrüßte.
„Stephan!" rief ex. „Ich bin auf richtiger Spur. Der hiesige Bischof weiß um Anna und hat sich zum Vermittler aufgeworfen. Versöhnung war sein Feldruf. Ich wies ihn zurück, aber ich werde ihn zwingen, mir das Weib, das meinem Bann unterworfen ist, herauszugeben. Der König hat mir seinen Beistand versprochen, begütigend zwar und zur Sühne sprechend, wie seine allzumilde Art ist, aber doch immer verheißungsvoll. Und führt das zu nichts, so trete ich Kaiser Ferdinand an, der ist kein Freund von zarter Schonung und wenn ich ihm sage, daß der Liebste meiner Schwester dem Gabor gedient, wird's helfen. Nun, Stephan, Du bist ja ganz stumm!"
„Ich weiß, daß sie hier gewesen ist," sagte der Graf mit bewegter Stimme. — Warhely bestürmte ihn mit einer Fluth von Fragen. — „Sie ist fort!" antwortete Sarosch. „Ich habe sie gesehen, ich bin den ganzen Tag zu Pferd gewesen, um sie einzuholen — umsonst! Nicht Deinetwegen, Iury. Seit ich Dein unversöhnliches Gemüth kenne, ist mir der Gedanke schrecklich, Anna Dir gegenüber zu stellen, ohne Gewähr für ihre Sicherheit."
Warhely war außer sich, er ließ nicht ab mit Fragen, bis er Alles wußte, er fluchte, daß die Gelegenheit ihm so nah gewesen und er sie nicht hatte festhalten können, er wollte in der ersten Aufwallung selbst noch einen Streifzug unternehmen und ließ sich schwer davon abbringen. Nur daß ei noch einen Anhalt hatte, tröstete ihn.
Ein Paar Tage vergingen, ohne daß etwas geschah. Warhely erdreistete sich, den König an sein Versprechen zu erinnern, fand aber nur eine kalte Aufnahme und anderweitige Vertröstung. Dem Könige lagen viel nähere Dinge am Herzen: es galt seine eigene Wahl zum Nachfolger seines Vaters auf dem deutschen Kaisenhrone, und dazu verdunkelten sich die Aussichten täglich, auch trug er selbst, wiewohl unbewußt, dazu bei, sich die Gemüther der Fürsten zu entfremden.
Endlich da ihn der Zufall im Laufe der Verhandlungen einmal in die Nähe des Regensburger Bischofs führte, dachte er an das Anliegen seines Unterthans.— „Ihr sollt ja um den Aufenthalt eines Fräuleins Warhely wissen, das flüchtig geworden ist!" redete er den Greis an.
„Ew. Majestät ist darin falsch berichtet," erwiederte der Bischof. „Ich weiß in Wahrheit nicht darum."
So oberflächlich war die Sache abgemacht; König Ferdinand beschied seinen Vasallen, daß er im Irrthum sei und entließ ihn, da er trotzig das Gegentheil
 
 
behauptete, mit der Ermahnung, sich vorsichtiger zu benehmen.
Wie lieb war es dem Bischofe, daß er sich der Verantwortung überhoben sah und das anvertraute Pfand doch in den sichersten Händen wußte! Er säumte nicht, dem Domherrn, der seit dem Beginne des Reichstages die Stadt nicht wieder verlassen hatte, die Frage des Königs mitzutheilen. Irlbach lächelte melancholisch.
„Und wenn die Widersacher auch erfahren, daß ich darum weiß," sagte er, „so sollen sie doch kein Iota Intelligenz bekommen. Sie würden mich umsonst sogar torquiren."
Er sagte das so nachdrücklich, daß ihn der Bischof ansah. — „So weit wird es nicht kommen," sagte er heiter. „Wer torquirt Ihr Euch nur selbst nicht zu sehr mit Geschäften. Ihr nehmt zu viel Antheil an dem Gange der Unterhandlungen, die Stadtluft bekommt Euch nicht, Ihr seht übel aus."
„Die Hitze!" klagte der Domherr. „Solche sagt meiner Corpulenz nicht zu."
„Eben deshalb, Ihr solltet die Kühlung in Euren angenehmen Hainen suchen," rieth der Bischof.
„Ich habe auch hier ein kühles Losament," sagte Irlbach, „aber die Wärme dringt überall durch. Mir wird schon wieder besser werden." — Er seufzte dabei, als fühle er sich in der That krank.
Der Graf von Sarosch hatte den Verweis mit angehört, welchen der König seinem Freunde gab und fürchtete bei dessen Leidenschaftlichkeit das Aeußerste. Er ließ ihn, welcher blaß, mit gekniffenen Lippen da stand, nicht aus den Augen und als er sich plötzlich zum Gehen wandte, begleitete er ihn. Auf der Straße brach Warhely's Wuth aus. „Mir, einem Manne, wagt er so mitzuspielen!" rief er. „Mir, der schon mit Bathory zu Felde lag, als er noch gewickelt wurde! Will er mir mein Recht nicht schaffen, nun wohl, so thue ich's allein!"
Sarosch wußte aus Erfahrung, daß jeder Versuch, ihn zu besänftigen, seinen Zorn nur erhöhte. Er ließ ihn also austoben und begnügte sich damit, sein Hüter zu sein, um eine Gewaltthat zu vermeiden. Ihm selbst war scbon mehrmals der Gedanke aufgestiegen, sich mit dem Bischofe, den er als Anna's Beschützer ansehen mußte, zu verständigen, aber näher betrachtet, wozu sollte es führen? Tadelte er sich doch jetzt wegen des Gefühls, das ihn an jenem Morgen zu Roß trieb, und gab dem Schicksal Recht, ein Wiedersehen vereitelt zu haben, das für beide Theile nur schmerzlich sein konnte. Er war ja über Anna's Schicksal beruhigt. Die allgemeine Stimme pries den Bischof als einen frommen und gerechten Mann, der Gutes that, soviel nur in seinen Kräften stand. Des Wirthes boshafte Insinuationen hatten auf Graf Stephan's edles Gemüth keinen Eindruck gemacht. — Wie aber sollte er verhindern, daß Warhely sich zu einem unbedachten Schritt gegen den Bischof hinreißen ließ?
