S. 157 ff
Die Geflüchtete
Novelle von Bernd von Guseck
spielt in Regensburg
aa
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Die Geflüchtete.
Novelle
von
Gernd von GulecK.
galt schmerzlichen Abschied. Die junge Frau hatte
ihre beiden Arme um den Hals des Geliebten geschlungen und lehnte
trostlos, sprachlos an seiner Brust, nur das erstickte Schluchzen und
der Krampf, welcher zuweilen ihre Glieder durchzuckte, gaben Zeugniß,
daß sie des bittern Augenblicks vollbewußt war. Und der Mann! Fieberhaft
bebten seine Lippen, welche Worte des Trostes zu sprechen hatten, sein
Auge hing verdunkelt am Boden, er durfte es nicht heben, wenn ihm nicht
das Herz brechen sollte, denn wenige Schritte von ihm spielte sein
zweijähriger Knabe, dessen harmloses Lächeln den schrecklichsten
Eindruck auf die verzweifelnden Eltern machte.
„Fasse Dich, Anna!"
beschwor sie der Gatte. „Diese Trennung wird vorübergehen, ich kehre
zurück, sobald ich kann und nichts soll uns mehr scheiden."
Sie schüttelte heftig den
Kopf, daß ihre schwarzen Flechten sich lösten und das reiche Haar
fesselfrei über die Schultern niederwogte, wie ein Mantel die schöne
Gestalt umhüllend — ein schwarzer Trauermantel. Kein Wort erwiederte
sie, aber fester umschlang
sie ihn und drückte ihre Stirn an sein Herz, das unter ihr schwoll, wie
die Fluth im Sturme. Er versuchte jetzt sanft, sie von sich zu lösen —
da stieß sie einen durchdringenden Schrei aus, ihre Arme sanken kraftlos
herab, sie schwankte und wäre zu Boden gefallen, wenn er sie nicht in
seinen Armen aufgefangen hätte. Kaum selbst wissend, was er that, trug
er die Ohnmächtige auf ihr Bett — wenn er sich jetzt nicht losriß, war
es um seinen Entschluß geschehen! Halb wahnsinnig hob er noch einmal
sein Kind empor, preßte es heftig an seine Brust, dann stürzte er hinaus
, schickte die treue Dienerin seiner Frau zu Hülfe und floh. — Die ihm
auf der Straße begegneten, blieben stehen und sahen ihm verwundert nach.
Er wollte noch einmal mit
dem unbeugsamen Manne reden, der sein Schicksal bestimmt hatte.
Vielleicht gelang es der Sprache der Verzweiflung, was den
flehentlichsten Bitten versagt worden war. Ohne sich umzusehen, stürmte
er seines Weges, bis er das Thor des Bischofshofes erreichte. Der
heutige Wachter kannte ihn nicht und wehrte ihm den Eingang.
„Törring mein Name!" rief der Angekommene trotzig. „Laßt dem Bischofe, meinem Oheim, das melden."
Es währte nicht lange, so
wurde er in das Gemach geführt, das er gestern mit ganz andern
Hoffnungen betreten hatte. Der Abendschein lachte durch die hellen
Fenster, Alles sah freundlich im Zimmer aus, der alte Bischof in seinem
Lehnstuhle hatte gar nicht die Miene, als könne von seinen Lippen ein
strenges Urtheil tönen — noch einmal regte sich die Hoffnung in Törrings Herzen und färbte sein bleiches Gesicht.
„Was bringst Du mir, Reinhard?" fragte der Bischof. „Deine bessere Ueberzeugung?"
So sanft klang das Wort
und es traf doch, wie ein eisiger Sturm alle Hoffnungskeime in Reinhards
Brust, daß sie erstarrten! — „Oheim!" preßte er mühsam hervor. „Ick,
kann Euch nicht gehorchen."
Die Stirn des Greises
bewölkte sich, doch nur bekümmert, nicht leidenschaftlich war der Ton
seiner Antwort: „Die Wahl ist Dir erspart," sagte er. „Beweise Deine
gute Sache."
„Ihr könnt, Ihr dürft uns nicht trennen!" rief Reinhard. „Siehat um meinetwillen Vaterland, Freunde—"
„Und ihre Pflicht verlassen!" unterbrach ihn der Bischof.
„Aber ihr Vater hat
eingewilligt auf dem Sterbebette, der Pfarrer, der uns getraut, ist
dessen Zeuge!" rief Reinhard heftig. „Gilt Euch mein Wort, mein Schwur
denn gar nichts? Ich schwöre —"
„Still!" sagte der Bischof
ernst. „Auf keine Weise gestatte ich das. Ich kenne Dich leider seit
Deinem zwölften Iahre nicht mehr und wie in achtzehn Iahren des Menschen
Sinn, auch längst erprobter, sich ändert, habe ich in dieser trüben
Zeit nur zu oft erfahren. Mich freut es, daß Du zu Deinem alten Oheim
Deine Zuflucht genommen hast und ich werde Dich und die Deinen nicht
verlassen. Aber fordern muß ich, daß Du mir ein gültig Zeugniß bringst
für die Gesetzmäßigkeit Deiner Verbindung. Du hast mir
selbst gesagt, daß sie eines Andern verlobte Braut gewesen, daß sie Dir
zu Liebe dieses Band zerrissen, daß sie zwei Iahre Dein Kriegerleben im
Feldlager getheilt — nun bringe mir des Pfarrers Zeugniß, daß sie nur
als Dein, mit des sterbenden Vaters Bewilligung Dir angetrautes, Weib
Dir gefolgt! Hast Du ein reines Gewissen, warum dieser Widerstand 's" „O
Ihr kennt das Gefühl nicht, das zwei Herzen verbindet!" rief Reinhard.
„Euer Priestergewand deckt eine öde Brust! Ahntet Ihr, was es heißt,
sich von den Seinigen trennen, Ihr würdet nimmer auf Eurer harten
Forderung bestehen! Wer bürgt mir, daß die Verlassene, der nur ich die
Heimath vergessen machte, im fremden Lande erkrankt? — Laßt sie mich
begleiten!" setzte er, von einem plötzlichen Gedanken erfaßt, hinzu.
„Nimmermehr!" sagte der Bischof. „Verdenke mir's
nicht, wenn jede Aeußerung mein Mißtrauen steigert. Ließe ich Euch
wieder ziehen, Ihr kehrtet wohl nimmer zurück, und was wäre Euer Loos?
Zeitliches Elend und ewige Reue! — Vertraue mir, Reinhard, öffne mir
Dein Herz, thue Buße, wenn Du gefrevelt hast — wo nicht, so ermanne
Dich, trage das Weh der kurzen Trennung und kehre mit den Beweisen Eurer
Lauterkeit zurück. Dann will ich Dir meinen Verdacht abbitten. Bis
dahin bleibt mein Wille unabänderlich und müßt' ich Gewalt brauchen! —
Um Weib und Kind sorge nicht, sie sollen der treuesten Pflege befohlen
werden."
Reinhard hatte sich viel vorgenommen, was er
dem strengen Manne sagen wollte, er hat ihm Trotz
zu bieten gedacht, aber seine ruhige Hoheit imponirte ihm so, daß er
sich seines Vorsatzes kaum erinnerte.
„Wohlan, ich gehe!" sagte er endlich. „In Eure Hut
übergebe ich das, was mir auf Erden das Theuerste ist, Ihr habt mir
versprochen, sie zu schirmen in aller Gefahr und Noth, von Euch fordere
ich sie ungekränkt zurück. — Wenn aber der Pfarrer schon todt oder in
den schlimmen Zeiten, von denen auch Ungern weiß, vertrieben,
verschollen ist?"
„Neffe, Neffe!" rief der Bischof mit erhobenem Finger drohend.
Reinhard erröthete tief. — „Wahrlich, Oheim!" sagte
er mit unklarer Stimme, „Ihr müßt viel Schlechtigkeit kennen gelernt
haben, daß Ihr so mißtrauisch seid. Ich verschmähe es, Euch zu
antworten. Lebt wohl."
„Nimm meinen Segen!" sprach der Alte. „Tritt her,
Sohn meines Bruders. Sieh' mir fest in's Auge, wie es ein Törring thun
kann. Zuckst doch mit den Wimpern! Nun, Gott führe Dich auf Deinen
Wegen!"
Reinhard verließ den Hof. Er kämpfte mit sich, ob
er noch einmal zu seiner Anna zurückkehren sollte, aber er fühlte, daß
ihm die Kraft zu einer zweiten Trennung fehlen würde, so schickte er
einen Buben nach seinem Pferde und schärfte ihm ein, den Wirth um das
Befinden der Frau zu fragen, denn es lag ihm wie ein Fels auf der Brust,
daß er sie in Ohnmacht verlassen hatte. Er bestellte sein Pferd an das
Thor und ging auf einem Umwege dorthin. Wie unerträglich
lange blieb der Bote, endlich kam er mir ungenügendem Bescheide. Der
Wirth wußte nichts und hatte gemeint: es sei ja oben Alles ruhig! —
Entsetzliches, vieldeutiges Wort!
Schweren Herzens bestieg
Törring seinen Hengst, und ritt, dessen Ungestüm zügelnd, langsam hinaus
in die duftige Frische des Frühlingsabends. Als er die Höhe erreichte,
wo er die Straße links nach Straubing einschlagen mußte, hielt er noch
einmal an, wandte sein Pferd und ließ die Blicke inniger Sehnsucht auf
der alten Reichsstadt ruhen, die all' sein Glück umschloß. Er hatte sie
begrüßt^ als den Hafen, der sein Lebensschiff vor den Stürmen bergen
sollte und sie hatte ihm ein neues, noch nicht gekanntes Leid gebracht,
das Leid der Trennung!
Die Sonne war
untergegangen, nur die Knöpfe und Kreuze auf Regensburgs Thürmen
schimmerten noch im goldenen Strahl. Ein leichtes Lüftchen flüsterte mit
den Bäumen, die Nachtigall sang ihr süßes Lied im Gebüsch am Bache, der
sich zur Donau hermederschlängelte, keine Wolke trübte drohend den
Purpur des Spätroths — der Friede, der auf der Abendlandschaft lag,
wirkte beruhigend auf Reinhards Seele, daß sich die hochgehenden Wogen
des Gefühls zu ebnen begannen. Alles wird gut werden! tröstete er sich.
Die bitterste Sorge ist mir ja vom Herzen genommen, die Sorge um der
Meinigen Unterhalt! Sie hat mich freilich gedemüthigt — aber ist es mir
eine Schande, von meines Vaters Bruder etwas zu nehmen? Und dennoch,
wenn ich denke —
Er brach ab, zog die Zügel
an und setzte den Hengst in Galopp, als wolle er unerfreulichen
Betrachtungen entfliehen. Nicht weit war er geritten, so holte er einen
einzelnen Reiter ein, dessen Pferd wild gemacht nach einem Paar Sätzen
mit seinem Herrn, welcher Hut und Steigbügel verloren hatte, durchging.
Törring hielt es für seine Pflicht, den Mann zu rettetliLl es kostete
seinem Hengste wenig Anstrengung, den schlechten Renner zu überholen,
ein kräftiger Ruck « die Zügel brachte ihn zum Stehen, worauf der Fremde
sehr blaß aber lächelnd die Mähne, an der er sich gehalten, fahren ließ
und sich höflich bedankte. ES war ein noch junger Mann von einer
Corpulenz, die nicht für seine Iahre paßte. Beide sahen sich lange an,
als suchten sie gegenseitig aus ihren Zügen ein Bild alter Erinnerung
aufzufrischen. Endlich war es dem Umfangsreichen gelungen.
„Irre ich nicht," sprach er lebhaft, „so seid Ihr der Freiherr Törring."
„Getroffen!" erwiederte Reinhard. „Auch Ihr kommt mir bekannt vor, doch habe ich soviel Menschen gesehen —" , .
„Nun, ich hätte Euch auch nicht wieder gekannt,"
sagte der Dicke, sich nach seinem Hute umsehend, „aber in unserm
Stadtwesen wird so leicht nichts der Vigilanz des Nächsten entgehen. So
vernahm ich, daß Ihr, weil Euer Valor anjetzo rasten muß, zurückgekehrt
seied, maßen Bethlen Gabor, Euer Kriegsherr, das Zeitliche gesegnet,
item, daß Ihr Euch eine bildschöne Sponsa —"
„Laßt die Erörterung!" unterbrach ihn Törring unfreundlich. „Wer seid Ihr?"
„Meinen Hut, Herr, erst muß ich meinen Hut haben,"
rief der Fremde. „Wer aber soll mich wieder auf das Pferd bringen, wenn
ich absteige? O Ihr könnt Eurer Benevolenz die Krone aufsetzen, so Ihr
mir den Hut wieder verschafft."
Törring war nicht in der Laune, sich eine solche
Zumuthung auch nur im Scherz machen zu lassen, und wollte eben eine
herbe Antwort geben, als der Dicke, sein flammendes Auge bemerkend,
rief: „Mir, Eurem Vetter und Schulgenossen, Eurem ehemaligen Pylades,
mir wollt Ihr solchen Gefallen abschlagen?"
„Irlbach?" sagte Törring.
„Bei Gott! Du bist's!" — Und rasch jagte er dem Orte zu, wo der
entfallene Hut lag, hob ihn auf und brachte ihn dem schmunzelnden
Vetter. — „Dich hätte ich nie wieder gekannt!" rief er. „Nur Dein Auge,
das mich so prüfend faßte, gab mir eine dunkle Erinnerung. Es scheint
Dir wohl zu gehen."
„Allen Heiligen Dank!"
sagte Irlbach. „Ich sitze im Domkapitel. — Aber der Abend wird frisch
und es ist des Spazierritts genug, außerdem habe ich mich über sothanen
Thieres Insolenz alterirt. Laß uns umkehren und, so Du nicht an Ialousie
leidest, könne« wir den Abend mitsammen passiren, wo Du mir Deine
Avantüren beichten sollst. Bedenkest Du Dich?"
„Mein Weg führt dort hinab!" sagte Törring düster, indem er nach der Himmelsgegend zeigte, wo schon die Dämmerung heraufzog.
„Nicht möglich!" rief
Irlbach. „Du kommst vor der Thorsperre nicht heim. Und wirst doch nicht
fern von der Sponsa pernoctiren wollen?"
„Ich habe eine weite Reise
vor," sagte Törring, die Stirn runzelnd. „Halte mich nicht länger auf;
wenn ich zurückkehre, wollen wir unsere Bekanntschaft erneuern. Nur Eins
noch: sage dem Bischofe, daß er seines Versprechens eingedenk bleibe —
und gütig sei!"
Die letzten Worte sprach
er sehr weich, dann reichte er seinem Vetter die Hand und wollte
scheiden. Der aber sagte mit Herzlichkeit: „Kann ich Dir sonst helfen?
Ich bin noch der Alte!"
„Dank, Dank!" rief Törring. „Willst Du etwas thun, so achte darauf, daß meinem Weibe keine Unbill geschehe."
„Das will ich, so wahr mir
Gott helfe!" sagte Irlbach. „Aber Reinhard, Du reitest in Nacht und
Nebel mit kranker Seele hinaus, das ist nicht gut. Ich will Dir eine
Proposition thun. Kehr' ein in meinem Haus zu Adelmanstein und bleib'
die Nacht dort, ich begleite Dich und so mein Consilium Dir etwas nützen
kann, geb' ich's gern."
Törring war Anfangs geneigt, das Erbieten ab- ,
zulehnen, aber des Iugendfreundes Bitten waren so aufrichtig und
wohlgemeint, daß er endlich einwilligte. Sie bogen vom Wege ab nach
Donaustauf zu und ein Ritt von anderthalb Stunden brachte sie nach dem
Schlosse des Domherrn. Es schien natürlich, daß Törring seinem
Begleiter, der den herzlichsten Antheil nahm, aus Erkenntlichkeit sein
Vertrauen schenkte,
aber dazu schien er keine Lust zu haben. Iede
offene Frage des Vetters beantwortete er mit einer Vertröstung auf die
Zeit, seine Stirn verdüsterte sich immer mehr, und die schweigsame
Laune, in welche er verfiel, mußte am Ende selbst dem geschwätzigen
Domherrn auffallen, so gern er sich selbst in seiner pretiösen Redeweise
sprechen hörte.
„Reinharde!" begann er, das Glas, das er eben zum
Munde führte, absetzend. „Ich hatte mich einer größern Favor bei Dir
versehen. Ich glaubte, inr Kriegsleben lernte man erst recht begreifen,
was ein Freund werth sei, aber mich dünkt, der Panzer hat solcbes Gefühl
in Dir erstickt. Aus Curiosität frage ich nicht nach Deinen
Schicksalen, sondern weil ich hoffe, Dir mit Imperienz und ruhiger
Ueberlegung dienen zu können. War' ich mißtrauischer Natur, ich zöge ein
schlimmes Conclusum auf Dein Geheimniß und Dich selbst."
Das traf. — „Es ist mein
Schicksal, verkannt zu werden!" rief Törring. „Von Dir, dem ich
entfremdet bin, wundert es mich nicht, aber auch — von denen, die mir
nahe gestanden! Was kann ich dagegen thun? Kann ich dafür, daß mich die
Natur nicht schwatzhaft gemacht, wie ein altes Weib? Daß ich in meine
Brust verschließe, was sich nicht ändern läßt — weil ich wohl stark
genug bin, Alles zu tragen, was über mich kommt, Andere aber unter der
Last erliegen würden?"