„Mein Bruder," sagte er, als Beide sich trennten, „ich werde mit dem Prälaten reden. Deine Hitze verdirbt Alles. Ueberlaß mir, Nachrichten einzuziehen, und gedulde Dich nur noch einige Zeit. Wir sind auf fremder Erde, wo man nicht jeden Knoten mit dem Säbel durchhauen darf."
„Dir traue ich nun gar nicht!" rief Warhely. „Du wärest im Stande, der Flüchtigen weiter zu helfen."
„Das läugne ich nicht," erwiederte Sarosch, „ich will auch nur in Erfahrung bringen, in wiefern der Bischof bei der Sache betheiligt gewesen ist, damit Du Dich nicht unnützer Weise in Händel verwickelst."
„Erfahre ich, was Dir der Bischof sagt?" fragte Warhely.
„Ganz gewiß!" versicherte Sarosch. „Nur gönne mir Zeit."
Es lag nicht in der Absicht des Grafen, den jetzigen Aufenthalt Anna's zu erforschen, nur wollte er wissen, ob sie glücklich sei. Die Gelegenheit, dem Bischofe zu nahen, fand sich nicht gleich, da er verschmähte, sie gewaltsam herbeizuziehen. Er zagte ja vor dem Lichte, das ihm aufgehen sollte.
Warhely blieb mittlerweile auch nicht müßig, doch verschwieg er dem Freunde, was er im Sinn hatte. Seine Bemühung blieb nicht ohne Erfolg, das Gold bewährte auch hier seine Zauberkraft. Eines Mittags erschien der Bärenwirth, den er in Thätigkeit gesetzt hatte, mit frechem Frohlocken und sagte: „Gnädiger Herr, die Dukaten sind mein. Ich habe Alles heraus."
Warhely packte ihn an beiden Schultern.—„Sprich!" sagte er funkelnden Auges.
„Erst Geld, gnädiger Herr!" lachte der Habsüchtige. — Warhely riß seine Börse vom Gürtel und warf sie ihm zu, aber er griff auch zum Säbel. „Wehe Dir, wenn Du mich belügst!" rief er.
„O nein! Alles so wahr und klar, wie Sonnenschein," sagte der Wirth. „Weit konnte's nicht sein, ich sah den Wagen zurückkommen, mir fiel der Vetter ein, ich fragte hier und da, ein Kerl lief mir in's Haus, der einen Bader verlangte nach Adelmanstein, wo ein Kind krank sei — mir schoß das Vlatt, ich ruhte nicht eher, bis ich meiner Sache gewiß war: Sie ist in Adelmanstein, zwei Stunden von hier."
„Willst Du mich hinführen?" riefWarhely. „Mein bestes Pferd solst Du reiten!"
„Verzeiht, gnädiger Herr, ich habe in meinem Leben nicht zu Pferde gesessen, kann auch nicht abkommen," betheuerte der Wirth. „Aber beschreiben will ich es Euch, daß Ihr nicht fehlen könnt." — Er that es.
„Du schweigst gegen Iedermann!" rief Warhely drohend. „Plauderst Du, so fürchte meine Rache! Bist Du mir aber treu, so will ich Dir's vor meinem Abzuge lohnen."
Als der Wirth fort war, stand der Ungar eine geraume Weile mit gekreuzten Armen und starrte zu Boden, dann richtete er sich langsam auf, sah gedankenvoll den Säbel an, den er noch immer entblößt in der Hand trug und that ein Paar pfeifende Hiebe durch die Luft. Er war zum Entschlusse gekommen.
Der Spion hatte Recht. Anna lebte zu Adelmanstein, der Domherr hatte sie nicht sicherer zu bergen gewußt, als in seinem reizenden Besitzthume, das ihm selbst fortan, wie er sich heilig gelobte, ein verbotenes Land blieb. Es war zum ersten Male, seit sie, vom Verhängniß gezwungen, ihre süße Heimath verlassen hatte, daß sie in einer friedlich zurückgezogenen Stätte weilte und sie fühlte bald den beschwichtigenden Zauber der Einsamkeit, der die Stürme ihres Innern in eine sanfte Wehmuth auflöste. Hier berührte sie nicht das rohe feindliche Treiben der Welt, hier durfte sie nicht vor lauernden Blicken beben, sie sah fast kein fremdes Geficht; des Verwalters Frau, eine gutmüthige Alte, war die Einzige, welche zuweilen mit ihr plauderte, am liebsten von ihrem Herrn, den sie von Kindheit auf gekannt, und mit der treusten Anhänglichkeit lobte. Irlbach hatte befohlen, der Fremden, als der Gemahlin seines besten Freundes das Zimmer seiner verstorbenen Mutter einzuräumen, welches mit einer Rücksicht frommer Kindesliebe, die ihn in Anna's Augen nur höher setzte, ganz in dem Zustande gelassen war, wie es die alte Dame sich eingerichtet hatte. Es war höchst wohnlich und sauber, entfernt von dem geräuschvollen Hofe, ein wahres Asyl wohlthuender Stille. Die Fenster boten die Aussicht auf einen Lusthain, in dessen grüne Nacht sich der Blick gern vertiefte, der so viel grelle Bilder des Lebens geschaut! Anna konnte oft Stundenlang sitzen und ihr Auge an der wechselnden Fülle der Laubmassen laben, durch die sich manche Durchsicht auf ferne Räume eröffnete, deren Hintergrund wieder mit Waldgrün geschlossen war. In solchen Momenten zog
 
 
ihre Vergangenheit vor ihr auf, sie sah sich als Kind in den Gehegen ihrer Heimath, sie lebte in Liebe und Frieden mit den Ihrigen, kein Sturm führte Wolken über den heitern Himmel ihres Daseins! Eine süße Vergessenheit breitete ihre Schleier auf Alles, was seitdem ihren Sinn getrübt, die stille Gegenwart entsprach so ganz ihren Wünschen, sie fühlte sich jetzt glücklich! Und wenn sie aus diesen Träumen erwachte, wenn ihr Knabe sie an die Wirklichkeit erinnerte — dann stellte sich freilich das Bild des Geliebten ankla-. gend vor sie hin, daß sie ihn habe vergessen können, aber es wob sich gleich in neue Träume einer glücklichen Zukunft. Sie wußte nun erst, was ihr zum Glücke gefehlt: eine Heimath! Das Weib gleicht der Blume, die nur gedeiht, wenn sie wurzeln kann, wo es ihr zusagt — ein öfteres Losreißen vom Boden erschüttert ihre Lebensfasern. Anna hatte nur noch einen Wunsch: hier mit ihrem Reinhard auf immer zu bleiben.