„Packe" sie mir auf!" sagte der Domherr gelassen.
,,Du verstehst mich nicht," erwiederte Törring. Der Eintritt der Diener, welche das Abendessen auftrugen,
unterbrach das Gespräch, dessen Fortsetzung vor der Hand unterblieb, da
die beiden Freunde nicht mehr allein waren. Irlbach gab sich den
Genüssen der Tafel hin, deren Beschickung seinem Hause Ehre machte,
Törring aß hastig und zerstreut, und blickte sich oft mißmuthig nach dem
Dienstmann um, der hinter seinem Stuhle stand und ihm sehr lästig war.
Der Hausherr bemerkte es endlich, sein Wink entfernte die Zeugen. Aber
statt daß sich nun, wie er gehofft, des Vetters Herz erschließen sollte,
stand Törring auf und sagte: „Laß uns schlafen gehen. Ich will morgen
vor der Sonne aufstehen und nehme daher gleich Abschied. Habe Dank für
Deine Freundschaft und wenn Du nach Regensburg kommst, frage zuweilen
nach, wie es meinem Weibe geht."
„Herr Bruder," sprach der
Domherr ärgerlich, „mir scheint es nicht absonderlich wohl gethan, die
Sorge um Frau und Kind Andern zu committiren, die man nicht einmal der
kleinen Considenz werth hält: warum man die Liebsten im wildfremden
Lande — solches ist ihnen unser Hochstift, maßen Deine Sponsa, wie
verlautet, ungrischen Geblüts —"
„Warum giebst Du ihr immer den verdammten Namen?"
fuhr Törring auf. „Warum nennst Du sie nicht meine Frau, meine Ehefrau,
mein angetrautes Weib?"
„Ei, wenn es Dir besser klingt, thue ich es gern," sagte Irlbach, verwundert. „Du bist bösen Humors."
Törring reichte ihm die Hand, und als der Gutmüthige lächelnd einschlug, zog ihn Reinhard an seine
Brust und sagte: „Verzeih, mein Bruder. Du weißt nicht, welche Kämpfe
mich so empfindlich gemacht haben, Du kennst den bittersten Feind unsers
Gleichmuths nicht" — er brach kurz ab und griff zum Hute.
„Mir wär's lieb, Du nenntest mir diesen Feind," versetzte Irlbach.
„Er heißt: der Mangel!"
sagte Törring. „Still! Kein Anerbieten! Vor der Hand bin ich überreich
und wenn ich glücklich zurückkehre, wird Alles gut. Grüße meine Anna und
meinen Stephan. Gute Nacht!"
Der Domherr griff selbst
zum Lichte, um ihn nach seinem Zimmer zu führen, aber Reinhard drückte
ihn in den Sessel zurück und entfernte sich eilends. Vor der Thüre
harrte der Diener. Als dieser nach einiger Zeit, von Törring
abgefertigt, zurückkam, erhielt er von seinem Herrn noch einen Auftrag,
dessen er sich geschickt entledigte. Irlbach rieb sich zufrieden die
Hände.
Noch säumte kaum der erste
ZZurpurstreif des Ostens Schwelle, als Törring den Stall suchte, um
sein Pferd zu rüsten und ohne Störung, als nur des Thorhüters, das
Schloß zu verlassen. Aber er fand die Knechte bereits Alle munter und
auch des Hausherrn Pferd gesattelt. Ein Diener stürzte über den Hof und
brachte ihm Irlbachs Bitte, nicht ohne Frühstück und Abschied zu reiten.
So mußte er sich fügen.
„Du hast unter dem husarischen Volke *) viele
"Z So „anntc man die ungarischen Völker bereits im schmalkaldischen Kriege.
Untugenden gelernt," rief ihm der Domherr zu, der
auch schon reisefertig war. „Desertirst böslich? Ohne Stärkung auf den
weiten Weg?" — Er rückte ihm einen Sessel hin, zeigte auf das dampfende
Frühstück und schenkte einen großen Becher für ihn voll.
„Keinen Wein!" sagte Törring.
„Wie? Auch nicht auf das Wohl Deiner ehelichen Hausfrau?" rief der Domherr.
Mit leuchtendem Blick
ergriff Törring den Becher und leerte ihn auf einen Zug, dann leistete
er der gastlichen Aufforderung Genüge, und Irlbach sprach: „Es ist gut,
daß Du Deine Familie unter den Schutz eines gewissenhaften Freundes
gestellt hast, denn Regensburg wird nächstens wie ein Hoflager anzusehen
sein und eine verlassene Frau — eine so schöne Frau," verbesserte er,
als sich Törring's Augenbraunen zusammenzogen , „dürfte wohl bei dem
Modus der Iunkherrn und ihrer Disposition nicht ohne Anfechtung
bleiben." ^
„Was meinst Du?" fragte Törring. „Hoflager in Regensburg? Etwa ein Reichstag wieder?"
„Getroffen! Ia wohl, ein
Churfürstentag," versicherte der Domherr. „Man sagt, Kaiserliche
Majestät wolle demselben in Person assistiren."
„Und was wollen sie wieder berathen?" rief Törring unmuthig. „Wie all' das Elend zu vermeiden gewesen wäre?" ..'
„Darüber sind sie wohl jetzt einig," sagte Irlbach.
„Es giebt aber, nun kein Feind mehr im Felde steht, seit der Dänenkönig
pacificirt und Dein Kriegsherr in
Siebenbürgen der Zeitlichkeit Valet gesagt, viel zu restituiren im
Reiche und alle Gravamina, so gegen den Wallenstein sich gehäuft, sollen
hier zur Sprache kommen."
„Und dazu ist Regensburg ersehen? und der Kaiser selbst will kommen?" fragte Törring zerstreut.
„Mit großem Comitat," erwiederte Irlbach, „Es mag zugleich auf die römische Königswahl spekulirt werden." ^
„Also der König von Ungern
auch!" sagte Törring und fiel in tiefe Gedanken. Irlbach nickte, mit
Speisen beschäftigt. Es trat eine Pause ein. Endlich erhob sich der Gast
und nahm Abschied, denn die Sonne warf bereits ihre ersten Strahlen auf
die Fenster der Gebäude und beschämte das Kerzenlicht, das noch im
Zimmer brannte.
„Sage meiner Frauwar
Törrings letztes Wort, „daß sie, während die Stadt voll fremder Gäste
ist, streng das Haus hüte; und sollte ein frecher Gesell ihr nahen, so
sei Du ihr Schirm oder rufe meinen Oheim dazu auf."
Der Domherr versprach es
mit ehrlichem Handschlag und entließ seinen Freund, dem er Glück auf den
Weg und baldige Heimkehr wünschte. Törring schwang sich auf, der
Siebenbürger trug ihn mit zwei Sätzen durch das Thor. .'' ,, .
„Hat er die Satteltaschen
untersucht?" fragte der Domherr seinen Leibdiener und als dieser
verneinte, war er sehr froh über seine unschuldige List. — „Du magst
mich begleiten," sagte er dann zu dem Knechte.
„Mein Roß hat sich gestern sehr boshaften Ingenii gezeigt." — Der Diener verbiß das Lachen.
S.
Wehe den Zurückbleibenden!
Der Augenblick der Trennung ist gleich schmerzlich für den, der
hinauszieht, aber ihn reißt das Leben in seine Strömung, Well' auf Welle
rauscht an ihm vorüber, er muß handeln und kämpfen, schaffen und
schauen, und nur der Moment der Ruhe, nur die Nacht, die Pflegerin aller
Sorgen, bringt ihm den Gram um verlornes Glück. Der Verlassene dagegen!
Alles um ihn ist noch, wie es war, ehe der Geliebte schied, nichts
Aeußerliches bekundet den schrecklichen Wechsel, der momentan vergessen
werden könnte, wenn nicht jeder Stätte der Umgebung das Bild des
Geliebten fehlte, so daß die Erinnerung immer neu und die brennende
Wunde stets offen gehalten wird. Und kommt ja der Schlaf der Erschöpfung
über das müde Augenlied, wie furchtbar ist das Erwachen! Der Morgen
lächelt überhaupt nur den Glücklichen. Wer irgend eine Sorge unter
seinen Pfühl begraben hat, die der Schlummer vergessen, der Traum sich
in Freude verwandeln läßt — dem tagt das Morgenlicht feindlich und er
erschrickt vor dem wiederkehrenden Bewußtsein.
So die junge Frau, welche Törring in Regensburg
zurückgelassen hatte. Sie war spät aus ihrer Ohnmacht erwacht und das
Gefühl, von ihm geschieden zu sein, der ihr einziger Halt im Leben war,
hatte sie an den Rand des Wahnsinns geführt. Nicht in wildem Ergusse der
Leidenschaft äußerte sich ihr Schmerz, dazu war er zu tief, er hatte
den Nerv ihres Daseins getroffen und jede Kraft gelähmt. Still,
todtenbleich, mit starrem, thränenlosem Auge saß die Frau, ihr Kind auf
dem Schooße, und weder dessen Liebkosung, noch das Trostwort des treuen
Mädchens, das ihr aus der Heimath gefolgt war, schienen auf sie den
geringsten Eindruck zu machen. Sie nahm keine Nahrung zu sich und als
der Abend dunkelte, ließ sie es still mit sich geschehen, daß die
Dienerin sie zu Bett brachte.
Diese saß nun allein und
hütete wachsam jeden Athemzug der Herrin und ihres Kindes. Sie wußte
nicht, warum der Hauptmann — so war sie gewohnt, den Freiherrn von
Törring zu nennen — seine Frau verlassen hatte, und das Benehmen der
Letztern schien fast auf eine ewige Trennung zu deuten. Die Folge davon
schien ihr die Heimkehr in das liebe Magyarenland zu sein und das
schwarze Auge der Dirne fing sich an höher zu entzünden, aber ein Blick
auf das Bett ihrer leidenden Frau genügte, den Funken der Freude im
feuchten Schimmer verglimmen zu lassen. Und ein schwerer Seufzer hob ihr
Mieder.
Am andern Morgen, zu
derselben Stunde, als Törring aus dem Schlosse seines Freundes sprengte,
erwachte Anna im jähen Schreck aus dem wüsten
Traume, der die Ermattete in den Frühstunden umsponnen hatte. Sie fuhr
auf, stützte sich auf den kräftigen weißen Arm und sah wild umher. Das
Bewußtsein ihres Schicksals bäumte sich, wie ein riesiger Feind vor ihr
auf, eine bittere Angst verzog die feinen, lieblichen Lippen, schon
flackerten ihre Blicke wieder irr in's Leere, da hob sich vor ihr des
Knaben brauner Lockenkopf aus seinem Bettchen, er lachte die Mutter an
und langte mit beiden Aermchen jauchzend herüber — das brach der Mutter
Herz, aber auch den Starrkrampf ihrer Verzweiflung, eine Fluth von
Thränen löste sich, sie war gerettet.
Ietzt nahte auch die ungarische Dienerin und sprach ihr mit gutgemeinten Worten zu.
„Eörse!" rief Anna. „Wird er wieder kommen?"
Die Dienerin sagte, was
mit ihrem eigenen Glauben stritt, ließ aber doch ein Wort von Heimkehr
fallen. Eine heftig abwehrende Gebchrde war die Antwort darauf.
Gegen Mittag kam ein fremder Besuch. Der Bischof
wollte sich persönlich überzeugen, wie die Trennung, die er veranlaßt
hatte, auf die junge Frau wirkte, und was ihr nöthig sei, denn er hielt
es für seine Pflicht, sich der Verlassenen anzunehmen, für deren
Schicksal er verantwortlich war. Sein Eifer hatte ihn fast gewaltthätig
einschreiten lassen, der Neffe, welcher in der äußersten Noth, als er
die Seinigen dem bittern Mangel Preis gegeben sah, seine Zuflucht zu ihm
nahm, hatte einen strengen Vormund in ihm gefunden, der ihn sofort
seine Macht fühlen
Neß. Wohl gab die böse Sitte der Zeit und Reinhard's unsicheres Benehmen
Anlaß, die Rechtmäßigkeit seiner Verbindung in Zweifel zu ziehen;
durfte der fromme Kirchenfürst ein solches Skandal unter seinen Augen
dulden, durch seine Freigebigkeit unterstützen? War es unbillig, daß er
von seinem Neffen den Beweis seiner Unschuld verlangte, der mit dem
Opfer einer kurzen Trennung herbeizuschaffen war? Und für den Fall, daß
sein Verdacht gegründet war, mußte er die Verirrten nicht auf den
rechten Weg führen, zur Buße und Reue, damit sie des Segens der Kirche
Werth würden? Reinhard war ja der Sohn seines Bruders und er hatte ihn
zu lieb, um ihn dem Verderben zu überlassen. — So kam er denn in der
Mittagsstunde, als Anna eben ihren Kleinen zur Ruhe gebracht hatte, nach
der Herberge, wo Törring mit ihr eingekehrt war. Er hatte es dem
Letztern abgeschlagen, sein Weib zu sehen, aber die Rücksicht, welche
ihn dazu bewog, war jetzt vor einer andern in den Hintergrund getreten.
Der Wirth, obzwar ein
Lutheraner, und wie alle Reichsstädter etwas patziger Natur, hatte doch
vor dem fürstlichen Stande des Bischofs Respect und führte ihn, eine
Meldung für überflüssig haltend, grade zu nach dem Giebelzimmer, welches
er den Fremden in Ansehung ihres ärmlichen Einzugs angewiesen hatte. Er
riß die Thüre auf und trat zurück.
Anna saß am Bette des
Knaben, hatte sich über den Schlummernden gebeugt und schien keinen Sinn
für das zu haben, was um sie vorging, aber die Dienenn,
eine entschlossene Dirne, sprang auf, als sie den ungebetenen Gast
erblickte und wollte ihm die Thüre wehren. Des Bischofs würdiges Ansehen
störte jedoch ihr Vorhaben und er trat ein, nicht ohne Verlegenheit,
wie er sich ankündigen sollte. Hinter ihm wollte auch der Wirth in das
Zimmer schlüpfen, aber Eörse schlug ihm die Thüre vor der Nase zu.
Das Geräusch weckte Anna
aus ihrem Hinstarren, sie wandte sich um; als sie den fremden Mann
erblickte, fchrack sie zusammen. Der Greis nahte ihr schnell, ergriff
ihre Hand und sprach: Fürchtet Euch, nicht, liebe Frau. Ich meine es gut
mit Euch! Dabei sah er ihr, wie seine Gewohnheit war, scharf in die
Augen.
Frau Anna entzog ihm ihre
Hand, sie war im Feldlager nicht eben vortheilhaft mit der Sinnesart der
Männer bekannt geworden, und hätte vielleicht auch den ehrlichen
Bischof in argen Verdacht genommen, wenn nicht sein geistliches Gewand
und eine gewisse Aehnlichkeit mit dem entfernten Geliebten ihr plötzlich
verrathen hätten, wer vor ihr stand. Das war also der Mann, dessen
Gewaltspruch sie namenlos unglücklich gemacht, das war der Mißtrauische,
der ihr Verhältniß zu Törring — sie wurde bei dem Gedanken wie mit Blnt
übergossen. Dem Bischofe gefiel es nicht, daß sie vor ihm bis unter die
Locken der Stirne erröthete.
„Kennt Ihr mich?" fragte er, schon viel dreister und ernster.
„Ich glaube, ja! Ihr seid der Freiherr Albrecht
von Törring," erwiederte die Fremde in reinem, wenn
auch etwas fremdklingendem Deutsch. Sie heftete einen stolzen Blick auf
ihn: „Meines Gemahls Oheim!" setzte sie hinzu.
Der Kirchenfürst war wenig
mit Frauen umgegangen, so daß er ihren Sinn nicht kannte. Er wußte
nicht, was er aus Anna's Zuversicht machen sollte und fürchtete sich vor
einer Erörterung, die ihn so gut beschämen mußte, als diejenige, welche
er für ein Opfer seines leichtsinnigen Neffen hielt. — „Reinhards
Oheim, ja!" sagte er. „Ich komme zu sehen, wie es Euch geht. Laßt nicht
die Traurigkeit überhand nehmen, — nur eine kurze Zeit — Alles wird gut
werden — und wenn Euch irgend etwas fehlt, so wendet Euch dreist an
mich, das heißt, sch icke t zu mir, ich meine den Wirth oder einen
Knecht desselben."
Das Antlitz der Gekränkten
nahm immer mehr den Ausdruck ihres Gefühls an, doch verschmähte sie
jede Rechtfertigung.—„Ich danke Euch," sagte sie fast im Tone einer
Fürstin, die zu Vasallen spricht. Dabei lud sie den alten Herrn mit
einer leichten Bewegung der Hand zum Sitzen ein. Diesem, der sich immer
unsicherer fühlte, war es ganz erwünscht, daß in diesem Augenblicke das
Gemurmel, welches sich schon ein Weilchen vor der Thüre erhoben hatte,
ziemlich laut wurde und der Wirth herein sah. — „Noch einen Besuch,
gestrenge Frau!" rief er. „Darf ich aufthun?"