Von Tag zu Tage hoffte sie, der Freund, dem sie diese Freistatt zu danken hatte, werde sich zeigen, aber Irlbach blieb aus. Hätte sie geahnt, was ihn fern hielt! — Selbst, als ihr Knabe von einem Unwohlsein befallen wurde, das die Mutterangst als Vorspiel einer ernstlichen Krankheit ansah, erschien er nicht, sondern ließ durch den Arzt, den er auf ihre Bitte schickte, nur seinen Antheil versichern. Anna fühlte sich durch sein Benehmen verletzt.
Des Kindes Gesundheit war schnell hergestellt, es tummelte sich schon wieder mit seiner Wärterin auf den Rasenplätzen des Haines umher. Anna weidete sich an seiner Lust, sie sah eine Weile dem Treiben zu, dann wandelte sie, ihrer Gewohnheit gemäß, durch die verschlungenen Pfade des Gebüsches, um ihren einsamen Träumen nachzugehen, wußte sie ihren Augapfel doch nicht sicherer, als den Knaben in Eörsens Hut.
Der Abend war klar und mild. Die Vögel riefen im Walde, dessen Laub, mit Sonnengold durchblitzt, unbewegt in der lauen Luft hing. Anna gab sich mit offener Seele dem seligen Eindrucke hin, dem die Friedlichkeit der Natur auf sie machte, sie sehnte sich unaussprechlich nach einem Frieden auch mit denen, die ihr übel wollten: ach es war wohl nur Einer, nur derjenige, der ihr allein noch, außer Reinhard angehörte! Der Andere, den sie schwerer gekränkt, zürnte ihr wohl nicht mehr, der Ton seiner Stimme, der ihr noch unvergeßlich im Ohr hallte, der Ton, mit welchem er ihren Namen gerufen, als er sie neulich erkannt, schien ihr seine milde Gesinnung zu verbürgen. Aber Iury! Sie hatte ihn noch immer so lteb, er war sonst so zärtlich gegen sie gewesen, wild und hart allen Andern, nur ihr nicht, bis zu dem Wendepuncte ihres Schicksals! War es denn möglich, konnte denn alle Liebe zu der Schwester in seinem Herzen erloschen sein? „Iury!" rief sie von ihrem Gefühl übermannt.
„Hier bin ich, Ehrvergessene!" dröhnte es mit ehernem Laut in ihr Ohr und aus dem Gebüsche wand sich das Pferd am Zügel führend, die Gestalt des Bruders, mit flammendem Antlitz und wildem Blick.
Sie erschrak, sie schwankte, aber die Stimmung des Augenblicks riß sie mächtig hin, sie floh nicht, sie warf sich dem Bruder an die Brust, umschlang ihn mit beiden Armen und weinte und rief: „O Iury, lieber, lieber Iury! Du kommst, mir zu verzeihen! Du kannst ja Deiner Anna nicht ewig gram sein, mein Gebet ist erhört!"
„Laß mich!" rief Iury, der sich wider die Regung sträubte, die ihn plötzlich überkam. „Ich bin der Weichling nicht, für den Du mich hältst! Du hast Warhely's Blut entehrt — ich komme nicht, wie Du wähnst —Laß mich! Hör' auf mit Deiner Liebkosung!"
Aber sie ließ ihn nicht, sie hatte, nun sie den Bruder zum ersten Mal wiedersah, die Furcht vor ihm verloren, er hatte ihr ja noch nie ein Leid gethan, war immer ihr Schutz gewesen — sie blickte ihm so flehend, so innig ins Auge, daß sein Zorn sich gegen die eigene Schwachheit kehrte, die seinen Arm fesselte; sie erinnerte ihn an die Liebe ihrer Kindheit, sie bat ihn, seines Scbwurs eindedenk zu sein, den er ihr einst gegeben! Lebenslang bin ich Dein Ritter! hatte er ihr als Knabe geschworen.
„Zum Teufel!" rief er mit einer letzten Anstrengung. „Du hast mich ja verstoßen! Hast Dir einen andern Ritter erkoren! Sieh nun zu, ob er Dich schirmt!"
„Er ist fern," erwiederte Anna, ,,wär' er hier, ich könnle nicht sicherer sein, als jetzt! Dein Blick wird gut, der böse Zorn ist bezwungen, Du bist wieder mein Iury!"
„Das glaube nicht!" sagte er rauh, während sein Auge dem Ton widersprach. „Ich komme als Richter und Rächer."
„Was habe ich gethan?" fragte sie. „Dem Retter meines Lebens mein Herz geschenkt, das noch frei war, ob auch der Vater meine Hand versagt hatte! Und als er für seine Liebe in den Kerker geworfen wurde, als man mich zwingen wollte, ihm zu entsagen, als sein Leben bedroht war, — Iury! Du kannst mich nicht verdammen! Wärst Du zugegen gewesen, ich hätte mich vertrauensvoll in Deine Arme geworfen, Du wärst mein Schutzgeist geworden, Du hättest mir gerathen, Deine Vermittelung hätte den harten Vater gebeugt!"
„Mädchen!" rief Warhely mit sich selbst zerfallen. „Oder Frau, wie? — Bekenne," fuhr er plötzlich zu neuer Wildheit entflammt auf, „bekenne die Lüge, die nur erfunden worden ist für Leichtgläubige, wie der Stephan! Mich täuschest Du nicht! Es ist Dein Tod, wenn Du die Wahrheit umgehst! Bekenne, so will ich Dir unter Bedingungen verzeihen!"
„Was willst Du wissen?" fragte sie zaghaft.
„Daß des Vaters Einwilligung in Euren Bund ein Mährchen ist," fuhr er immer hitziger fort, „daß kein Priester ihn gesegnet hat — bekenne oder es ist Dein Tod!" Er riß den Säbel aus der Scheide, sie hob in demselben Moment voll Abscheu den Arm, der rasche Zug des Stahls traf ihn, daß eine warme Blutquelle dem weißen Fleisch entrieselte. Er sah es, er hörte den Schmerzenslaut, der nie sein Herz verfehlt hatte, ein Dämon schien seine Waffe geführt zu haben; Mitleid, Reue fielen ihn an, er schleuderte den Säbel von sich, bemächtigte sich mit Betheuerungen ihres Armes und suchte das Blut zu stillen. In diesem Augenblicke erschien Eörse, welche ihrer Herrin nachgegangen war, mit dem Knaben. Sie sah den Säbel am Boden, die Wunde — wie eine Schlange krümmte sie sich, die Klinge aufzuheben, dann schoß sie, mit aller Rachgier und Entschlossenheit ihres Stammes, auf den Frevler, aber Anna's lauter Zuruf entwaffnete sie. Beschämt, mit finsterm Blick, sah Warhely, daß er in der Gewalt eines Weibes gewesen war, er fühlte, was er gegen Anna verschuldet hatte, sie suchte ihn zu beruhigen, versicherte, keinen Schmerz zu fühlen, und beschwichtigte ihr Kind, das zu ihr gelaufen war und sich vor dem Fremden fürchtete.
„Begleite mich, Iury!" bat sie dann. „Ich muß Dir antworten auf Deine Frage. Gott hat uns zusammengeführt, um mir Dein Herz wieder zu schenken."
Der Graf von Sarosch hatte sich endlich dem Bischofe zu nähern gewußt und ihn gebeten, eine Angelegenheit von Wichtigkeit mit ihm besprechen zu dürfen. Es war an demselben Tage, der seinen Freund heimlich nach dem Zufluchtsorte der Viclzesuchten ge
 
 
führt hatte. Bischof Albrecht lud den Grafen ein, ihn zu begleiten und schon unterwegs eröffnete ihm dieser, daß die Dame, welcher er seinen Schutz angedeihen lasse, eine Schwester des Grafen Warhely sei, desselben, mit dem er neulich Rücksprache genommen habe. Der Bischof wußte es bereits.
„Seine Schwester! Ich habe davon gehört. Und er kann so unversöhnlichen Herzens sein!" sagte er,
„Urtheilt nicht nach seinem Aeußern," erwiederte Sarosch. „Er ist besser und auch gutmüthiger, als er scheint. Der Iähzorn überläuft ihn wohl, aber er ist eben so schnell verflogen."
„Wie es mir leider scheint, hat er gerechte Ursache, seiner Schwester zu zürnen," sprach der Bischof.
„O glaubt das nicht!" rief Sarosch. „Sie trifft kein Vorwurf, — was sie gethan, ist nicht zu vermeiden gewesen, es ist zu erklären, zu entschuldigen."
Sie waren mittlerweile im Bischofshofe angelangt, wo sie den Domherrn von Irlbach trafen. Dieser kannte den Grafen von Sarosch als denjenigen, der im schwarzen Bären wohnte, und da er ihn nach Anna's Worten für ihren Verwandten und Feind halten mußte, so stutzte er, ihn in Begleitung des Bischofs zn erblicken. Es schien ihm nichts Gutes zu bedeuten. — „Das ist mein Neffe," sagte der Bischof, und stellte ihn mit seinem Namen vor. „Wenn Ihr nicht besondere Ursache habt, zurückhaltend zu sein, so laßt unser Gespräch fortfahren: es betrifft ja unsern nächsten Verwandten, und der Domherr ist in das Geheimniß eingeweiht."
Des Grafen verwunderte Frage machte eine Erklärung nöthig. — „So bürgt Ihr für seinen Werth?" rief er. „Anna ist glücklich? — Aber wie soll ich mir ihren Aufenthalt, ihre schnelle Abreise, Alles deuten? Wo ist sie jetzt?"
Der Domherr sah in dem ganzen Besuche nur eine List, die grade Frage beseitigte seinen Verdacht nicht, er nahm schnell das Wort: „Darüber kann nur ich Auskunft geben. Sie ist ihrem Gemahle entgegen gereist."
Sarosch blickte schnell vor sich nieder, um den Ausdruck seiner Augen nicht zu verrathen. — „Ich gestehe, daß ich über die Verhältnisse schlecht unterrichtet bin," sagte der Bischof etwas verlegen, „die Andeutungen des Bruders beunruhigen mich sehr und ich wünschte wohl zu einer klaren Ueberzeugung zu kommen auf eine oder die andere Weise."
„Ich kann sie Euch geben, hochwürdiger Herr," sprach der Graf.
„O dann setzt Euch, fangt an," rief der Bischof erfreut. „Laßt uns Alles wissen, wir kennen nur zweideutige Bruchstücke von dem ganzen Verlauf der Begebenheiten."
Es kostete den Grafen viel Ueberwindung, zu sprechen, oft zuckte es schmerzlich um seinen Mund, aber seine Stimme gewann immer mehr Stärke, je klarer ihm wurde, daß er die Geliebte von einer bösen Anschuldigung reinige. Kein Wort verrieth jedoch, daß er Anna's Verlobter gewesen sei.
„Ihr wißt," begann er, „daß Eure Nichte — der Bischof hustete — auf die Ihr stolz sein könnt, nicht ihrer Geburt, sondern ihrer Holdseligkeit und Tugend wegen, eine Tochter des Grafen Warhely, Herrn auf Gyonvar ist; Euch wird bekannt sein, auf welche Weise der Deutsche, der, wie ick, nun weiß, Euer Verwandter ist, nach Gyonvar kam."