Hinter ihm zeigte sich ein rundes, wohlgefälliges
Gesicht, und den Wirth zur Seite schiebend, trat der neue Ankömmling,
ein dicker, stattlicher Mann in das
Zimmer. Er verneigte sich erst vor der Dame, die ihn nicht kannte und
einen fragenden Blick auf ihn richtete, dann aber wandte er sich zu dem
Bischofe, ehrerbietig sprechend: „Wollet Euch über meine Präsenz nicht
admiriren, hochwürdige Gnaden. Ich habe dem Gesponsen dieser
tugendreichen Dame heilige Promessen gegeben, ihr seinen Valetgruß zu
bringen."
„Meines Gemahls?" rief Anna. „Ihr habt ihn noch gesehen?"
„Er hat mir die Favor
erzeigt, mit einem Hospiz auf meinem Hause zu Adelmanstein fürlieb zu
nehmen," sagte der Fremde. „Wir sind Iugendfreunde. Gestattet mir, daß
ich mich selbst mit Namen kund thun. Ich bin Ulrich von Irlbach, des
hiesigen Domkapitels Membrum und ein Vetter Eures Eheherrn."
„Was hat er Euch aufgetragen?" fragte Anna, deren Antlitz die Freude verschönte, wie ein Sonnenstrahl anmuthige Gefilde.
„Viel herzliche Grüße,"
erwiederte Irlbach; „Ihr sollet seiner baldigen Wiederkehr harren und
während der Troublen, so bald in Regensburg wegen der fremden Gäste des
Reichstages herrschen werden, Euch in jedem Embarassement an mich, Euren
officiosen Diener wenden, der es für seine heiligste Pflicht halten
wird, Euch zu schirmen."
Er sagte die letzten Worte
mit großer Wärme; der Eindruck, den die schöne verlassene Frau auf sein
Gemüth machte, war unverkennbar. Aber der Bischof sprach: „Hat Euch
mein Neffe nicht gesagt, würdiger Vetter, daß ich schon jene
Verpflichtung übernommen
habe? Seid überzeugt, und auch Ihr, werthe Frau, daß ich sie treulich erfüllen werde."
„Wollet pardonniren, hochwürdige Gnaden," versetzte der Domherr. „Ich soll auch Euch in Nöthen zum Schutz dieser Dame aufrufen."
„Ich wüßte nicht, welche
Gefahr mir drohen sollte," sprach Anna lächelnd, von dem Gedanken an
ihren Reinhard und seine Sorge und Treue ganz beglückt. „Doch danke ich
Euch, Ihr Herrn, für Euern guten Willen, noch mehr wird es mein Gemahl
thun, wenn er, so Gott will, bald von seiner" — sie schien lange nach
einem passenden Beiworte zu suchen und schlug des Bischofs Blick durch
einen vollen Strahl ihres schwarzen Feuerauges zu Boden — „wenn er von
seiner Fahrt heimkehrt."
Dem Alten schien der
Moment passend, sich zu beurlauben, er that es mit einiger
Unbehülflichkeit, zwang aber den Domherrn dadurch, ein Gleiches zu thun.
Dieser hatte seinen Auftrag ansgerichtet und nichts mehr hier zu
suchen. Dennoch nahm er etwas zögernd Abschied. Anna schenkte ihm einen
freundlichen Blick, der wohl seinen Weg fand; gegen den Bischof benahm
sie sich stolz und kühl. Als Beide fort waren, sprang Eörse auf, die in
der Fensternische gekauert hatte und lachte. — „Vor dem Dicken hüte
Dich, Frau," sagte sie in ihrer heimathlichen Sprache.
„Kannst Du Deine Zigeunerkünste nicht vergessen?" entgegnete Anna halb scherzend.
„Brauch's hier nicht!" rief Eörse. „Hab' ein gutes Auge. Bewachen wird er Dich besser, als alle
Haiducken Deines Bruders und die des schmucken Grafen Stephan!"
„Still, böses Mädchen!" unterbrach sie Anna, schnell verdüstert. „Nichts von ihm, wenn Du mich lieb hast."
„So lieb, wie er!"
betheuerte Eörse, doch, rasch zur Reue, warf sie sich vor der Herrin
nieder und küßte ihren Fuß. — Anna seufzte tief und ging wieder an das
Bett ihres Knaben, in dessen Anblick sie sich vertiefte.
„Vetter," sagte der Bischof Arbrecht im Hausflur zu
Irlbach, „Ihr müßt mich begleiten. Wahrscheinlich hat Euch der
Tollkopf, ich meine den Reinhard, in seiner Leidenschaft ein falsch
Zeugniß über mein Verfahren gegeben. Ich muß Euch die Sache erklären.
Esset bei mir, Ihr sollt treffliche Ortolanen und eine Barbe schmecken,
dergleichen noch nicht im Hochstifte gesehen worden."
Die letzte Aussicht lockte
den Domherrn nicht minder, als die Gewißheit, über Törrings
Verhältnisse Aufschluß zu bekommen. Er sagte zu und stellte sich
pünktlich ein. Der Bischof hatte veranstaltet, daß sie auf seinem Zimmer
selbander speisten und sobald der erste Gang aufgetragen war, entfernte
er die Dienerschaft.
„Stellt Euch nur die Lage
der Dinge klar vor," begann er, als ihn Irlbach erwartungsvoll ansah.
„Vor mir erscheint ein bärtiger, gebräunter Kriegsmann, der sich mir als
den Sohn meines Bruders zu erkennen giebt. Ich habe ihn seit seinem
zwölften
Jahre nicht gesehen, wo ihn mein unglücklicher Bruder, der sich zum
Lutherthum verirrt hatte, wie Ihr wißt, mit hinausnahm, um ihn im
Feldlager der Unirten aufwachsen zu lassen. Solches pflegt nicht
absonderlich auf das Seelenheil zu wirken. Doch gefielen mir Reinhard's
Aeußerungen, die Offenheit, mit welcher er mir seine Noth und sein
Zutrauen auf meine Hülfe kund that, ganz gut; ich vernahm zwar ungern,
daß er unter dem Mannsfelder gedient, ihn auf seiner Flucht nach der
Dessauer Schlacht bis in Ungarn und Sclavonien begleitet und nach seinem
Tode, weil er einmaVdort noch war, dem Bethlen Gabor gefolgt, der grad
wieder die Waffen ergriffen hatte — allein ich meinte, der Soldat nehme
es nicht so genau mit der Wahl seiner Fahne und verhoffte, ihn jetzt, wo
es sich zum Frieden anzulassen scheint, der Gesittung und vielleicht
auch dem wahren Glauben wieder zu gewinnen. Da trat er mit seinem
zweiten Gestündniß hervor, wenn ich es so nennen darf, denn er that
nicht eben befangen, sondern, als ob es ganz in der Ordnung sei, was er
mir erzählte. Nämlich in Ungarn, wo die Großen selbst das schlechteste
Beispiel geben mit Wegelagerung, Weiberraub und blutiger Gewaltsamkeit,—
er hat Euch wohl die Geschichte erzählt? So kann ich sie übergehen."
„Nicht eben!" sagte der Domherr hastig. „Nur Resultate weiß ich. Continuiret gewogentlichst, hochwürdiger Oheim."
„Es war dem Reinhard geglückt," fuhr der Bischof fort, „ein Fräulein, wie er sagt, a«s vornehmem
Geschlechte, einer großen Gefahr zu entreißen, als
sie schon von einer Bande geraubt war und forgeschleppt werden sollte.
Ihren Räuber hatte Reinhard zwar besiegt, aber selbst eine Schramme
davongetragen, so daß er auf das Schloß, wo des Fräuleins alter Vater
hauste, gebracht und allda verpflegt wurde. Wie Ihr gesehen, ist die
Bewußte nicht unlieblich von Gestalt."
„Sie ist bildschön, wie ein Engel," rief der Domherr.
Sein Oberer mißbilligte
den sündhaften Vergleich und erzählte dann weiter: „So kam es, daß
Reinhard von einer Liebe befallen wurde, trotz dem, daß das Mädchen
bereits die Verlobte eines Andern war. Dieser stellte sich auch ein,
aber sie behandelte ihn von Stund' an mit Kälte — Reinhard sagt, weil er
sich nicht um ihre Rettung hervorgethan — und am Ende brach sie mit
ihm. Der Vater soll darauf sehr zornig gewesen sein und Reinhard das
Schloß haben verlassen müssen, doch als er bald darauf zum Tode
erkrankt, — berichtet Reinhard — habe er seine Härte bereut, in die
Verbindung gewilligt und das Paar neben seinem Sterbelager durch einen
Pfarrer, der ihm in der Todesstunde beigestanden, ehelich trauen lassen.
Hat er es Euch auch so erzählt?"
Der Domherr umging die
grade Antwort, welche ihm weitere Mittheilungen vorenthalten konnte; er
äußerte nur, die ganze Geschichte sei ihm nicht recht klar.
„Nun also! Hab' ich nicht Recht?" rief der Bischof.
„Der Zusammenhang des letzten Theils ist dunkel, nicht begründet,
schlecht erwiesen. Auch sah
ich deutlich, daß Reinhard sich hier nicht recht auslassen wollte. Der
Verdacht liegt noch, daß die Unglückliche, von ihrer Liebe bethört, mit
ihm geflohen und die ganze Geschichte der Einwilligung, samt Trausegen,
nichts als eine Ersindung ist. Denn später auf den Kriegszügen, wo sie
ihm gefolgt ist, werden sie wohl den Segen der Kirche nicht gesucht
haben — wir wissen Das auch, trotz dem wir nichts mit dem
Soldatentreiben zu thun haben, uns soll man nicht blind machen, wir
haben auch gehört, wie es zugeht."
„Sollte es wirklich eine Fadul sein?" fragte der
Domherr, welcher vor eifrigem Zuhören ganz roth geworden war. „Ich kann
mir nicht denken — die Dame hat ein so sittiges Exterieur, ihre
Nobilität spricht aus jeder Miene —" -,
„Vetter, wir können darüber nicht urtheilen,"
versetzte der Bischof. — „Ich zog nun den Handel in Ueberlegung. Wenn
Reinhard die Wahrheit gesprochen, so hatte er volles Recht auf meinen
Beistand und ich würde die Nichte mit Freuden aufgenommen haben. Im
Gegentheil war ich fern davon, sie in's Elend zu verstoßen, ich hatte
vielmehr die Abficht, das Geschehene gut zu machen. Wie anders sollt'
ich die Wahrheit ermitteln, als daß ich Reinhard gebot, mir das Zeugniß
des Pfarrers herbeizuschaffen? Es ist wahr, ich bestand mit einiger
Strenge darauf und drohte ihm, da er sich widersetzte, ihn von seiner
Gefährtin zu trennen und diese einem Kloster zu überweisen, bis ich
Nachricht von ihren Angehörigen haben würde. Konnt' ich anders seinen
Trotz beugen? Dann ließ ich
die Herberge besetzen, weil er ohne diese Maßregel mit Weib und Kind geflohen wäre, um im Frevel zu beharren."
„Ihr thatet das in der freien Reichsstadt?" sagte der Domherr.
„Guter Vetter," versetzte der Bischof lächelnd,
„vor zehn Iahren hätte ich es nicht gewagt, aber jetzt sind andere
Zeiten und Ihr werdet noch mebr erleben. Es krähte kein Hahn danach und
das Schimpfen des Wirthes verstummte, als die Eingelegten mit blanken
Gulden bezahlten. Reinhard bestürmte mich mit Bitten, ich solle doch nur
selbst sein Weib sehen, mich überzeugen, daß Alles, was er gesagt,
Wahrheit sein müsse — als ob es dem Menschen im Angesichte geschrieben
stände, wie es in seinem Herzen beschaffen ist!"
„Nun, es gibt doch Casus, in denen das Antlitz ein Spiegel der Seele," meinte Irlbach. „Besonders das Auge."
„Da habt Ihr Recht," rief
der Bischof, „mein erster Blick, wenn ich neue Menschen sehe, trifft
immer das Auge. Aber eben Reinhards Auge verrieth mir, daß irgend etwas
nicht lauter sei. Darum setzte ich meinen Beschluß durch. Ist es nicht
zu seinem eigenen Besten? Nun urtheilt selbst, ob ich anders handeln
konnte, und ob es eine gar so grausame Sache ist, sich auf ein Paar
Wochen vom Weibe zu trennen."
„Letzteres mögen wir Beide
nicht unserm Iudicio unterwerfen," erwiederte Irlbach lächelnd. „Aber
jetzt supponiret einmal, hochwürdiger Oheim, daß Reinhard bei seiner
Impresa nicht reussirt —"
„Das hat er mir auch schon
vorgebracht," fuhr der Bischof auf. „Wahrscheinlich hat der Bube die
Absicht, mich zu betrügen, aber es soll ihm nicht gelingen!" — Ueber
seine Heftigkeit beschämt, milderte er den Ton der Stimme gleich wieder
und setzte hinzu: „In diesem Falle bleibt mir immer noch der Ausweg, bei
den Verwandten der übelberathenen Frau, deren Namen mir Reinhard
genannt hat, Erkundigungen einzuziehen. — Lieb ist es mir, daß Ihr Euch
der speciellen Sorge um das Wohlergehen der Dame unterziehen wollt, für
mich scheint es nicht passend, oft mit ihr zu verkehren, auch mag ihr
mein Anblick nicht erfreulich sein und ich finde ihren Unwillen gegen
mich sehr natürlich. Ihr jedoch könnt zuweilen nachfragen, ob ihr etwas
mangelt."
„Dazu autorisirt Ihr mich?" fragte der Domherr etwas unsichern Blickes.
„Versteht sich, nicht
gerade bei ihr selbst," ergänzte der Bischof. „Wolltet Ihr Euch oft dort
blicken lassen, so könnte solches am Ende Eurem Leumund schaden, und
leider sind nicht Alle, die unserem heiligen Stande angehören, so fest
in der Prüfung, wie Ihr immerdar erfunden worden seid."
„Gott stärke mich auch ferner!" sagte der Domherr aufrichtig.
Als er den Bischofshof
verließ, machte er einen ziemlichen Umweg, damit er nicht wieder an dem
Hause des Bärenwirths vorüber kam, wo die Familie seines Freundes
wohnte. Gegen Abend ritt er nach seinem Landsitze zurück, ohne sich
weiter um sie zu kümmern.
Aber schon den zweiten Tag darauf riefen ihn wiederum Geschäfte zur
Stadt und da er einmal dort war und später vielleicht eine längere Zeit
ausbleiben mochte, so beschloß er, seinem Versprechen treu, sich von dem
Befinden der einsamen Frau zu überzeugen, um dann über sie ruhig sein
zu können.
Er stieg diesmal geradezu
im schwarzen Baren ab. Warum nicht hier so gut, als anderswo? — Der
Wirth blinzelte schlau und frech, als er nach der „gestrengen Frau"
fragte. — „Nun, sie hat jetzt mein bestes Gemach inne," sagte er, „die
finstere Stiege mochte Seiner Gnaden nicht gefallen haben."
„Was meint Ihr?" fragte Irlbach. „Hat Seine Hochwürden Gnaden meine Muhme wiederum mit einer Visite favorisirt?"
„Noch nicht," sagte der Wirth. „Euer Hochwürden Muhme also? Gut! Wollt Ihr Euch bemühen?"
Irlbach hatte die Absicht
nicht gerade gehabt, da ihn aber der Wirth nach dem Zimmer wies, das
Anna jetzt bewohnte, so folgte er ihm und klopfte an die Thüre. Sie
wurde rasch von innen geöffnet und die brennenden Augen der ungarischen
Zofe trafen die seinigen so seltsam, daß sein Bewußtsein mit einem Male
rege ward und seinem Benehmen die Sicherheit raubte. Nur Anna's
freundlicher Willkommen gab ihm einige Zuversicht zurück. Er nahte ihr
ehrerbietig, fragte nach ihrer Gesundheit und ihren Befehlen und berief
sich auf seines Freundes Wunsch, ohne den er nicht gewagt haben würde,
die Ruhe ihres Asyls zu stören. Sie dankte ihm, sie äußerte ihm ihre
Freude, ihn wieder
zu sehen, den Einzigen, der es gut mit ihrem
Reinhard und ihr selbst meine. Dies Gefühl, von dem sie durchdrungen
war, gab ihren Worten einen so herzlichen Klang, ihren Blicken eine
Innigkeit, welche ohnehin der Grundton ihres Wesens war, daß Irlbach
ganz von ihr bezaubert wurde. Dazu kam, daß sie durch den häufigen
Verkehr mit Männern jene Scheu und äußerliche Sprödigkeit, welche er an
de« Frauen seiner Nachbarschaft kannte, verloren hatte, ohne jedoch in
den entgegengesetzten Fehler zu fallen, welcher sogar sittenlose Männer
abstößt. Und wie schön sie war! Diese schlanke, schmiegsame Gestalt,
diese schwellenden Glieder, überall Kraft und Fülle bei dem zierlichsten
Ebenmaß, — ihre kleine Hand von zartem Weiß so fein und länglich
geformt, das blasse rührende Gesicht mit den geistreichen Zügen und ach!
das Auge! Der Domherr stand plötzlich auf und empfahl sich. Ihre
ungezwungene Einladung, wieder zu kommen, und ihr noch mehr von Törrings
Kinderjahren zu erzählen, wie es heut ihre kurze Unterhaltung
ausgemacht hatte, beantwortete er mit einer geschraubten Rede, deren
Deutsch er zur Hälfte mit fremden Wörtern durchschoß, so daß sie fast
unverständlich blieb. Er ließ all' seine Geschäfte im Stich, befahl
seinen Zelter zu satteln und ritt so scharf, daß ihm der Diener kaum zu
folgen vermochte, ja es geschah, was bis jetzt noch nie von ihm gesehen
worden, er gab dem Rößlein die Sporen! das erschrak über die Maßen und
rannte gestreckten Laufes dahin, bis es zu Adelmanstein dem Stallknecht
überantwortet wurde,
wo es dann seinem abgesessenen Herrn mit unverkenbarem Erstaunen nachsah.
Irlbach war früher
heimgekehrt, als man ihn erwartet hatte, die Abendmahlzeit blieb daher
sehr lange aus, dennoch behielt der Domherr seinen Gleichmuth, wanderte
verschränkten Armes auf und ab und sagte kein tadelndes Wort, als
endlich aufgetragen wurde. Während des Speisens erklärten sich die
Diener das Räthsel: er hatte keinen Appetit! Nur hastig, ohne Eifer und
Nachdruck nahm er einige Bissen zu sich, dann saß er und schaute
verdrießlich, fast betrübt in den Teller und als er endlich aufstand und
seine letzten Befehle gab, klang seine Rede, die sonst der wälschen
Ausdrücke wegen errathen werden mußte, so vernünftig, wie jedes andern
Menschen. Er war gewiß krank.
Sie hatten ihn nun allein
gelassen, er holte tief Athem und schlug den weitläufigen Hausrock über
die Brust. „In meinem ganzen Leben ist mir kein so übler Auftrag
geworden!" murmelte er vor sich hin. „Ulrich! sieh dich vor! Du hast
dich selbst ertappt auf Blicken, so dir nicht zustanden, auf einem
Wohlgefallen, das bedenklich scheint. Sie ist reizend — ja, das ist das
wahre Prädikat! Sie reizet! Ihre Reize reizen. Pfui über dich, Ulrice,
daß du solchen Reizungen nicht gewachsen bist!"
Mit dem festen
Entschlusse, die Versuchung zu fliehen, legte er sich zu Bett. Sonst,
wenn er übersatt sein weiches Lager suchte, hatte er kaum Zeit, die
Decke überzuziehen, ehe er einschlief. Heut floh
ihn der Schlummer, im halbwachen Zustande gaukelten ihm traumhafte
Bilder vor, die seine Ruhe noch nie gestört hatten, erst spät überkam
ihn der Schlaf, nicht erquicklich, wie sonst, sondern schwer und dumpf,
eine Folge der Uebermüdung. Die Phantasie aber blieb rege und führte ihn
in den Kampf, gab ihm ein Schwert in die Faust und hieß ihn für sein
Leben fechten — Gedanken, die ihn noch nie berührt! Er erwachte in
Schweiß gebadet, er freute sich, daß die Gefahr nur ein Traum gewesen
sei, aber ihm stand ein anderer Kampf bevor, nicht minder gefährlich.
».
Regensburg fing an, sich mit fremden Gästen zu
füllen. Ueberall waren die Herbergen in Beschlag genommen, in den
vornehmsten Häusern traf man Anstalten, die gekrönten Häupter würdig zu
empfangen, schon kamen deren Vorläufer an, Handel und Wandel belebte
sich, die Preise stiegen. Dem Wirthe zum schwarzen Bären war es unter
diesen Umständen nicht zu verdenken, daß er seinen Vortheil wahrzunehmen
suchte, und für Anna's Gemach, das freilich eins der besten in seinem
Hause war, den Miethzins vervierfachte. Der Bischof, dachte er, muß ja
doch zahlen. Aber die junge Frau forderte sogleich ihr früheres
ärmliches Zimmer wieder und bestand auch,
als er die Saiten niedriger stimmte, mit großer Hartnäckigkeit darauf,
so daß er am Ende ihren Willen that und sie für den gleichen Preis in
das schlechtere Gemach einquartierte. Sie hatte ihre Gründe dazu. Das
Zimmer, das sie nach dem Wunsche des Bischofs beziehen müssen, bot grade
die Aussicht auf den Platz, sie konnte nicht hoffen, der Aufmerksamkeit
der Fremden zu entgehen und droben kümmerte sich Niemand um sie, auch
hatte sie das enge Stübchen mit ihrem Reinhard bewohnt, die Erinnerung
machte es ihr lieb. Dem Wirthe stand nun das große Zimmer leer und er
durfte hoffen, bei dem heutigen Einzuge des Kaisers noch irgend einen
vornehmen Herrn aufzugreifen, der wegen seines Unterkommens in
Verlegenheit wäre und gern jeden Preis dafür zahlte. Er machte sich
daher bei Zeiten an das Thor, um den günstigen Augenblick nicht zu
versäumen.
Eörse sprach den ganzen
Vormittag fast nur von den Festlichkeiten, die man bereitet, so daß ihre
Herrin ihr endlich lächelnd die Erlaubniß gab, den Einzug anzusehen.
Auf flüchtigen Fersen eilte die Dirne hinab und drängte sich durch die
Menge, bis sie die blumengeschmückten Straßen, die Doppelreihe der
bewaffneten Bürger, welche vom Thore an aufgestellt war, hinter sich
hatte und einen Platz gewann, wo sie Alles bequem sehen konnte. Es traf
sich, daß auch ihr Hauswirth in der Nähe war, dieser nahm das Mädchen
unter seinen Schutz und ließ es sich angelegen sein, ihr Alles zu
erklären.
Eben donnerte der erste Kanonenschuß vom Walle,
es war das Zeichen, daß der kaiserliche Wagenzug sich der Stadt nahe.
Aber es verging noch eine geraume Zeit, ehe die vorsprengenden Reiter
ankamen, die nun Halt machten und sich ordneten, um gemessenen Schrittes
die Prunkwagen zu eskortiren. Ein fremdartiges Geschwader! die guten
Regensburger verwunderten sich nicht wenig über ihre sonderbare Tracht
und Bewaffnung und der Bärenwirth stieß Eörsen, welche verstummt mit
weit aufgerissenen Augen die Reiter anstarrte, wiederholt in die Seite,
um ihr seine Beobachtungen mitzutheilen. Fast Alle ritten weißgeborene
Hengste, deren Mähne, Schweif und Beine mit leuchtendem Roth gefärbt
waren, sie trugen enganschließende Kleidung von kostbarem Stoff, mit
vielen Knöpfen und Schnüren besetzt, Stiefeln von Maroquin roth oder
gelb, hohe Pelzmützen mir Reiherfedern, krumme Säbel nach Türkenart.
Eörsens Herz schlug höher bei dem Anblick, sie sah stolz umher, als
wolle sie die Bewunderung für die prachtvolle Schaar einsammeln. — „Das
sind des Königs Haiducken," erklärte der Wirth.
„Haiducken laufen zu Fuß!"
sagte sie verächtlich. „Ieder Gespan hält sich Haiducken, bewaffnet
Fußvolk. Das sind magyarische Edelleute!"
Ietzt rollte der Wagen des
Königs von Ungarn, von sechs Pferden gezogen, schwerfällig daher, im
> Schlage standen Oberhofmeister und Kammerherr; Hellebardiere
begleiteten den Wagen, Alle baarhaupt, auch die Dienerschaft, bis auf
den Kutscher. — „Schau, Mädel!" sagte der Wirth, „das soll unser
künftiger
Kaiser werden! Gefällt er Dir? Mir nicht! Hat ein
ellenlang Gesicht, nicht mehr Haare drin als Du, und die gedrehten
Locken an der Seite lassen recht wie es die Epaniolen tragen, vor denen
Dich Gott bewahren möge!" — Er schielte sie bedeutsam an.
Neuer Kanonendonner
unterbrach seine Rede, der Wagen des Kaisers erschien. Ferdinand der
Zweite saß allein auf dem geräumigen Sitze, die Kaiserin rückwärts.
Während der Zeit war der Magistrat in schwarzer Feiertracht heraus
getreten, das Oberhaupt des Reiches zu empfangen, ein Baldachin schwebte
in der Luft, Begrüßungsrede, Musik, Zujauchzen fehlte nicht, der Kaiser
dankte huldreich und die Wachen hatten alle Mühe, den Zudrang des
Volkes zurückzuhalten. Keinen Blick verwandte der Bärenwirth von dem
ernsten Antlitze des Kaisers, wenn er ihn schon als eifriger Lutheraner
nicht eben liebreich betrachtete, Eörse dagegen sah nach einer ganz
andern Richtung, ihr Athem ging rasch, sie zuckte mehrmals zusammen. Der
Wirth, der ihr seine Bemerkungen vertrauen wollte, wurde gewahr, daß
sie nach dem Wagen der kaiserlichen Prinzessinnen blickte, welcher dem
der Majestäten folgte.
„Ia das wird freilich
hübscher sein," sagte er. „Inzwischen sieht man doch einen Potentaten
gern, und sein blaues Wamms mit Silberblumen nimmt sich auf den rothen
Sammtkissen ganz gut aus. Du bist aber auf des Kaisers Töchter neugierig
— oder schaust Du nach den schmucken Kavalieren, die den Wagen
begleiten? Kann Dir's nicht verdenken! Wenn
Du mir ein gut Wort giebst, suche ich den Hübschesten aus und biete ihm
Herberg in meinem Hause an!" „Ihr wolltet —?" fuhr Eörse erschrocken
auf. „Wie das gleich Feuer fängt!" lachte der Wirth. „Nun Dir zu
Gefallen werde ich mich darum bemühen, einen recht jungen, schönen,
reichen Herrn zu kriegen, der die Ducaten nicht schont! Kann die alten
Griesbärte selber nicht leiden, — geiziges Wolk! Aber Mädel! was fällt
Dir ein? Sie werden Dir eins mit der Hellebarde geben."
Die Ungarin drängte sich
ungestüm vor, als der Wagen der beiden Prinzessinnen nahte. Sie hörte
die Warnung nicht, ihr Auge hatte einen Gegenstand gefaßt, von dem es
nicht abließ und erst, als das Geschwader der Edelleute, welches dem
Wagen folgte, vorüber war, und eine Schaar leichtbewaffneter Reiter den
Zug schloß, erwachte das Mädchen gleichsam, und rief: „Keinen von
diesen! Versprecht es mir!"
„Warum denn, Mäuschen?" fragte der Wirth. „Hast Du Dir was Anderes ausgesucht?"
Der Strom des Volkes, der
sich nach dem Innern der Stadt zurückwälzte, riß auch das Paar in der
allgemeinen Richtung mit sich fort und ehe der Wirth sich dessen versah,
war Eörse von seiner Seite verschwunden. Sie kämpfte mit der Kraft
ihrer Ellnbogen quer durch die Menge, daß sie ein Seitengäßchen
erreichte, wo sie ungehindert und flink, wie das Reh ihrer karpathische»
Berge, davonsprang. Sie hoffte, trotz des Umwegs rascher nach Hause zu
kommen, aber fremd wie sie war, konnte sie sich in dem
Labyrinth der Gassen nicht zurechtfinden und war auf einmal wieder dem
Getümmel nah, dicht an der Wohnung , die man dem Könige von Ungarn
bereitet hatte. Einen Moment blieb sie stehen und spähte unter den
Reitern, die noch immer durcheinander wogten, umher. Dann sah sie sich
nach dem Wege um, den sie zu nehmen hatte: er führte sie mitten durch
das Gewühl. Sie besann sich nicht lange, sie hatte keine Zeit zu
verlieren. Eilends schlüpfte sie, die Pferde vermeidend, die
Menschenmenge theilend, nach der jenseitigen Straßenecke, wo nur noch
wenig Schritte bis zu ihrer Wohnung waren. Da erschreckte sie plötzlich
der grause Nationalfluch von einer Stimme, die sie nur zu gut kannte —
sie glaubte, es gelte ihr, sie sei erkannt; sie rannte ohne aufzublicken
durch die Lücke, welche sich ihr eben bot, von dannen, aber in
demselben Moment wollte auch ein Reiter dieselbe benutzen, sein Pferd
streifte das Mädchen mit dem Bug und warf sie nieder. Laut auf schrieen
die Zeugen, das Volk schimpfte auf den Fremden, der, den Unfall
bemerkend, den er angestiftet hatte, sofort vom Pferde sprang und sich
der Beschädigten hülfreich erweisen wollte. Eörse, welche sich an der
Stirn verletzt hatte, so daß ihr das Blut über die Wange rieselte, war
aber schon wieder auf den Füßen, heftete einen schnellen Blick auf ihn
und wie verscheucht, stürzte sie sich, zur Flucht gewandt, auf den Kreis
der Umstehenden, zersprengte ihn und war verschwunden. Der Fremde hatte
nicht einmal Zeit gehabt, ihr ein Goldstück, nach dem er gegriffen, zum
Schmerzensgelde zu geben. Er wollte wieder aufsteigen, aber
das Wolk war durch den Anblick des Blutes gereizt,
es tobte in wildem Geschrei und nur die kühne Haltung des Fremden war
sein Glück, daß nicht Hand an ihn gelegt wurde. Wohl hatte sich seine
Wange etwas höher gefärbt, als er sich vom Pöbel bedroht sah, aber ohne
sich irren zu lassen, schob er die Nächsten keck beiseit, gab dem
Burschen, der sich der Zügel seines Resses bemächtigt hatte, das
Goldstück, welches dem umgerittenen Mädchen bestimmt gewesen, in die
Hand, als Lohn für seine Bemühung und schwang sich ruhig in den Sattel.
„Schaff' mir eine Herberge!" rief er dem Gesellen zu, der schmunzelnd die blanke Münze betrachtete.
„Herberge? Hier!" schrie ein Mann, der eben dazu
kam — es war der Bärenwirth. „Sucht Ihr Herberge? Ich kann zwar
eigentlich keinen Winkel mehr missen, aber es wäre unchristlich. Euch
auf der Straße zu lassen." — Und eine weitläufige Anpreisung seines
Hauses und seiner eigenen Person erfolgte, welche der Fremde mit dem
Befehl unterbrach, ihn unter Dach zu fördern. Sein lauter Ruf brachte
noch einige Knechte mit Packpferden herbei, zugleich auch Einen seiner
vornehmen Genossen, der ihn mit gerunzelter Stirn fragte: ob er
untergebracht sei? und auf die bejahende Antwort einen heftigen Fluch
ausstieß, daß es ihm selbst noch nicht gelungen.
„Ich theile Bett und Raum
mit Dir!" sagte der Erste mit offnem Anerbieten. Aber der Andere dankte
ihm stolz und ritt zu seinen Knechten.
Während dies vor dem Hause des Königs von
Ungarn geschah, war Eörse athemlos die dunkle Stiege zum Gemach ihrer
Herrin hinaufgesprungen und trat, mit bluttriefendem Antlitz, ein Bild
zum Entsetzen/ über die Schwelle. — „Ihr Heiligen!" schrie Anna. „Was
ist Dir begegnet?"
„Er, Er ist hier!" rief Eörse. „Ich bitte Dich, Frau, —"
„Wen meinst Du? Gott, Du blutest, Du bist verwundet! Sagemir!" drängte Anna bleich wie eine Lilie.
„Graf Iury," sprach das Mädchen, die Hände ringend.
Mit einem Laut der
Bestürzung sank Anna in den Sessel zurück. — „Und das ist von Ihm!"
stöhnte sie, auf die Wunde der Verletzten deutend. „Ich erkenne seine
Weise!"
„Ach und Graf Stephan auch!" sagte Eörse. „Er ritt mich nieder, ich habe in sein Auge gesehen!"
Beide Hände erhob Anna,
purpurglühend im jähen Schreck, keines Wortes mächtig. — Da wurde es
unten im Hause laut von Pferdegetrappel und vielen durch einander
schreienden Stimmen, Eörse horchte mit verhaltenem Athem, endlich
schlich sie zur Thüre, öffnete diese und lauschte ein Weilchen hinaus.
Dann machte sie behutsam wieder zu, nickte bedeutsam und sagte:
„Magyaren!"
„Nur Er nicht!" rief Anna
aufspringend, „Gott, großer Gott, das erspare mir! — Eörse, meine Treue,
komm, sorge für Deine Wunde, laß sehen, es ist nur eine leichte
Verletzung, wasche das Blut ab, ich will Dir ein Balsampflaster
auflegen, das binde fest über
das halbe Gesicht — so kennt Dich Niemand. Auch ist es ja lange her — daß — Du mußt mir Gewißheit schaffen!"
Stumm that das Mädchen, wie ihr geheißen war.
Indessen sie sich aber damit beschäftigte, kam Iemand die Treppe herauf
und klopfte an. Der Muth fehlte Beiden, Herein! zu rufen. Es war der
Wirth.
„Was Geier!" sagte er. „Du
bist die Umgerittene? Ich hörte nur davon reden! Das trifft sich ja
prächtig für Dich. Der Mann ist hier, Du kannst ihn gleich belangen, er
schmeißt mit Ducaten um sich. — Wahrhaftig, gestrenge Frau, ein
hunniarischer Kavalier, gewiß ein Doppelgespann!"
„Sein Name?" fragte Anna mit einer Stimme, die nach Festigkeit rang.
„Hm! Weiß ich doch den
Eurigen nicht einmal!" sagte der Wirth. ,,Das heißt," setzte er hinzu,
als er das Auge der Frau unwillig blitzen sah, „Euren eigenen
Familiennamen, nicht den Eures Herrn. — Wie der Kavalier heißt, weiß ich
nicht, ich kam aber herauf, Euch zu sagen, daß er Euer Landsmann ist
und habe ihm auch schon erzählt, daß eine Dame bei mir wohnet, die von
Geblüt —"
„Wer hat Euch das gesagt?" fiel Eörse ein. „Ich bin eine Magyarin! Aber die Frau, wie kommt Ihr darauf?"