„Sie war auf einer Kirchfahrt von treulosem Gesindel angefallen worden," versetzte der Bischof, „mein Neffe befreite sie, es entstand ein Liebesverhältniß, sie brach mit ihrem Verlobten und floh aus dem Schoost der Ihrigen, der eigene Bruder behauptet: ohne Einwilligung des Vaters, ohne priesterlichen Segen sei sie mit dem fremden Mann in die weite Welt gegangen. Das ist die Summe meiner Kenntniß."
„Der Vater hat eingewilligt und ist ein Zeuge ihres Traugelöbnisses gewesen," sagte Sarosch fest.
„Das ermangelt eben des Beweises!" rief der Bischof.
„Ich besitze ihn!" erwiederte Sarosch. „Laßt mich wissen, wo Anna weilt. Ich habe gelobt, das Pfand, das mir übergeben wurde, nur in ihre eigene Hand zu legen. Es empört mich, von allen Seiten diesen unwürdigen Verdacht zu hören, um den ich schon mit ihrem Bruder bis zum Blutvergießen gestritten. Giebt es denn keine Treue, keinen Glauben in der Welt, als die das geschriebene Pergament bestätigt? Hat die Sinnesart, das Antlitz, das Auge nicht bessere Bürgschaft?"
„Ihr sprecht mir aus der Seele!" rief der Domherr. „Wo sind hier die leisesten Indicia —"
„Und in solchem Mißtrauen," fuhr der Graf fort, „werden Ehre, guter Name, die Bande des Blutes und der Liebe zerrissen! Schafft doch, schafft mir Gelegenheit, Euch schamroth zu machen, Euch zu zwingen, dem reinen Wesen auf den Knien das Unrecht abzubitten, das Ihr ihm gethan! Sagt mir, wo ich sie finde!"
„Neffe!" sagte der Bischof auffordernd zu Irlbach. Aber dieser hielt hartnäckig an seiner vorgefaßten Meinung, trotz dem des Fremden Wärme ihn mit ihm versöhnte. — „Könnt Ihr mir dieses Pretium confidiren," sagte er, „so wollte ich mich anheischig machen, es in der Dame Hände gelangen zu lassen."
„Ich habe geloben müssen, das Pfand nur in ihre eigene Hand zu geben," erwiederte Sarosch.
„So erzählt uns, wie Alles zusammenhängt," sagte der Bischof, ihn fest anblickend. „Wir wollen Euch Glauben schenken."
„Anna hat nur ein Unrecht gethan," sprach der Graf weich. „Sie hat dem Manne, dem sie verlobt war seit ihrer Kindheit, zu spät gezeigt, daß er ihr Herz nicht besaß — er wäre freiwillig zurückgetreten. Aber ihr Herz war wohl noch nicht zum Bewußtsein erwacht! — Dieser," fuhr er hastig fort, seine sinkende Stimme erhebend, „war an dem Tage fern, wo sie überfallen wurde, er hatte freilich versprochen zu kommen, aber seine Mutter war erkrankt, das hielt ihn ab. Man hat ihm das nicht geglaubt! Gleichviel! — Sie brach mit ihm, des Fremden ritterliches Wesen, seine männliche Schönheit, die Wunde, die er um ihretwillen trug, gewann ihr — noch freies! — Herz. Der Vater, ein gewaltthätiger Mann, wies seine Werbung mit Hohn zurück, es kam zum Wortwechsel, der Stolz des Fremden reizte den Grafen zur Wuth, er ließ Euren Neffen in den Kerker werfen. Könnt Ihr es tadeln, daß ihn die — Liebende zu befreien suchte? Es gelang ihr mit Hülfe eines Halbzigeunerkindes, dessen Vater den Gefangenen bediente. Das Mädchen stahl ihm bei Nacht die Schlüssel. Und da es nun zum Abschiede kam, der ein ewiger sein sollte, bestürmte Euer Neffe seine Retterin, mit ihm zu fliehen, sie weigerte sich, aber der Schmerz der Trennung brach ihr Herz, und das Unglück wollte, daß im Schlosse Lärm entstand — der Wärter hatte die Schlüssel vermißt und schrie Alles wach — Anna wurde von Gram und Angst bedrängt, ohnmächtig. Diesen Moment benutzte Euer Neffe, er faßte sie in seine Arme und trug die Bewußtlose von dannen.
„Ha!" rief der Bischof. „Das war es, was er sich scheute zu gestehen! der Unwürdige!"
„Die Liebe mag ihn entschuldigen," sagte der Graf seufzend. — „Ihr fragt wohl, wie ich zu all' dieser Kunde gekommen bin. Es soll Euch klar werden. Die Nacht hatte die Spur der Flüchtigen verweht, die Dirne, welche sie begleitete, wußte jeden Steig, jede Schlucht in den Bergen, auf deren Vorsprung das Schloß Gyonvar liegt, und als Anna aus ihrer Ohnmacht erwacht, sah sie sich im finstern Tannengestrüpp, vom Dunkel umgeben, unter'm freien Sternenhimmel. Sie klagte und weinte, sie war der Ver
 
 
zweiflung nahe, sie bat Euren Neffen, zu fliehen, und ihre Dienerin, sie zurückzuführen — umsonst! Die Dirne fürchtete sich mit Recht vor der Heimkehr und Euer Neffe vermochte nicht, dem Glücke zu entsagen, das er sich mit frischem Muthe gewonnen hatte."
„Das arme Weib!" rief der Bischof, als Iener eine Weile inne hielt. „Wie paßt das aber zu Eurer ersten Behauptung."
„Anna vermochte es endlich doch über ihren Begleiter," fuhr der Graf fort, „daß er sie, die nun auch vom Zorne des Vaters bedroht war, in die Wohnung des Pfarrers brachte, welche zwei Stunden höher hinauf im Gebirge lag. Der Geistliche war ihr Lehrer, galt viel bei dem alten Grafen und mochte der Einzige sein, der eine Aussöhnung bewirken konnte. Anna's Bruder befand sich zu jener Zeit an der Maros, mit den Türken zu kämpfen. — Bei dem Pfarrer fand Anna eine willige Aufnahme, Euer Neffe mußte sich von ihr trennen, aber er blieb in der Gegend und bewachte den Zugang. Während der ersten Tage konnte der Pfarrer nicht zu dem Grafen gehen, weil ihn selbst ein Uebelsein hinderte, am vierten endlich stieg er nach Gyonvar hinab und fand seinen Herrn auf dem Schmerzenslager. Er hatte die geflüchtete Tochter verfolgt, wiewohl in falscher Richtung und war mit dem Pferde gefährlich gestürzt. Ein siebenzigjähriger Greis! Kein Wunder, daß er sich nicht mehr erholte! Seine Krankheit verschlimmerte sich, der Pfarrer durfte das Schloß nicht mehr verlassen, oft sprach er von seiner Tochter, die er sonst zärtlich liebte, der würdige Geistliche säumte nicht, ihn versöhnlich zu stimmen und in einer Stunde, wo ihn die Ahnung seines baldigen Todes mit einer besonders inbrünstigen Sehnsucht nach seinem verlornen Kinde erfüllte, rief er aus: Ich wollte ihr ja Alles verzeihen, ihr Glück nicht hindern — es ist ja doch Alles eitel und von den Ehren, die mein Haus überschatten, folgt mir nichts in die Gruft! Diese Stimmung benutzte der Pfarrer, er bestärkte ihn in der Milde und erst nachdem er seines Erfolges gewiß war, führte er das Paar vor das Lager des Greises, dessen letzte Stunde sichtlich nahte. Hier folgte eine erschütternde Scene, aber des Vaters Segen heiligte den Bund, über welchen der Pfarrer die Weihe der Kirche sprach. — So schien sich Alles friedlich zu lösen und nur der Tod des Kranken, der in der folgenden Nacht eintrat, einen neuen Schmerz über Anna zu bringen. Da änderte sich ihr Schicksal mit der Ankunft ihres Bruders. Er raste vor Zorn, als er erfuhr, was sich zugetragen hatte, er schwur der Schwester und ihrem Verführer, wie er den Fremden nannte, auch dem Pfarrer die bitterste Rache, er wollte nichts hören und bis heute nichts glauben, was ihre Schuld minderte. Unter diesen Umständen fand es ein Freund des Hauses, der den Grafen auf der Heerfahrt gegleitete, rathsam, einen Eilboten vorauszusenden, die Bedrohten zu warnen. — Anna und ihr Gemahl waren verschwunden, als der Erzürnte in Gyonvar ankam, den Pfarrer konnte nur die äußerste Anstrengung eben jenes Freundes retten, aber er mußte fort aus der Herrschaft und der Graf verschmähte es, ihn auch nur anzuhören.
„So wird ihn Törring nicht finden!" rief der Domherr, der mit voller Seele zugehört hatte.
,, Ihn findet Niemand mehr hienieden," sagte der Graf ernst. „Sein Zeugniß ist eben jenes Pfand, das ich der Gekränkten einhändigen soll. Wenn Euch an ihrer Ruhe liegt, so laßt ihr wissen, daß Stephan — sie wird den Namen kennen! — Alles gethan hat, um den erbitterten Bruder zu überzeugen, daß aber sein Bemühen jedesmal an der blinden Leidenschaft gescheitert ist. Iene Dokumente durfte er nicht öffnen, noch minder sie dem Feindseligen anvertrauen, der ohnehin an ihrer Echtheit zweifelte."
Der Domherr versprach, ihm zu einer Zusammenkunft mit der Freifrau von Törring zu verhelfen, und , der Bischof, dem nach der Erzählung ganz leicht um das Herz geworden war, ließ nicht ab mit Fragen, die ihm Alles noch mehr erläutern sollten, bis der Graf aufbrach.
In der Frühe des andern Morgens war Irlbach schon auf dem Wege nach Adelmanstein. — „Und wenn es eine Hinterlist wäre?" fragte er sich. „Ulrice! Sieh dich vor! — Ich will jeden Falls dabei sein."
Er fand Anna lieblicher, als er sie gesehen hatte. Die Gemüthsruhe, welche ihr zurückgekehrt war, die innige Befriedigung welche sie nach den Stürmen des gestrigen Abends fühlte, hatten ihre Wangen mit Rosen geschmückt, so daß sie blühend wie der Mai dem Freunde entgegentrat. An ihm bemerkte sie dagegen eine traurige Veränderung. Sein volles straffes Gesicht hatte alle Farbe und Fülle verloren, die kleinen, sonst munter blitzenden Augen sahen erloschen und trübselig drein und das stattliche Wamms hing in weiten Falten um den mager gewordenen Leib. Sie fragte so teilnehmend, ob ihm etwas fehle, daß ihm das Wasser in die Augen schoß, er widersprach hastig und entledigte sich seines Auftrags. Hocherröthend hörte sie den Namen Stephan. — „Ich habe es nicht um ihn verdientsagte sie. „Kann er wirklich wünschen —? Doch sagt ihm, er sei willkommen, auch mein Bruder hat mir ja seinen Besuch versprochen und alle Gefahr ist vorüber. — Sie erzählte ihm, daß ihr Bruder sie aufgesucht und sich mit ihr verständigt habe und bat ihn den Bischof davon zu unterrichten. „Wenn mein Gemahl zurückkehrt und wir einen festen Wohnsitz finden, ähnlich Eurem reizenden Eigenthum," schloß sie, „da.nn sind all' meine Wünsche befriedigt."