„Nicht?" sagte der Wirth
verwundert. „Nun freilich gehabt Ihr Euch ganz deutsch — ich dachte nur,
gestrenge Frau, weil das Mädel da — nun, da muß ich's widerrufen."
„Thut das!" sagte Anna. „Ich bin, und kann nie etwas Anderes sein, als eine Deutsche!"
„Auch von mir erzählt ihm
nichts!" rief Eörse. „Ich will nichts mit ihm zu schaffen haben, will
ihn nicht sehen, der mich anritt, wie ein Bosniak."
„Ach, Du Schelm!" sagte
der Wirth. „Das wird sich finden. Nichts für ungut, gestrenge Frau." —
Er ging und ließ die Gequälte rathlos zurück.
„Du weißt ganz gewiß, daß
der Mann, dessen Pferd Dich beschädigte — der Graf von Sarosch gewesen?"
fing Anna nach einer ängstlichen Pause an. — Eörse betheuerte es. —
„Und er ist hier, hier im Hause!" rief Anna.
„Ach, vor ihm darfst Du Dich nicht fürchten!" sagte die Dienerin. „Aber wenn Du errathen würdest, daß Graf Iury —"
„Wir müssen fort!" unterbrach sie Anna. „Fort von
hier, ehe es zu spät wird. Wenn Iury mich entdeckt, bin ich verloren!
Ach, daß Reinhard fern sein muß! Sein Arm hätte mich geschützt — uns
Alle! Wohin sollen wir uns wenden!"
„Icb geh' zum Bischofe!" sagte Eörse. „Er hat uns dazu aufgefordert, wenn wir in Noth sind."
Anna schüttelte den Kopf—„Eher hätte ich
zuReinhards Freunde Vertrauen," sprach sie gedankenvoll. „Er meint es
ehrlich, ex wird sich unsrer annehmen!"
„Der dicke Herr hat aber ein Auge auf Dich!" rief Eörse.
,,Schäme Dich, Mädchen!" schalt Anna unwillig. „Er nimmt Antheil an mir um Reinhards willen. —
Ich muß ihm vertrauen. — Wirst Du seinen Namen behalten? Dich nach ihm
erkundigen? Gewiß ist er in der Stadt. Such' ihn auf, bescheide ihn zu
mir."
Die Dirne erklärte sich
bereit, ließ sich mit einem Tuche verbinden, daß sie ganz unkenntlich
wurde und ging, vorläufig beim Wirthe Erkundigungen einzuziehen. Der
wußte von Irlbach nichts, wies sie aber nach der Herberge, wo er
abzusteigen pflegte. Als sie das Haus verließ, um der Anweisung zu
folgen, mußte sie dicht an dem Manne vorüber, dessen Nähe sie um ihrer
Herrin willen scheute. Er gab einem Knechte, den er verschicken wollte,
in ungarischer Sprache Befehle und zeigte ihm die Richtung, die er zu
nehmen hatte. So bemerkte er Eörsen, die wie ein Pfeil vorüber schoß
nicht, aber sie hatte wohl verstanden, was der Knecht bestellen sollte
und tröstete sich nur damit, daß Frau Anna hinter ihr sorgfältig die
Thüre verschlossen hatte. Mit großer Genauigkeit hatte der Wirth ihr das
Haus beschrieben, wo der Domherr von Irlbach zu finden sei, sie konnte
nicht fehlen, als sie aber dort ankam, fand sie das nämliche Treiben,
wie im schwarzen Bären, nur daß hier nicht Ungarn, sondern die Edelleute
des Churfürsten von Cöln hausten, welcher dort seine Wohnung gefunden
hatte. Ein riesiger Hellebardier im schwarzen Sammetrock, mit weiß und
blau geschlitzten Beinkleidern hielt die Wache an der Thüre und wies das
Mädchen barsch zurück, sie wollte auf seinen Zuruf nicht achten und
hätte gewiß für ihre Hartnäckigkeit gebüßt, wenn nicht eben ein Wagen
vorgefahren wäre,
in welchem sie den Bischof von Regensburg erkannte. Schnell entschlossen
benutzte sie den Augenblick, da der geistliche Herr ausstieg, ihm nahe
zu kommen und eilig zu sagen: Meine Frau ist in Noth und muß Euch
sprechen! — Unangenehm betroffen winkte ihr der Bischof zurück, Mehrere
seines Gefolges mußten die Dirne bemerkt, ihr Anliegen gehört haben, es
war ihm im höchsten Grade verletzend, so öffentlich und in so
zweideutiger Art angetreten zu werden. Rasch entfernte er sich in das
Haus; Eörse, zufrieden, doch etwas für ihre Herrin gethan zu haben,
machte sich auf den Rückweg. Sie sah wieder den Knecht des Grafen von
Sarosch, der noch immer nicht sein Ziel gefunden hatte und alle Häuser
anglotzend, an ihr vorüber ging. Aufathmend beschleunigte die Magyarin
ihren Schritt und erlöste Frau Anna, welche sich allein um so
verlassener fühlte, von einer großen Angst.
„Ich habe den dicken Herrn nicht gefunden," sagte sie, „aber den Bischof. Dem hab' ich gesagt, daß Du ihn sprechen mußt."
„Das ist mir unlieb!" rief Anna. „Ihm am Wenigsten mag ich verpflichtet sein. Es drückt mich ohnehin, daß er für uns sorgt."
„Er muß Dich fortschaffen,
Dich anderwärts sicher unterbringen," sagte Eörse. „Ich habe gehört,
wie Graf Stephan den Knecht ausschickte, nach dem Warhely zu fragen und
ihn herzuführen."
„Sie sind also noch befreundet!" rief Anna. „Ich sähe doch Iury gern einmal wieder — wenn er nicht so hart wäre!"
„Ei, Frau, doch lieber den schönen Grafen Stepfan?" entgegnete Eörse.
Anna blickte schmerzlich
zu Boden und winkte ihr zu schweigen. — „Er ist, Gott weiß! noch schöner
geworden," fuhr Eörse fort. „Und freundlich muß er auch noch sein, denn
er sprang gleich vom Pferde und wollte mir helfen."
„Ich bitte Dich, Gute, sprich nicht von ihm; Du thust mir weh!" sagte Anna.
„Ha! Es thut Dir leid?
Nicht wahr, leid?" rief die Dirne mit funkelnden Augen. „Du möchtest
Alles gut machen? Das geht! Darum ist er hier! Sprich ihn, sei ihm
wieder gut, er wird Dir nicht bös sein!"
Wie von einer Schlange
gestochen, sprang Anna auf und zu ihres Knaben Bett, das sie
umklammerte, wie der Verfolgte das kirchliche Heiligthum, dessen
Unverletzlichkeit ihn schützen soll. Eörse war vor ihrem
leidenschaftlichen Beginnen verstummt und nur das leise krampfhafte
Schluchzen der Frau unterbrach die Stille. Ihre Worte bereuend schlich
das Mädchen zu ihr, und küßte demüthig den Saum ihres Gewandes. Anna
reichte ihr die Hand. Beide schwiegen.
Es war spät Abend und die
Dämmerung, welche in Iunitagen nie zur Nacht übergeht, bereits
eingebrochen , als der Wirth noch erschien, einen Gast anzumelden. „Euer
hochwürdiger Vetter, gestrenge Frau!" rief er in die Thüre.
Der Domherr von Irlbach
trat ein. Anna empfing ihn mit großer Freude, wie einen Retter, von
ihrem guten Sterne hergeführt, er aber benahm sich
sehr zurückhaltend. — „Wollet excusiren," sprach
er, „daß nicht mein Oheim in Person Eurem Rufe gefolgt. Er ist mit
Geschäften cumulirt und hat mich an seiner Statt'geschickt, der ich ihm
und Euch Obedienz schuldig bin."
„Ihr seid mir in meiner
Roth gesandt!" rief Anna. „Ich dachte, mich Euch anzuvertrauen, dessen
Freundschaft Reinhards Gattin nicht verlassen wird, wo sie von Gefahren
bedroht ist."
„Ihr bedroht?" rief Irlbach wärmer. „Was kann Euch geschehen sein? Sprecht! Ihr sollt mich treu finden!"
„Es sind Feinde — meines
Gemahls in der Stadt, in diesem Hause!" sprach Anna. „Wenn sie mich
erkennen, bin ich in ihrer Gewalt und vielleicht mit meinem unschuldigen
Kinde einem schrecklichen Schicksal verfallen!"
„Wer darf es wagen, hier
in einer freien Stadt, Euch, die unter dem Schutze des Bischofs steht,
ein Leid zuzufügen?" rief der Domherr. „Nennt mir diese Feinde, damit
ich sie zur Rechenschaft ziehen kann."
„Noch wissen sie nicht um
mein Hiersein," erwiederte Anna. „Aber wenn sie davon hören, würde mich
keine Macht vor ihnen schützen. Ist es Euch daher möglich, mir noch heut
oder spätestens morgen in aller Frühe ein Fuhrwerk zu schaffen, daß ich
diese Stadt verlassen kann, so würdet Ihr eine Unglückliche zu ewigem
Danke verpflichten. Denkt, daß Ihr es Eurem Freunde thut."
„Regensburg wollt Ihr verlassen?" entgegnete der
Domherr, von Zweifeln und Plänen bewegt. „Wohin aber gedenkt Ihr zu
ziehen , daß Euch Euer Herr wieder findet? Er hat mir — und unserm Oheim
— die Pflicht committiret —"
„Gleichviel, wo ich ein
Unterkommen finde!" rief Anna, ihn unterbrechend. „Ihr könnt meinen
Gemahl, wenn er zurückkehrt, benachrichtigen, wo er mich trifft. Nur
rathet, helft mir jetzt. Es ist keine Zeit zu verlieren."
„So erlaubt, daß ich dem
Bischofe, der mich hergeschickt, referire," sprach Irlbach, immer
verwirrter. „Sorget nicht! Ihr werdet vor jeglicher Calamität geschützt
sein! Noch vor Nacht erhaltet Ihr Bescheid."
Er ging mit kurzem
Abschiede, den Kopf ganz voll, das Herz überwallend. — Wer waren die
Feinde, vor denen die holde Frau zitterte? Im Hause weilten sie! Er
fragte den Wirth nach seinen Gästen. Der hatte aber außer dem Grafen von
Sarosch noch mehrere Fremde, so daß Irlbach's Verdacht keine bestimmte
Richtung gewann. Eben, als er das Haus verließ, trat ein
reichgekleideter Ungar ein, der ihn barsch fragend anrief?, „Graf
Sarosch?" — Irlbach's Höflichkeit konnte ihm den Bescheid nicht
versagen, daß ein solcher allerdings im Hause wohne, der hinzutretende
Wirth übernahm die nähere Zurechtweisung.
„Willkommen, Iury!" rief
der Graf, als er den Freund erblickte. „Denke, mich hat der Zufall in
das Haus geführt, wo das Mädchen, das ich umritt, wohnt, es soll noch
dazu eine Magyarin sein. — Nun Wirth?"
„Ich weiß weiter nichts,
als was ich Euer Gnaden schon sagte," versetzte dieser. „Die Dame kam
vor einiger Zeit mit ihrem Begleiter an, der nun wieder abgezogen ist.
Seitdem erhält sie oft Besuch von geistlichen Vettern, worunter auch
unser gnädigster Herr. Doch lehnt sie die Ehre ab, zu Eurer Nation zu
gehören, die Magd nur ist ungrisch. Ein Kernmädel! Thut zwar sehr böse
auf Euch und will Euch nicht einmal sehen, aber ich denke —"
„Schon gut!" unterbrach
ihn der Graf. „Besorgt Speis' und Trank. — Nun, mein Bruder," sagte er,
als der Wirth abgegangen war, „hast Du Dich mit der Stadt versöhnt?"
„Hol' sie der Teufel und
alle Deutschen dazu!" rief der Andere, seinen schwarzen Bart in eine
scharfe Spitze drehend. „Mir ist die ganze Reise verhaßt! Und wenn ich
denke, daß dadurch vielleicht Alles, was ich so klug eingeleitet habe,
zu Schanden wird! Stephan! Wenn ich das wüßte!" — Er stampfte klirrend
mit dem Fuße.
„Du solltest froh sein, wenn die Versuchung Dir erspart würde," sagte der Graf mit einem unterdrückten Seufzer.
„Versuchung?" rief Iury
wild. „Ich weiß von keiner, denn^nein Entschluß ist längst gefaßt!
Gyonvar's Mauern reden nicht und die Karpathenspitzen, die in mein
Schloß schauen, noch minder. — Du bist zahm, wie ein Deutscher, Dich hat
keine Magyarin gesäugt! Du, der mehr Grund hat, als ich, zum bittersten
Hasse, Du sprichst weich und weibisch."
„Warhely!" sagte Sarosch ernst verweisend.
„Ia, zum Teufel, ich
wiederhol' es!" rief Warhely. „Sprich doch, sprich, was würdest Du thun,
wenn Beide gebunden Dir zu Füßen lägen? Würdest Du wie ein Mann Deine
Ferse auf ihren Nacken setzen?"
„Der Türken Art ist nie mein Vorbild gewesen sagte der Graf unwillig.
„Schmähe die Türken
nicht!" entgegnete der hitzige Iury. „Es würde Manches anders stehen,
wenn unsere Väter einstimmig zum Zapolya gehalten hätten!"
fassen wir den Streit" bat Sarosch. „Ich kann nur
wünschen, daß Deine Nachforschung vergeblich sei, nachdem ich gehört,
welches Loos die Unglücklichen von Dir zu erwarten haben."
„Und das wirfst Du mir in
den Bart?" fuhr Warhely auf. „Du hast wohl selbst ihre Flucht
begünstigt? Du, der an Allem Schuld ist! Hättest Du Deine Braut, wie ein
echter Magyar, gehütet, sie vertheidigt, nie aus den Augen gelassen,
tapfer das Leben eingesetzt, sie zu befreien — wie hätte der Fremdling
sie gewinnen können? Ist es der Anna zu verdenken, daß sie Dich, der
nicht den Säbel für sie zog, aufgab, daß sie dem Deutschen, der sein
Blut für sie vergoß, lieb gewann? Zum Teufel, nein! Und darum hasse ich
sie nicht! Aber daß sie die Ehre Warhely's vergaß, das, das fordert
Rache!"
Des Grafen männliches
Antlitz hatte sich mit einer schönen Röthe gefärbt, sein Auge blitzte. —
,Ich verschmähe es," sagte er stolz, , auf Deine ungerechte
Anklage zu antworten. Wenn Du ruhig bist, wirst Du Dich selbst ihrer schämen,"
„Ruhig?" schnaubte Warhely. „Der Teufel hole das Wort! In meinem Kopfe steht es nicht."
Die ungezähmte Natur des
Wilden hätte vielleicht trotz der Mäßigung seines Freundes zu einem
Bruche, wo nicht gar zu einem Zweikampfe geführt, wenn nicht der Wirth
mit dem Abendessen dazwischen getreten wäre. Sein Geschwätz diente dazu,
die vorige Scene ganz abzubrechen. Er erzählte von der Ankunft der
Churfürsten und ihrem Gefolge, rühmte die Pracht des von Trier gegen
seinen Bruder, den Baiern Mar, den er überhaupt, als das Haupt der
katholischen Liga, bitter haßte und schloß mit einigen kühnen
Prophezeihungen, die er auf das Ausbleiben der protestantischen
Churfürsten von Sachsen und Brandenburg baute. Der Graf von Sarosch ließ
ihn plaudern, da ihm die Unterbrechung nicht unlieb war, er hörte
jedoch wenig auf ihn, seine Gedanken waren zu gewaltsam auf die
Vergangenheit gelenkt worden. Hielt ihn denn das Selbstbewußtsein ganz
aufrecht? Es tröstete ihn, aber den Schmerz der aufgerissenen Wunde
vermochte es nicht zu lindern.
Als der Wirth endlich
seinen Rückzug nahm, bot Warhely, nach Art jähzorniger Menschen schnell
besänftigt, dem Freunde die Hand. Beide setzten sich und blieben bis
Mitternacht zusammen.
4.
Für einen unbetheiligten
Zeugen wäre es sehr ergötzlich gewesen, die Verlegenheit zu sehen, in
welche der Bericht des Herrn von Irlbach seinen Oheim setzte. Dem guten
Bischofe war es in diesem Augenblicke schmerzlich Kid, sich einem so
mißlichen Geschäft, als die Behütung eines Frauenzimmers überall ist,
unterzogen zu haben, doch hielt er sich zu sehr an sein Wort und seine
Pflicht gebunden, als daß er jetzt, wo sein Schutz in Anspruch genommen
wurde, denselben versagen sollte. Auf der andern Seite lag die Besorgniß
ziemlich nahe, ob er nicht ein Unrecht thue, die Geflüchtete — als
solche betrachtete er sie! — vor ihren Verwandten zu bergen. Denn nach
der natürlichsten Erklärung konnten die Feinde, vor denen sie zitterte,
keine andern sein, als ihre Verwandten, welche gekommen waren, sie
zurückzufordern. Hier kam es nun darauf an: hatten sie ein Recht dazu?
Oder war es Rache, wonach sie gelüsteten? Im ersten Falle entstand ein
schlimmer Conflict zwischen seinem dem Neffen gegebenen Versprechen und
der Verpflichtung, die ihm sein Gewissen und sein Amt auflegte; es war
aber auch der zweite Fall, besonders wenn sein Neffe, wie er herzlich
wünschte, die lautere Wahrheit gesprochen , wohl denkbar und dann schien
ein rasches entschlossenes Handeln erforderlich. Dazu war aber weder
der alte Herr, noch sein umfangreicher Vetter der Mann. Sie saßen sich
gegenüber und erschöpften sich
in Muthmaßungen, ohne daß es zu einem Entschlusse
kam. Endlich sagte der Bischof: Es könnte der ärgerlichen Ungewißheit
mit einem Male abgeholfen werden, wenn man — versteht sich ohne die Frau
zu gefährden — mit ihren muthmaßlichen Angehörigen Rücksprache nähme,
sie um Auskunft über die obwaltenden Verhältnisse bäte und sich zum
Vermittler einer Aussöhnung antrüge! Meint Ihr nicht auch?"
„Ehe das aber so weit gediehen wäre," erwiederte der Domherr, „könnte schon die Arme ihrer Rache verfallen sein." , -'
„Da habt Ihr Recht,"
versetzte der Bischof. „Sie könnten sie entdecken, mit Gewalt entführen
und Alles wäre zu spät. O des Leichtsinns, der sich in solche Lage
brachte!" — Die hellen Schweißperlen traten auf seine Stirn. . ,
„Mich dünkt, daß wir durch
solche Erclamatio- nes nicht prosperiren," bemerkte Irlbach. „Die Dame
wünscht Regensburg zu verlassen, ein Vehikel für sie ist bald besorgt,
aber Frage: wo schaffen wir ihr ein Unterkommen, daß sie sicher die
Retour ihres Herrn erwarten kann?"
„Reffe, zu Adelmanstein!" erwiederte der Bischof.
Der Domherr fuhr zurück und wurde blutroth. — „Bei mir?" stotterte er. „Das geht nicht! Das geht auf keine Weise!" . , >. ^
„Ich ehre Eure Scrupel,"
versetzte der Sheim, „es war auch nur ein flüchtiger Gedanke. Fern sei
es von mir, Euern guten Leumund vor den Menschen in Gefahr bringen zu
wollen. So lasset uns einen andern Rath
ersinnen. In das erste beste Dorf können wir die Arme nicht schicken,
dorthin reicht unser Schutz nicht, sie einem unserer Amtleute
anvertrauen. —"
„Hieße Euch selbst exponiren!" unterbrach ihn der Domherr.
„Gewiß!" bestätigte der Bischof. „Guter Neffe,
handelt, wie es Euch der Geist eingiebt. Die Zeit, sehet Ihr, drängt.
Schafft nur ein Fuhrwesen, bis dahin wird Euch ein Ort einfallen, wohin
Ihr sie einstweilen sendet, Ihr habt ja der Bekannten so viele. Eilet,
eilet, ehe es zu spät wird."
Auf diese Weise lud der
Bischof die ganze Verantwortung auf die Schultern des Domherrn und
behielt sich selbst das schwierige Unternehmen vor, mit Anna's
Verwandten eine Aussöhnung zu bewirken. Wenn er nicht wußte, wo die
Verfolgte geblieben war, konnte er viel ruhiger auftreten. Der Domherr
sträubte sich nicht, er zitterte zwar merklich am ganzen Leibe, aber
sein Blick war entschlossen. Aufstehend versprach er, morgen Bericht
abzustatten, was er gethan habe. Der Bischof bat, damit zu warten, bis
seine Unterhandlung zum Schlusse gediehen sei. „Scheitert sie," sagte
er, „so verschweigt mir den Aufenthalt der Armen."
Irlbach ging mit sich
kämpfend nach Hause. Er stolperte viel unterwegs, sein Gang wurde immer
rascher, endlich stand er keuchend auf der Straße still, legte die Hand
auf das Herz und fragte betrübt: „Hab' ich denn böse Absichten? Kann es
mir denn in den Sinn kommen, auch nur mit Gedanken gegen
Tugend und Freundschaft zu freveln? Woher also diese Angst, als sei ich mir eines Criminis bewußt?"
Er untersagte sich, Frau
Anna selbst von seinem Vorhaben zu unterrichten. Er schrieb einen
Zettel, den er dem Knecht des Wirths zur Bestellung in Anna's eigene
Hände übergab. Das Blatt enthielt nur die Meldung, daß in der
Morgendämmerung gegen zwei Uhr ein zuverlässiger Fuhrmann sie abholen
werde. Als der Bote fort war, seufzte der Domherr mehrmals vernehmlich,
doch war er froh, die Angelegenheit beseitigt zu haben.
Der Wirth zum Bären
wunderte sich, als ihm die fremde Frau, gleich nach Empfang des
Briefleins, das er dem Boten nicht hatte abschwatzen können, eröffnete,
sie werde früh verreisen und ihre Rechnung bezahlte. Er säumte nicht,
dem Grafen von Sarosch, bei dem er noch zu thun hatte, die Neuigkeit
mitzutheilen. — „Wenn Ihr die Dame sehen solltet, sie ist ein Bild von
Schönheit," sagte er. „Mir würde zwar die rothbäckige, frische Magd
besser gefallen, aber vornehme Herren ziehen die blassen Gesichter vor."
„Ich bin nicht neugierig,"
erwiederte der Graf. „Stellt der Dirne, da ich sie selbst nicht mehr
sehen kann, dies zu." — Er reichte dem Wirth einige ungezählte
Geldstücke. Der steckte sie zu sich und sagte pfiffig! „Es scheint, als
wollten die da oben Iemand aus dem Wege gehen. Ich habe so meine eigenen
Betrachtungen angestellt."
„Die will ich Euch erlassen," sagte der Graf.
„Nehmt's nicht übel — ist Euer Name Stephan?"
fragte der Unabweisbare. „Ia? Wieso, nicht wahr? — Nun, das Ungarmädel kennt Euch."
„Mich?" rief der Graf. „Warum glaubst Du das? Wer ist sie?"
„Hm! Ich bin nicht auf den
Kopf gefallen, man weiß Dinge zusammen zu reimen," erwiederte Iener.
„Sie fragte so allerlei und da fuhr's ihr heraus: Graf Stephan hat
Besuch? Ich faßte sie gleich beim Wort, aber das Mädel ist wie ein Aal.
Könntet Ihr sie nur einmal sehen? — Wie wär's?"
Der Graf erwiederte
nichts, er schien mit sich uneins zu sein. — „Vielleicht morgen bei der
Abfahrt?" fuhr der Wirth fort. „Ich wäre selbst begierig zu wissen, ob
Ew. Gnaden sie kennen."
Sarosch ließ ihn, ohne auf
seine Rede einzugehen, abtreten, aber sie war nicht verloren gegangen.
Das Benehmen des Mädchens, je mehr er darüber nachsann, wurde ihm immer
auffallender und setzte ihn am Ende in eine solche Unruhe, daß der
Schlaf sein Auge floh. Aus dem Gewirr abenteuerlicher Vorstellungen rang
sich allmälig der Entschluß hervor, die Fremde bei der Abfahrt zu
überraschen. — Der Morgen graute, noch immer blieb Alles ruhig. Sarosch
war aufgestanden, hatte sich angekleidet und lauschte. Ueber ihm klang
ein Fenster, die Fremde mochte hinaushorchen, ob ihr Wagen noch nicht
aus der Ferne zu hören sei. Dem Grafen wurde die Erwartung, welche
immerdar lästig ist, zur wahren Qual, er schämte sich vor sich selbst
und doch konnte er seinem Vorsatze nicht entsagen.
Ietzt! durch die Stille
der schlafenden Stadt rasselten die Räder eines herbeieilenden
Fuhrwerks; im obern Stock hörte man eilige Schritte sich kreuzen — der
Wagen hielt vor der Thüre, die laute Stimme des Wirths erscholl. Mit
klopfendem Herzen — wovon er sich selbst nicht Rechenschaft geben konnte
— verließ der Graf sein Zimmer, und tappte sich zum Flur, Gewänder
rauschten die Hinterstiege herab, eine flüsternde Stimme suchte das
Weinen eines Kindes zu beschwichtigen. Der Graf hörte sie vorübergehen,
da war auch der Wirth mit der Laterne zur Hand, aber ihr schwaches Licht
erlaubte nur die Gestalten zu erkennen, und warf deren riesige Schatten
zur Decke. Die Fremde hatte den Wagen schon bestiegen und bog sich
hernieder, um das Kind aus den Armen der Dienerin zu nehmen, in diesem
Augenblicke fiel der Schein der Laterne voll auf ihr Antlitz!
Laut auf schrie der Graf
ihren Namen! Sie war zum Tode entsetzt, Eörse sprang auf den Sitz
„Fort!" die Pferde warfen sich in's Zeug, dahin flog der Wagen.
„War es ein Traum?" der
Graf hatte fast die Sinne verloren, sein Blut stürmte wie eine Brandung
zum Hirne, es war der Moment, wo des Geistes Licht durch den kleinsten
Hanch in ewige Nacht verkehrt werden kann. Des Wirthes Stimme entriß den
Nachstarrenden der gefährlichen Schwankung. — „Also doch eine
Bekannte?" sagte er. „Wollen Euer Gnaden mir gütigst den Namen
entdecken, künftiger Nachfrage wegen?"
Der Graf riß sich los,
eilte nach dem Stalle und weckte seine Knechte. — „Satteln!" donnerte
er. — Sie fuhren schlaftrunken empor, des nachgeschlichenen Wirths
Laterne mußte ihnen leuchten; Sarosch war in sein Zimmer gegangen und
kehrte, den Kalpak auf dem Haupt, den Säbel an der Seite zurück. Er sah
erstaunt sein ganzes Gefolge reisefertig.—„Was wollt Ihr?" sagte er mit
mehr Besonnenheit. „Keiner soll mich begleiten. Wenn Graf Warhely kommt,
so sagt ihm, ich habe einen nothwendigen Ritt unternommen — und werde
zurückkehren, sobald ich kann. — Wißt Ihr," wandte er sich mit
sichtlichem Zwange an den Wirth, „welchen Weg die Dame eingeschlagen
hat?—" Der Wirth äußerte seine Vermuthung, welche sehr unbestimmt war,
und fragte: ob er ihr nachsetzen wolle? — „Was fällt Euch ein!" sagte
der Graf. „Ich kenne die Dame und will sie nur einen Moment sprechen!"
Er stieg hastig zu Roß und jagte durch den Thorweg die Straße hinab, daß
die Funken hinter ihm sprühten. „Das ist sehr schnurrig," sagte der
Wirth.
In den ersten Stunden des
Morgens blieb Alles still. Die ungarischen Knechte traten bisweilen vor
die Hausthüre, um zu sehen, ob ihr Herr noch nicht zurückkehre, aber er
blieb aus. — „Ia, wie soll er sie eingeholt haben?" sagte der Wirth.
„Ein kleiner Vorsprung thut viel und wenn am Kreuzweg frische Spur
rechts und links geht, hat er im Zwielicht die letztgefahrene nicht
ausfinden können."
Gegen zehn Uhr kam Warhely. Mit Verwunderung
hörte er, was sich zugetragen hatte, des Wirthes Bericht machte ihn
stutzig. Er zog die starken Augenbrauen zusammen, seine Stirne wurde
finster. — „Ich will ihn erwarten," sagte er. „Schließ auf." — Der Wirth
gehorchte, von der herrischen Weise des neuen Gastes wenig erbaut. Kaum
hatte er das Geschäft abgethan, als er wiederum gerufen wurde. Es war
der Bischof, welcher seinem gestrigen Vorsatze treu, erschien, und nach
dem ungarischen Edelmanne fragte, der im Bären Herberg genommen hatte.
„D'rin sitzt Einer, hochwürdige Gnaden, der meinem Schilde Ehre macht," sagte der Wirth. „Der Andere hetzt."
Ohne auf den Sinn der
letzten Worte zu achten, befahl der Bischof, ihn bei dem ungarischen
Herrn anzumelden. Warhely kam statt der Antwort, dem Kirchenfürsten
selbst entgegen, begrüßte ihn mit aller Ehrfurcht eines katholischen
Christen und fragte nach seinen Befehlen. Der Bischof sah sich um, ob
sie allein seien, bat sich setzen zu dürfen und fing mit einem sehr
künstlichen Eingange an, den er sich ausgedacht hatte. Er sagte, daß er
gekommen sei, um sich von der Lage der Dinge in Ungarn zu unterrichten,
wohin ein Verwandter seines Hauses jüngst eine Reise unternommen,
besprach weitläufig die kirchlichen Interessen und ging dann auf die
traurigen Folgen des Zerwürfnisses über, das auch in manche Familien
Kummer gebracht und einzelne Glieder hinweggerissen habe.
Warhely gab seinen Fragen Bescheid und war erwartungsvoll, wohin die Einleitung führen sollte.
„Irr' ich mich," sagte der Bischof jetzt, „oder habt auch Ihr in Eurem Hause einen ähnlichen Fall zu beklagen?"
„Welches Haus wäre verschont geblieben!" erwiederte Warhely ausweichend, aber seine Miene gab dem Bischofe recht.
„Leider, leider!" fuhr der Bischof fort. „Aber
darum sollte auch Alles aufgeboten werden, um das, was einmal geschehen
ist, wieder gut zu machen. Ich meine," erklärte er, da ihn Warhely
aufmerksam ansah, „wenn ein verirrtes, oder durch Verhältnisse den
Familienbanden entfremdetes Mitglied eine Aussöhnung sucht, sollte man
diese mit Freuden verwirklichen. Ist das nicht auch Eure Meinung?"
„Sprecht Ihr in Bezug auf mich?" fragte Warhely mit rauhem Ton.
„Auch auf Euch," erwiederte der Bischof. „Würdet Ihr nicht die Hand, die Euch geboten wird, ergreifen?"
„Ganz gewiß und auch festhalten!" rief der Ungar doppelsinnig.
„Nun, Gott sei gelobt, so bin ich da, die Versöhnung zu vermitteln," sprach der Bischof mit Freudigkeit.
Warhely's Augen glühten. — „Ihr wißt —?" fragte er heiß athmend.
„Ich weiß nur soviel, daß
es christlich ist, denen zu verzeihen, die gefehlt haben," erwiederte
der Bischof. „Eure nähern Verhältnisse kenne ich nicht, doch ist keins
denkbar, das eine Aussöhnung unmöglich machte."
„Keine?" rief Warhely. „Und wenn eine Pflichtvergessene
das Band zerreißt / das sie nach dem Willen ihres Hauses an einen
trefflichen Edelmann knüpfte, wenn sie sich wegwirst an einen Abenteurer
von gemeiner Herkunft —"
„Halt!" fiel der Bischof ein, dem das adelige Blut
bei dem Ausdruck warm wurde. „Der Mann, dem Eure Verwandte mit
Bewilligung ihres Vaters ehelich und kirchlich verbunden ist, kann
seinen Adel dreist neben den Eurigen stellen."
„Des Vaters Einwilligung?"
schrie Warhely. „Wer hat Euch das vorgelogen? Schafft mir die Ehrlose,
auf ihren Knien soll sie die Wahrheit bekennen! Ihr wißt um ihren
Aufenthalt! Ihr sollt nicht von der Stelle, bevor Ihr mir sagt, wo sie
ist. Ich weiß, was ich Eurem Stande schuldig bin, aber treibt mich nicht
aufs Aeußerste!"
„Zähmt Euch!" sagte der Bischof ruhig. „Gebt mir lieber eine klare Verständigung, als daß Ihr leere Drohungen ausstoßt."
„Hochwürdiger Herr, ich
bitte Euch, gebt mir das Weib!" rief Warhely. „Sie verdient nicht, daß
Ihr sie schützt — ich, ihr Bruder, habe ein Recht sie zu fordern! — Ich
will das beweisen, nur gebt sie mir heraus!"
„Ihr sprecht hart von Eurer Schwester," sagte der Bischof. „Beweiset die Wahrheit Eurer Anschuldigungen."
„Ich kann es!" rief
Warhely. „Sie hat ihr Haus, ihre Verwandten, Alles verlassen, ist
heimlich mit Ienem, den Ihr einen Edelmann nennt, entflohen —
durch Teufelskunst! Mög' es der Hexe, die ihnen forthalf, belohnt werden!"
„Aber des Vaters
Einwilligung? der Pfarrer, welcher als Zeuge dabei gewesen und das Paar
getraut?" fragte der Bischof, dessen Herz schwer wurde.
„Ich weiß davon nichts!"
schrie Warhely wüthend. „Mein Vater einwilligen! Lehrt Ihr mich meinen
Vater kennen? Er hätte sich unter Gyonvar's Mauern begraben, eh' ihm das
Kleinste abgetrotzt worden wäre."
Der Bischof erhob sich. — „Und wenn auch!" sagte er. „Was geschehen ist , läßt sich sühnen."
„Sühnen, mit Blut!" knirschte Warhely.
„So hab' ich Euch weiter
nichts zu sagen," erwiederte der Greis fest. „Wenn Ihr versöhnlicher
gestimmt seid, fragt auf Unserm Sitze nach: ich bin der Bischof von
Regensburg."
„Ihr sollt sie mir
herausgeben und müßt' ich bis an den Kaiser gehen!" schäumte Warhely.