Er trennte sich bald von ihr, um , wie er sagte, nach dem Rechten in der Wirthschaft zu sehen. Doch war es nicht diese Sorge, welche ihn beschäftigte, denn er setzte sich sofort wieder zu Pferde und ritt nach der Stadt zurück, was Anna sehr kränkte. In Regensburg angekommen, war sein erster Gang nach dem Bischofshofe, wo er von seinem Oheim die Bestätigung dessen hörte, was ihm Anna erzählt hatte. Der Graf Warhely war ebenfalls bei ihm gewesen, hatte ihm gestanden, daß er in einem argen Irrthume gewesen, und auf die Frage, was ihn so plötzlich vom Gegentheile überzeugt, mit einem gewissen Unmuthe geantwortet: „Ich habe mit Anna gesprochen." Mehr war nicht von ihm zu erfahren gewesen, aber Graf Sarosch hatte hinzugesetzt: „Es ist die siegende Gewalt der Unschuld! Ich habe immer das Beste gehofft von Eurem Zusammentreffen. Was Anna's Worte noch an Zweifeln übrig gelassen, das wird die Zeit lösen."
„Alles gut!" sagte der Bischof zu Irlbach. „In gewisser Hinsicht werde ich vor meinem heimkehrenden Neffen beschämt sein, aber ich habe noch eine Sorge. Wie fesseln wir ihn? Er ist ein krausköpfiger Raufbold, auf der Bärenhaut kann er nicht liegen, soll überhaupt Niemand liegen; wenn er hört, daß der Schwede im Felde steht — Ihr wißt's doch? — geht er auf und davon. Ich dachte ihm eins meiner Aemter zu übergeben. Was meint Ihr dazu?"
„Kauft mir Adelmanstein ab," sagte der Domherr, von einem raschen Einfalle ergriffen.
„Wie? das wollt Ihr missen?" rief der Bischof. „Gefällt Euch das Stadtleben so? Es scheint Euch doch schlecht anzuschlagen, Ihr werdet täglich elender."
„Ich habe eine große Reise vor," sagte Irlbach ungewiß, „will Rom, überhaupt Welschland sehen."
„Davon hör' ich zum ersten Male," versetzte der Bischof. „Aber den Vorschlag wollen wir noch besprechen."
Irlbach eilte nun, dem Grafen von Sarosch Anna's Einwilligung zu bringen. Er fand ihn nicht allein, Warhely war bei ihm und Beide schienen sehr
 
 
bewegt, was besonders den Letztern in eine unbehagliche Stimmung setzte. Der Domherr entledigte sich seines Auftrags, Graf Stephan hörte ihn mit auflodernden Blicken an, und stockte in seiner Antwort. „Ich werde kaum oder vielmehr gar nicht Zeit haben," sagte er endlich. „Seine Majestät sendet mich voraus, meine Pferde stehen gesattelt. In der That, es wird mir unmöglich sein" — er stockte wieder, doch ermannte er sich und sagte zu Warhely: „Nach Allem, wie sich jetzt die Verhältnisse gestaltet haben, glaube ich mein Versprechen nicht zu verletzen, wenn ich Dir des frommen Mannes Vermachtniß übergebe; bringe es Deiner Schwester mit meinem letzten Gruße!" — Er umarmte und küßte Warhely, dann stürzte er hinaus und wenig Minuten später sah ihn der Domherr, den eine seltsame Sympathie bewegte, schon zu Pferd sitzen. Warhely, der ihn begleitet hatte, kehrte in das Zimmer zurück und Beide hatten noch eine lange Unterhaltung, in welcher sich der Graf nach der Persönlichkeit und dem Geschlechte des Freiherrn von Törring erkundigte.
Es war ein Eilbote des Churfürsten von Brandenburg angekommen, welcher die Landung Gustav Adolphs von Schweden auf deutschem Boden dem Kaiser gemeldet. Die Art, wie diese Botschaft von dem Hofe aufgenommen wurde, schien alle Gemüther über die Folgen zu beruhigen. „Wir haben halt wieder ein kleines Feindl bekommen," sagte Kaiser Ferdidinand. Man sprach von einem!„Schneekönig," der dem Adler Fehde entboten. Aber Weitersehende ließen sich dadurch nicht'irren und Wallenstein's Absetzung, die auf Aller Fürsten Begehren kurz zuvor erfolgt war, schien für den neuen Krieg von bedenklichem Einfluß. Auch säumten die Häupter der katholischen Parthei nicht, Maßregeln zu treffen; in allen Richtungen gingen von Regensburg Beauftragte mit wichtigen Sendungen ab. Zu diesen Boten gehörte der Graf von Sarosch. Er hätte bei all' dem Zeit gehabt, den kleinen Umweg zu machen, der ihn zu Anna führte, aber sein Herz, regte sich zu mächtig, noch war der Moment nicht gekommen, in welchem er sich stark genug fühlte, sie wiederzusehen, dazu gehörten noch Iahre, vielleicht der Reif des Alters auf seinem Haupte!
Anna hatte mit Bangigkeit auf ihn geharrt, sie athmete leichter als ihr Bruder ohne ihn erschien, nur in Begleitung des Domherrn, welchen das Mißtrauen, daß Anna die Documente vorenthalten werden könnten, niitgeführt.— „Hier bringe ich Dir Dein Eigenthum," sagte Warhely gleich beim Eintritt. „Ich verlange keine weitern Beweise, ja ich bitte, sie nicht sehen zu dürfen."—Aber Anna öffnete das Siegel und fand, nächst einem Schreiben des Pfarrers an sie, das seine letzten Mahnungen enthielt, das Zeugniß ihrer Trauung, bekräftigt durch des alten Grafen eigene Unterschrift: Iury erkannte die Züge der zitternden Hand und küßte sie ehrerbietig.
Der Domherr überließ die Geschwister sich selbst, seine Rolle, die ihn glücklich gemacht hatte, war ausgespielt, er schlich in das dichteste Dunkel des Haines, setzte sich auf die Moosbank und gab seinen Gedanken, seinen Gefühlen freien Lauf. Immer mehr bestürmten sie sein Herz, immer deutlicher trat ihr Ausdruck auf sein Gesicht, er wehrte dem nicht, er hatte keine Ahnung, daß er belauscht wurde. Und ein Augenpaar ruhte doch schon lange mit Erstaunen, mit Antheil auf ihm. Endlich rief ihn eine gedämpfte Stimme bei Namen. Er blickte auf — Himmel! Es war Törring.