Doch wagte er nicht den Bischof aufzuhalten, dessen furchtloses Wesen
ihn entwaffnete.
Mit Unwillen im Herzen
kehrte der Greis zurück. So hatte ihn der Neffe wirklich getäuscht, so
war sein Vorgeben eine Lüge gewesen! Was sollte nun geschehen? — Im
Bischofshofe fand er den Domherrn von Irlbach, der auf ihn wartete.
„Hochwürdiger Ohm," begann' er, die Farbe wechselnd, „es ist mir nicht
geglückt, trotz angestrengten Meditirens, einen andern Rath zu ersinnen,
als die Dame nach —"
„Ich will es nicht wissen," unterbrach ihn der
Bischof. „Von Euch bin ich überzeugt, daß Ihr für die Unselige bis zur
Rückkehr des gewissenlosen Menschen wohl sorgen werdet. Sie ist
allerdings bedroht und sogar ihr Leben in Gefahr." — Und da der Domherr
einen kühnen Blick, der ihm sonst nicht eigen war, nach seinem Obern
warf, erzählte ihm dieser den Inhalt des eben geführten Gesprächs,
welcher für den abwesenden Törring sehr ungünstig schien.
„Verurtheilt ihn nicht zu früh!" rief Irlbach.
„Wenn er Unwahrheit gesprochen, warum sollte er denn die weite Fahrt
unternommen haben, die doch, wie er ja wüßte, zu keinem Resultat führen
könnte? — Und dann, so Ihr nur einmal den Habitus der lieblichen Frau
observirtet, wie züchtiglich und schamhaft sie sich gerirt — solches ist
nicht Simulanz, sondern die Gloria der Unschuld, die sie unbewußt
umstrahlet."
Der Bischof war zu sehr
mit seinen Gedanken beschäftigt, um die Wärme des Domherrn, die sich
allemal in der geschraubtesten Redeweise kund gab, zu bemerken. — „Ach
guter Neffe," sagte er, „Ihr urtheilt nach dem Schein, es macht Euren
Herzen Ehre, daß Ihr nichts Böses denkt. Wer kann den Sinn der Menschen
durchschauen? Wer bürgt uns, daß Reinhard überhaupt wieder kehrt?"
In dieser Idee lag etwas,
das den Domherrn elektrisirte. — „Dann wäre er ja nicht werth all' der
Liebe, so das holde Wesen zu ihm manifestirt!" rief er. „Dann möchte
sich ja ihre Verbindung anulliren! O sie könnte einen Mann, in jedem
Egard, höchst glücklich machen!"
„Wir wollen das Beste von der Zeit hoffenerwieverte der Biscbof. „Sie muß Alles entwickeln." —
S.
Mittag war längst vorüber. Mit höchster Ungeduld
erwartete Warhely seinen Freund, der noch immer nicht zurückkehrte.
Endlich konnte er die Pein nicht länger ertragen, ihn stachelte das
heiße Gelüst der Rache, dessen Befriedigung ihm so nah vor Augen gerückt
war, er mußte etwas thun, zum Ziele zu kommen. Verstellung war nicht
seine Sache, sonst wäre es ihm vielleicht gelungen, den Bischof zu
täuschen, bis er sich seines Opfers versichert hätte. Aber Gewalt führte
noch schneller zum Zweck. Durch seinen Herrn, den König von Ungarn,
hoffte er den Bischof zu zwingen. Die Stunde war nah, wo ihm der Zutritt
offen stand, er warf sich in die glänzende Tracht und eilte zum Hause ,
das jetzt den Palast des Kaisersohnes bildete. Hier war viel Gedränge
von Karossen, im Vorzimmer fand sich kaum noch ein Platz, es war Audienz
beim Könige und Warhely durfte nicht hoffen, vor später Nacht seine
Angelegenheit betreiben zu können.
Gegen Abend kehrte endlich
der Graf von Sarosch zurück, seine Stirn war nicht heiterer geworden.
Die Knechte sahen mißvergnügt, wie der schöne türkische
Hengst abgejagt war, den Kopf in die Krippe hing und alles Futter
verschmähte. Sie murmelten sich ihre Wermuthungen zu, aber diese trafen
so wenig das Ziel, als die des Wirthes, welcher sich vergebens bemühte,
den Grafen gesprächig zu machen und sich endlich von ihm entschieden
abgefertigt sah. Nach einer hastigen Mahlzeit ließ sich Sarosch nach der
Herberge Warhely's führen. Dieser war noch nicht zurück und kam spät.
Sein Auge flammte, als er den Grafen begrüßte.
„Stephan!" rief ex. „Ich bin auf richtiger Spur.
Der hiesige Bischof weiß um Anna und hat sich zum Vermittler
aufgeworfen. Versöhnung war sein Feldruf. Ich wies ihn zurück, aber ich
werde ihn zwingen, mir das Weib, das meinem Bann unterworfen ist,
herauszugeben. Der König hat mir seinen Beistand versprochen, begütigend
zwar und zur Sühne sprechend, wie seine allzumilde Art ist, aber doch
immer verheißungsvoll. Und führt das zu nichts, so trete ich Kaiser
Ferdinand an, der ist kein Freund von zarter Schonung und wenn ich ihm
sage, daß der Liebste meiner Schwester dem Gabor gedient, wird's helfen.
Nun, Stephan, Du bist ja ganz stumm!"
„Ich weiß, daß sie hier
gewesen ist," sagte der Graf mit bewegter Stimme. — Warhely bestürmte
ihn mit einer Fluth von Fragen. — „Sie ist fort!" antwortete Sarosch.
„Ich habe sie gesehen, ich bin den ganzen Tag zu Pferd gewesen, um sie
einzuholen — umsonst! Nicht Deinetwegen, Iury. Seit ich Dein
unversöhnliches Gemüth kenne, ist mir der Gedanke
schrecklich, Anna Dir gegenüber zu stellen, ohne Gewähr für ihre Sicherheit."
Warhely war außer sich, er ließ nicht ab mit
Fragen, bis er Alles wußte, er fluchte, daß die Gelegenheit ihm so nah
gewesen und er sie nicht hatte festhalten können, er wollte in der
ersten Aufwallung selbst noch einen Streifzug unternehmen und ließ sich
schwer davon abbringen. Nur daß ei noch einen Anhalt hatte, tröstete
ihn.
Ein Paar Tage vergingen,
ohne daß etwas geschah. Warhely erdreistete sich, den König an sein
Versprechen zu erinnern, fand aber nur eine kalte Aufnahme und
anderweitige Vertröstung. Dem Könige lagen viel nähere Dinge am Herzen:
es galt seine eigene Wahl zum Nachfolger seines Vaters auf dem deutschen
Kaisenhrone, und dazu verdunkelten sich die Aussichten täglich, auch
trug er selbst, wiewohl unbewußt, dazu bei, sich die Gemüther der
Fürsten zu entfremden.
Endlich da ihn der Zufall
im Laufe der Verhandlungen einmal in die Nähe des Regensburger Bischofs
führte, dachte er an das Anliegen seines Unterthans.— „Ihr sollt ja um
den Aufenthalt eines Fräuleins Warhely wissen, das flüchtig geworden
ist!" redete er den Greis an.
„Ew. Majestät ist darin falsch berichtet," erwiederte der Bischof. „Ich weiß in Wahrheit nicht darum."
So oberflächlich war die
Sache abgemacht; König Ferdinand beschied seinen Vasallen, daß er im
Irrthum sei und entließ ihn, da er trotzig das Gegentheil
behauptete, mit der Ermahnung, sich vorsichtiger zu benehmen.
Wie lieb war es dem
Bischofe, daß er sich der Verantwortung überhoben sah und das
anvertraute Pfand doch in den sichersten Händen wußte! Er säumte nicht,
dem Domherrn, der seit dem Beginne des Reichstages die Stadt nicht
wieder verlassen hatte, die Frage des Königs mitzutheilen. Irlbach
lächelte melancholisch.
„Und wenn die Widersacher
auch erfahren, daß ich darum weiß," sagte er, „so sollen sie doch kein
Iota Intelligenz bekommen. Sie würden mich umsonst sogar torquiren."
Er sagte das so
nachdrücklich, daß ihn der Bischof ansah. — „So weit wird es nicht
kommen," sagte er heiter. „Wer torquirt Ihr Euch nur selbst nicht zu
sehr mit Geschäften. Ihr nehmt zu viel Antheil an dem Gange der
Unterhandlungen, die Stadtluft bekommt Euch nicht, Ihr seht übel aus."
„Die Hitze!" klagte der Domherr. „Solche sagt meiner Corpulenz nicht zu."
„Eben deshalb, Ihr solltet die Kühlung in Euren angenehmen Hainen suchen," rieth der Bischof.
„Ich habe auch hier ein
kühles Losament," sagte Irlbach, „aber die Wärme dringt überall durch.
Mir wird schon wieder besser werden." — Er seufzte dabei, als fühle er
sich in der That krank.
Der Graf von Sarosch hatte
den Verweis mit angehört, welchen der König seinem Freunde gab und
fürchtete bei dessen Leidenschaftlichkeit das Aeußerste.
Er ließ ihn, welcher blaß, mit gekniffenen Lippen da stand, nicht aus
den Augen und als er sich plötzlich zum Gehen wandte, begleitete er ihn.
Auf der Straße brach Warhely's Wuth aus. „Mir, einem Manne, wagt er so
mitzuspielen!" rief er. „Mir, der schon mit Bathory zu Felde lag, als er
noch gewickelt wurde! Will er mir mein Recht nicht schaffen, nun wohl,
so thue ich's allein!"
Sarosch wußte aus
Erfahrung, daß jeder Versuch, ihn zu besänftigen, seinen Zorn nur
erhöhte. Er ließ ihn also austoben und begnügte sich damit, sein Hüter
zu sein, um eine Gewaltthat zu vermeiden. Ihm selbst war scbon mehrmals
der Gedanke aufgestiegen, sich mit dem Bischofe, den er als Anna's
Beschützer ansehen mußte, zu verständigen, aber näher betrachtet, wozu
sollte es führen? Tadelte er sich doch jetzt wegen des Gefühls, das ihn
an jenem Morgen zu Roß trieb, und gab dem Schicksal Recht, ein
Wiedersehen vereitelt zu haben, das für beide Theile nur schmerzlich
sein konnte. Er war ja über Anna's Schicksal beruhigt. Die allgemeine
Stimme pries den Bischof als einen frommen und gerechten Mann, der Gutes
that, soviel nur in seinen Kräften stand. Des Wirthes boshafte
Insinuationen hatten auf Graf Stephan's edles Gemüth keinen Eindruck
gemacht. — Wie aber sollte er verhindern, daß Warhely sich zu einem
unbedachten Schritt gegen den Bischof hinreißen ließ?
„Mein Bruder," sagte er, als Beide sich trennten,
„ich werde mit dem Prälaten reden. Deine Hitze verdirbt Alles. Ueberlaß
mir, Nachrichten einzuziehen,
und gedulde Dich nur noch einige Zeit. Wir sind auf fremder Erde, wo man nicht jeden Knoten mit dem Säbel durchhauen darf."
„Dir traue ich nun gar nicht!" rief Warhely. „Du wärest im Stande, der Flüchtigen weiter zu helfen."
„Das läugne ich nicht,"
erwiederte Sarosch, „ich will auch nur in Erfahrung bringen, in wiefern
der Bischof bei der Sache betheiligt gewesen ist, damit Du Dich nicht
unnützer Weise in Händel verwickelst."
„Erfahre ich, was Dir der Bischof sagt?" fragte Warhely.
„Ganz gewiß!" versicherte Sarosch. „Nur gönne mir Zeit."
Es lag nicht in der
Absicht des Grafen, den jetzigen Aufenthalt Anna's zu erforschen, nur
wollte er wissen, ob sie glücklich sei. Die Gelegenheit, dem Bischofe zu
nahen, fand sich nicht gleich, da er verschmähte, sie gewaltsam
herbeizuziehen. Er zagte ja vor dem Lichte, das ihm aufgehen sollte.
Warhely blieb mittlerweile auch nicht müßig, doch
verschwieg er dem Freunde, was er im Sinn hatte. Seine Bemühung blieb
nicht ohne Erfolg, das Gold bewährte auch hier seine Zauberkraft. Eines
Mittags erschien der Bärenwirth, den er in Thätigkeit gesetzt hatte, mit
frechem Frohlocken und sagte: „Gnädiger Herr, die Dukaten sind mein.
Ich habe Alles heraus."
Warhely packte ihn an beiden Schultern.—„Sprich!" sagte er funkelnden Auges.
„Erst Geld, gnädiger Herr!" lachte der Habsüchtige. — Warhely riß seine Börse vom Gürtel und
warf sie ihm zu, aber er griff auch zum Säbel. „Wehe Dir, wenn Du mich belügst!" rief er.
„O nein! Alles so wahr und
klar, wie Sonnenschein," sagte der Wirth. „Weit konnte's nicht sein,
ich sah den Wagen zurückkommen, mir fiel der Vetter ein, ich fragte hier
und da, ein Kerl lief mir in's Haus, der einen Bader verlangte nach
Adelmanstein, wo ein Kind krank sei — mir schoß das Vlatt, ich ruhte
nicht eher, bis ich meiner Sache gewiß war: Sie ist in Adelmanstein,
zwei Stunden von hier."
„Willst Du mich hinführen?" riefWarhely. „Mein bestes Pferd solst Du reiten!"
„Verzeiht, gnädiger Herr, ich habe in meinem Leben
nicht zu Pferde gesessen, kann auch nicht abkommen," betheuerte der
Wirth. „Aber beschreiben will ich es Euch, daß Ihr nicht fehlen könnt." —
Er that es.
„Du schweigst gegen
Iedermann!" rief Warhely drohend. „Plauderst Du, so fürchte meine Rache!
Bist Du mir aber treu, so will ich Dir's vor meinem Abzuge lohnen."
Als der Wirth fort war,
stand der Ungar eine geraume Weile mit gekreuzten Armen und starrte zu
Boden, dann richtete er sich langsam auf, sah gedankenvoll den Säbel an,
den er noch immer entblößt in der Hand trug und that ein Paar pfeifende
Hiebe durch die Luft. Er war zum Entschlusse gekommen.
Der Spion hatte Recht. Anna lebte zu Adelmanstein, der Domherr hatte sie nicht sicherer zu bergen
gewußt, als in seinem reizenden Besitzthume, das ihm selbst fortan, wie
er sich heilig gelobte, ein verbotenes Land blieb. Es war zum ersten
Male, seit sie, vom Verhängniß gezwungen, ihre süße Heimath verlassen
hatte, daß sie in einer friedlich zurückgezogenen Stätte weilte und sie
fühlte bald den beschwichtigenden Zauber der Einsamkeit, der die Stürme
ihres Innern in eine sanfte Wehmuth auflöste. Hier berührte sie nicht
das rohe feindliche Treiben der Welt, hier durfte sie nicht vor
lauernden Blicken beben, sie sah fast kein fremdes Geficht; des
Verwalters Frau, eine gutmüthige Alte, war die Einzige, welche zuweilen
mit ihr plauderte, am liebsten von ihrem Herrn, den sie von Kindheit auf
gekannt, und mit der treusten Anhänglichkeit lobte. Irlbach hatte
befohlen, der Fremden, als der Gemahlin seines besten Freundes das
Zimmer seiner verstorbenen Mutter einzuräumen, welches mit einer
Rücksicht frommer Kindesliebe, die ihn in Anna's Augen nur höher setzte,
ganz in dem Zustande gelassen war, wie es die alte Dame sich
eingerichtet hatte. Es war höchst wohnlich und sauber, entfernt von dem
geräuschvollen Hofe, ein wahres Asyl wohlthuender Stille. Die Fenster
boten die Aussicht auf einen Lusthain, in dessen grüne Nacht sich der
Blick gern vertiefte, der so viel grelle Bilder des Lebens geschaut!
Anna konnte oft Stundenlang sitzen und ihr Auge an der wechselnden Fülle
der Laubmassen laben, durch die sich manche Durchsicht auf ferne Räume
eröffnete, deren Hintergrund wieder mit Waldgrün geschlossen war. In
solchen Momenten zog
ihre Vergangenheit vor ihr auf, sie sah sich als
Kind in den Gehegen ihrer Heimath, sie lebte in Liebe und Frieden mit
den Ihrigen, kein Sturm führte Wolken über den heitern Himmel ihres
Daseins! Eine süße Vergessenheit breitete ihre Schleier auf Alles, was
seitdem ihren Sinn getrübt, die stille Gegenwart entsprach so ganz ihren
Wünschen, sie fühlte sich jetzt glücklich! Und wenn sie aus diesen
Träumen erwachte, wenn ihr Knabe sie an die Wirklichkeit erinnerte —
dann stellte sich freilich das Bild des Geliebten ankla-. gend vor sie
hin, daß sie ihn habe vergessen können, aber es wob sich gleich in neue
Träume einer glücklichen Zukunft. Sie wußte nun erst, was ihr zum Glücke
gefehlt: eine Heimath! Das Weib gleicht der Blume, die nur gedeiht,
wenn sie wurzeln kann, wo es ihr zusagt — ein öfteres Losreißen vom
Boden erschüttert ihre Lebensfasern. Anna hatte nur noch einen Wunsch:
hier mit ihrem Reinhard auf immer zu bleiben.