„Was fehlt Dir? Du weinst, glaub' ich?" sagte der Angekommene, hinter welchem jetzt auch Eörse sichtbar wurde.
„Schlimme Augen, sie thränen mir," stotterte Irlbach, aufspringend und ihn umarmend. „Gott sei Dank, Du bist wieder da! Weißt Alles, nicht wahr? Sie ist hier, ihr Bruder auch, sie haben sich versöhnt, die Documente liegen vor, Du bist gerechtfertigt, Dein Glück ist gesichert. Komm nur, komm! Ieder Augenblick ist verloren, den sie noch um Dich im Harme verlebt!" — Er sprach so geflügelt, daß Törring gar nicht zu Worte kam, und zog ihn zum Schlosse.
„Ich fand das Mädchen mit meinem Kinde draußen," sagte Törring, „ich hörte, daß Anna hier wohnt, daß Du ihr eine Freistatt gewährt hast — nimm meinen Dank, auch für Deinen heimlichen Freundschaftsdienst!"
„Schweig doch, schweig!" rief Irlbach hastig. „Wo ist Dein Pferd?"
„Ich gab es ab, ich wollte mein treues Weib überraschen, mit meinem Kinde vor sie treten," sagte Törring. „Es ist ja, wie ich sagte, ich bringe nur mich selbst zurück — schon unterwegs traf ich auf Dienstmannen des Grafen, die nach Regensburg zogen, die beschworen mir des Pfarrers Tod —"
Irlbach unterbrach ihn mit den Nachrichten, die er ihm zu geben hatte. — „Gott! Ich danke Dir!" rief Torring in höchster Freude. „So kann ich stolz vor den Mann treten, der uns von einander reißen wollte! Mir geht ein neues Leben auf! Das Kriegsbanner flattert wieder, ich habe Aussicht, meinem Weibe das Glück zu erkämpfen, das ich ihr schuldig bin, nach dem ich so lange schon jage!"
„Hinweg damit! Es liegt Dir so nah und Du recognoscirest die Ferne," versetzte Irlbach. „Was soll aus Weib und Kind werden , so D» in einer Affaire mortaliter blessirt wirst oder gar fällst? Du bist ihr ein Glück schuldig, das Glück des Friedens. Metamorphosire deshalb Deinen Degen in eine Pflugschaar."
Törring konnte nicht antworten, denn vom Schlosse her flog ihnen mit glühenden Wangen, verklärt vom Sonnenlichte, die junge Frau entgegen. Seliges Wiedersehen! Alles Leid war vergessen, sie ruhte wiederum an dem treuen Herzen, sein starker Arm umfing sie; mochte die Zukunft bringen, was sie wollte, vereint mit ihm trug sie Alles! Aber die Zukunft drohte ja'nicht mehr, die Zukunft war licht und glückverheißend!
Graf Warhely hatte es nicht über sich vermocht, den Schwager, den er vor Kurzem noch bitter gehaßt, zu begrüßen, er war Anna nicht gefolgt, sondern eilends zu seinem Pferde gegangen und nach der Stadt geritten. Erst spätern Tagen blieb es vorbehalten, eine Annäherung der beiden Männer zu bewirken, aber die gleich stolze Sinnesart ließ sie nicht weit gedeihen und die Abreise des Königs von Ungarn trennte sie, ehe sie sich gegenseitig erkannt und befreundet hatten. Sie sahen sich nie wieder, nur Anna erhielt zuweilen einen Brief von ihrem Bruder.
Der Bischof empfing seinen Neffen mit offenen Armen. „Lassen wir Alles vor der Hand unerörtert," sprach er. „Die Zeit wird uns noch viel Raum dazu gestatten, denn Du bleibst nun hier und ziehst Dein Schwert fortan nur zur Vertheidigung Deines Heerdes. Den will ich Dir bauen. Keine Widerrede! Ist es etwa Deinem Stolze zuviel, von dem alten Ohm, den Du doch beerbst, schon bei Lebzeiten etwas anzunehmen, oder sehnst Du Dich in das wilde Kriegstreiben, dessen Furie wieder auf unser armes Deutschland losgelassen scheint? Das will ich zu Deiner Ehre nicht hoffen. Du hast eine schwere Schuld an Deinem Weibe gut zu machen, das behalte immer vor Augen."
Die wohlgemeinten Reden wären fruchtlos gewesen, wenn nicht Anna ihre Bitten hinzugefügt, wenn nicht die Liebe und das Bewußtsein, daß er Anna aus ihrer Heimath, aus dem Ueberfluß und allen Freuden des Lebens gerissen habe und ihr Ersatz schuldig sei, mächtig zu seinem Herzen gesprochen hätte. Wie strahlte ihr seelenvolles Auge, wie innig schmiegte sie sich an ihn und bot ihm die schwellenden Lippen, als er endlich zusagte, sich der friedlichen Beschäftigung zu weihen! Irlbach war gerade zugegen, er sah mit düstern
Blicken auf die schöne Gruppe — Eörse verwandte kein Auge von ihm. Leise trat des Verwalters Frau zu ihrem Herrn, sie fragte, was ihm sonst hochwichtig gewesen, um Zubereitung und Zahl der Speisen, und rieth ihm Dies und Ienes, um seiner Natur wieder aufzuhelfen. Er wies sie von sich und ging. Eörse wollte ihrer Herrin ihre neuen Bemerkungen mittheilen, aber diese verbot ihr das Thema ein für allemal. Wenige Tage nachher trat der Domherr seine große Reise an — ob er das gefunden hat, was er suchte, darüber vermögen wir keine Nachricht zu geben. In seinem Adelmanstein aber wohnte das Glück, das er nicht gekannt und selbst als nachmals der Strom des Krieges sich über Baierns Fluren wälzte, als Regensburg selbst heimgesucht ward, wußte Törring durch Festigkeit und kluges Handeln sein Eigenthum zu schirmen, daß es oftmals auch dem Bischofe, seinem Oheim eine willkommene Freistatt bot, wie einst der Geflüchteten. 
 
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