Von Tag zu Tage hoffte
sie, der Freund, dem sie diese Freistatt zu danken hatte, werde sich
zeigen, aber Irlbach blieb aus. Hätte sie geahnt, was ihn fern hielt! —
Selbst, als ihr Knabe von einem Unwohlsein befallen wurde, das die
Mutterangst als Vorspiel einer ernstlichen Krankheit ansah, erschien er
nicht, sondern ließ durch den Arzt, den er auf ihre Bitte schickte, nur
seinen Antheil versichern. Anna fühlte sich durch sein Benehmen
verletzt.
Des Kindes Gesundheit war
schnell hergestellt, es tummelte sich schon wieder mit seiner Wärterin
auf den Rasenplätzen des Haines umher. Anna weidete
sich an seiner Lust, sie sah eine Weile dem Treiben zu, dann wandelte
sie, ihrer Gewohnheit gemäß, durch die verschlungenen Pfade des
Gebüsches, um ihren einsamen Träumen nachzugehen, wußte sie ihren
Augapfel doch nicht sicherer, als den Knaben in Eörsens Hut.
Der Abend war klar und
mild. Die Vögel riefen im Walde, dessen Laub, mit Sonnengold
durchblitzt, unbewegt in der lauen Luft hing. Anna gab sich mit offener
Seele dem seligen Eindrucke hin, dem die Friedlichkeit der Natur auf sie
machte, sie sehnte sich unaussprechlich nach einem Frieden auch mit
denen, die ihr übel wollten: ach es war wohl nur Einer, nur derjenige,
der ihr allein noch, außer Reinhard angehörte! Der Andere, den sie
schwerer gekränkt, zürnte ihr wohl nicht mehr, der Ton seiner Stimme,
der ihr noch unvergeßlich im Ohr hallte, der Ton, mit welchem er ihren
Namen gerufen, als er sie neulich erkannt, schien ihr seine milde
Gesinnung zu verbürgen. Aber Iury! Sie hatte ihn noch immer so lteb, er
war sonst so zärtlich gegen sie gewesen, wild und hart allen Andern, nur
ihr nicht, bis zu dem Wendepuncte ihres Schicksals! War es denn
möglich, konnte denn alle Liebe zu der Schwester in seinem Herzen
erloschen sein? „Iury!" rief sie von ihrem Gefühl übermannt.
„Hier bin ich,
Ehrvergessene!" dröhnte es mit ehernem Laut in ihr Ohr und aus dem
Gebüsche wand sich das Pferd am Zügel führend, die Gestalt des Bruders,
mit flammendem Antlitz und wildem Blick.
Sie erschrak, sie
schwankte, aber die Stimmung des Augenblicks riß sie mächtig hin, sie
floh nicht, sie warf sich dem Bruder an die Brust, umschlang ihn mit
beiden Armen und weinte und rief: „O Iury, lieber, lieber Iury! Du
kommst, mir zu verzeihen! Du kannst ja Deiner Anna nicht ewig gram sein,
mein Gebet ist erhört!"
„Laß mich!" rief Iury, der
sich wider die Regung sträubte, die ihn plötzlich überkam. „Ich bin der
Weichling nicht, für den Du mich hältst! Du hast Warhely's Blut entehrt
— ich komme nicht, wie Du wähnst —Laß mich! Hör' auf mit Deiner
Liebkosung!"
Aber sie ließ ihn nicht,
sie hatte, nun sie den Bruder zum ersten Mal wiedersah, die Furcht vor
ihm verloren, er hatte ihr ja noch nie ein Leid gethan, war immer ihr
Schutz gewesen — sie blickte ihm so flehend, so innig ins Auge, daß sein
Zorn sich gegen die eigene Schwachheit kehrte, die seinen Arm fesselte;
sie erinnerte ihn an die Liebe ihrer Kindheit, sie bat ihn, seines
Scbwurs eindedenk zu sein, den er ihr einst gegeben! Lebenslang bin ich
Dein Ritter! hatte er ihr als Knabe geschworen.
„Zum Teufel!" rief er mit
einer letzten Anstrengung. „Du hast mich ja verstoßen! Hast Dir einen
andern Ritter erkoren! Sieh nun zu, ob er Dich schirmt!"
„Er ist fern," erwiederte
Anna, ,,wär' er hier, ich könnle nicht sicherer sein, als jetzt! Dein
Blick wird gut, der böse Zorn ist bezwungen, Du bist wieder mein Iury!"
„Das glaube nicht!" sagte er rauh, während sein Auge dem Ton widersprach. „Ich komme als Richter und Rächer."
„Was habe ich gethan?"
fragte sie. „Dem Retter meines Lebens mein Herz geschenkt, das noch frei
war, ob auch der Vater meine Hand versagt hatte! Und als er für seine
Liebe in den Kerker geworfen wurde, als man mich zwingen wollte, ihm zu
entsagen, als sein Leben bedroht war, — Iury! Du kannst mich nicht
verdammen! Wärst Du zugegen gewesen, ich hätte mich vertrauensvoll in
Deine Arme geworfen, Du wärst mein Schutzgeist geworden, Du hättest mir
gerathen, Deine Vermittelung hätte den harten Vater gebeugt!"
„Mädchen!" rief Warhely
mit sich selbst zerfallen. „Oder Frau, wie? — Bekenne," fuhr er
plötzlich zu neuer Wildheit entflammt auf, „bekenne die Lüge, die nur
erfunden worden ist für Leichtgläubige, wie der Stephan! Mich täuschest
Du nicht! Es ist Dein Tod, wenn Du die Wahrheit umgehst! Bekenne, so
will ich Dir unter Bedingungen verzeihen!"
„Was willst Du wissen?" fragte sie zaghaft.
„Daß des Vaters
Einwilligung in Euren Bund ein Mährchen ist," fuhr er immer hitziger
fort, „daß kein Priester ihn gesegnet hat — bekenne oder es ist Dein
Tod!" Er riß den Säbel aus der Scheide, sie hob in demselben Moment voll
Abscheu den Arm, der rasche Zug des Stahls traf ihn, daß eine warme
Blutquelle dem weißen Fleisch entrieselte. Er sah es, er hörte den
Schmerzenslaut, der nie sein Herz verfehlt
hatte, ein Dämon schien seine Waffe geführt zu haben; Mitleid, Reue
fielen ihn an, er schleuderte den Säbel von sich, bemächtigte sich mit
Betheuerungen ihres Armes und suchte das Blut zu stillen. In diesem
Augenblicke erschien Eörse, welche ihrer Herrin nachgegangen war, mit
dem Knaben. Sie sah den Säbel am Boden, die Wunde — wie eine Schlange
krümmte sie sich, die Klinge aufzuheben, dann schoß sie, mit aller
Rachgier und Entschlossenheit ihres Stammes, auf den Frevler, aber
Anna's lauter Zuruf entwaffnete sie. Beschämt, mit finsterm Blick, sah
Warhely, daß er in der Gewalt eines Weibes gewesen war, er fühlte, was
er gegen Anna verschuldet hatte, sie suchte ihn zu beruhigen,
versicherte, keinen Schmerz zu fühlen, und beschwichtigte ihr Kind, das
zu ihr gelaufen war und sich vor dem Fremden fürchtete.
„Begleite mich, Iury!" bat sie dann. „Ich muß Dir
antworten auf Deine Frage. Gott hat uns zusammengeführt, um mir Dein
Herz wieder zu schenken."
Der Graf von Sarosch hatte
sich endlich dem Bischofe zu nähern gewußt und ihn gebeten, eine
Angelegenheit von Wichtigkeit mit ihm besprechen zu dürfen. Es war an
demselben Tage, der seinen Freund heimlich nach dem Zufluchtsorte der
Viclzesuchten ge
führt hatte. Bischof Albrecht lud den Grafen ein,
ihn zu begleiten und schon unterwegs eröffnete ihm dieser, daß die Dame,
welcher er seinen Schutz angedeihen lasse, eine Schwester des Grafen
Warhely sei, desselben, mit dem er neulich Rücksprache genommen habe.
Der Bischof wußte es bereits.
„Seine Schwester! Ich habe davon gehört. Und er kann so unversöhnlichen Herzens sein!" sagte er,
„Urtheilt nicht nach seinem Aeußern," erwiederte
Sarosch. „Er ist besser und auch gutmüthiger, als er scheint. Der
Iähzorn überläuft ihn wohl, aber er ist eben so schnell verflogen."
„Wie es mir leider scheint, hat er gerechte Ursache, seiner Schwester zu zürnen," sprach der Bischof.
„O glaubt das nicht!" rief
Sarosch. „Sie trifft kein Vorwurf, — was sie gethan, ist nicht zu
vermeiden gewesen, es ist zu erklären, zu entschuldigen."
Sie waren mittlerweile im
Bischofshofe angelangt, wo sie den Domherrn von Irlbach trafen. Dieser
kannte den Grafen von Sarosch als denjenigen, der im schwarzen Bären
wohnte, und da er ihn nach Anna's Worten für ihren Verwandten und Feind
halten mußte, so stutzte er, ihn in Begleitung des Bischofs zn
erblicken. Es schien ihm nichts Gutes zu bedeuten. — „Das ist mein
Neffe," sagte der Bischof, und stellte ihn mit seinem Namen vor. „Wenn
Ihr nicht besondere Ursache habt, zurückhaltend zu sein, so laßt unser
Gespräch fortfahren: es betrifft ja unsern nächsten Verwandten, und der
Domherr ist in das Geheimniß eingeweiht."
Des Grafen verwunderte
Frage machte eine Erklärung nöthig. — „So bürgt Ihr für seinen Werth?"
rief er. „Anna ist glücklich? — Aber wie soll ich mir ihren Aufenthalt,
ihre schnelle Abreise, Alles deuten? Wo ist sie jetzt?"
Der Domherr sah in dem
ganzen Besuche nur eine List, die grade Frage beseitigte seinen Verdacht
nicht, er nahm schnell das Wort: „Darüber kann nur ich Auskunft geben.
Sie ist ihrem Gemahle entgegen gereist."
Sarosch blickte schnell
vor sich nieder, um den Ausdruck seiner Augen nicht zu verrathen. — „Ich
gestehe, daß ich über die Verhältnisse schlecht unterrichtet bin,"
sagte der Bischof etwas verlegen, „die Andeutungen des Bruders
beunruhigen mich sehr und ich wünschte wohl zu einer klaren Ueberzeugung
zu kommen auf eine oder die andere Weise."
„Ich kann sie Euch geben, hochwürdiger Herr," sprach der Graf.
„O dann setzt Euch, fangt
an," rief der Bischof erfreut. „Laßt uns Alles wissen, wir kennen nur
zweideutige Bruchstücke von dem ganzen Verlauf der Begebenheiten."
Es kostete den Grafen viel
Ueberwindung, zu sprechen, oft zuckte es schmerzlich um seinen Mund,
aber seine Stimme gewann immer mehr Stärke, je klarer ihm wurde, daß er
die Geliebte von einer bösen Anschuldigung reinige. Kein Wort verrieth
jedoch, daß er Anna's Verlobter gewesen sei.
„Ihr wißt," begann er, „daß Eure Nichte — der
Bischof hustete — auf die Ihr stolz sein könnt, nicht ihrer Geburt,
sondern ihrer Holdseligkeit und Tugend wegen, eine Tochter des Grafen
Warhely, Herrn auf Gyonvar ist; Euch wird bekannt sein, auf welche Weise
der Deutsche, der, wie ick, nun weiß, Euer Verwandter ist, nach Gyonvar
kam."
„Sie war auf einer
Kirchfahrt von treulosem Gesindel angefallen worden," versetzte der
Bischof, „mein Neffe befreite sie, es entstand ein Liebesverhältniß, sie
brach mit ihrem Verlobten und floh aus dem Schoost der Ihrigen, der
eigene Bruder behauptet: ohne Einwilligung des Vaters, ohne
priesterlichen Segen sei sie mit dem fremden Mann in die weite Welt
gegangen. Das ist die Summe meiner Kenntniß."
„Der Vater hat eingewilligt und ist ein Zeuge ihres Traugelöbnisses gewesen," sagte Sarosch fest.
„Das ermangelt eben des Beweises!" rief der Bischof.
„Ich besitze ihn!"
erwiederte Sarosch. „Laßt mich wissen, wo Anna weilt. Ich habe gelobt,
das Pfand, das mir übergeben wurde, nur in ihre eigene Hand zu legen. Es
empört mich, von allen Seiten diesen unwürdigen Verdacht zu hören, um
den ich schon mit ihrem Bruder bis zum Blutvergießen gestritten. Giebt
es denn keine Treue, keinen Glauben in der Welt, als die das
geschriebene Pergament bestätigt? Hat die Sinnesart, das Antlitz, das
Auge nicht bessere Bürgschaft?"
„Ihr sprecht mir aus der Seele!" rief der Domherr. „Wo sind hier die leisesten Indicia —"
„Und in solchem
Mißtrauen," fuhr der Graf fort, „werden Ehre, guter Name, die Bande des
Blutes und der Liebe zerrissen! Schafft doch, schafft mir Gelegenheit,
Euch schamroth zu machen, Euch zu zwingen, dem reinen Wesen auf den
Knien das Unrecht abzubitten, das Ihr ihm gethan! Sagt mir, wo ich sie
finde!"
„Neffe!" sagte der Bischof
auffordernd zu Irlbach. Aber dieser hielt hartnäckig an seiner
vorgefaßten Meinung, trotz dem des Fremden Wärme ihn mit ihm versöhnte. —
„Könnt Ihr mir dieses Pretium confidiren," sagte er, „so wollte ich
mich anheischig machen, es in der Dame Hände gelangen zu lassen."
„Ich habe geloben müssen, das Pfand nur in ihre eigene Hand zu geben," erwiederte Sarosch.
„So erzählt uns, wie Alles zusammenhängt," sagte der Bischof, ihn fest anblickend. „Wir wollen Euch Glauben schenken."
„Anna hat nur ein Unrecht gethan," sprach der Graf
weich. „Sie hat dem Manne, dem sie verlobt war seit ihrer Kindheit, zu
spät gezeigt, daß er ihr Herz nicht besaß — er wäre freiwillig
zurückgetreten. Aber ihr Herz war wohl noch nicht zum Bewußtsein
erwacht! — Dieser," fuhr er hastig fort, seine sinkende Stimme erhebend,
„war an dem Tage fern, wo sie überfallen wurde, er hatte freilich
versprochen zu kommen, aber seine Mutter war erkrankt, das hielt ihn ab.
Man hat ihm das nicht geglaubt! Gleichviel! — Sie brach mit ihm, des
Fremden ritterliches Wesen, seine männliche Schönheit, die Wunde, die er
um ihretwillen trug, gewann ihr — noch freies! — Herz. Der Vater, ein
gewaltthätiger Mann, wies seine Werbung mit Hohn zurück, es kam zum
Wortwechsel, der Stolz des Fremden reizte den Grafen zur Wuth, er ließ
Euren Neffen in den Kerker werfen. Könnt Ihr es tadeln, daß ihn die —
Liebende zu befreien suchte? Es gelang ihr mit Hülfe eines
Halbzigeunerkindes, dessen Vater den Gefangenen bediente. Das Mädchen
stahl ihm bei Nacht die Schlüssel. Und da es nun zum Abschiede kam, der
ein ewiger sein sollte, bestürmte Euer Neffe seine Retterin, mit ihm zu
fliehen, sie weigerte sich, aber der Schmerz der Trennung brach ihr
Herz, und das Unglück wollte, daß im Schlosse Lärm entstand — der Wärter
hatte die Schlüssel vermißt und schrie Alles wach — Anna wurde von Gram
und Angst bedrängt, ohnmächtig. Diesen Moment benutzte Euer Neffe, er
faßte sie in seine Arme und trug die Bewußtlose von dannen.
„Ha!" rief der Bischof. „Das war es, was er sich scheute zu gestehen! der Unwürdige!"
„Die Liebe mag ihn
entschuldigen," sagte der Graf seufzend. — „Ihr fragt wohl, wie ich zu
all' dieser Kunde gekommen bin. Es soll Euch klar werden. Die Nacht
hatte die Spur der Flüchtigen verweht, die Dirne, welche sie begleitete,
wußte jeden Steig, jede Schlucht in den Bergen, auf deren Vorsprung das
Schloß Gyonvar liegt, und als Anna aus ihrer Ohnmacht erwacht, sah sie
sich im finstern Tannengestrüpp, vom Dunkel umgeben, unter'm freien
Sternenhimmel. Sie klagte und weinte, sie war der Ver
zweiflung nahe, sie bat Euren Neffen, zu fliehen,
und ihre Dienerin, sie zurückzuführen — umsonst! Die Dirne fürchtete
sich mit Recht vor der Heimkehr und Euer Neffe vermochte nicht, dem
Glücke zu entsagen, das er sich mit frischem Muthe gewonnen hatte."
„Das arme Weib!" rief der Bischof, als Iener eine Weile inne hielt. „Wie paßt das aber zu Eurer ersten Behauptung."
„Anna vermochte es endlich doch über ihren
Begleiter," fuhr der Graf fort, „daß er sie, die nun auch vom Zorne des
Vaters bedroht war, in die Wohnung des Pfarrers brachte, welche zwei
Stunden höher hinauf im Gebirge lag. Der Geistliche war ihr Lehrer, galt
viel bei dem alten Grafen und mochte der Einzige sein, der eine
Aussöhnung bewirken konnte. Anna's Bruder befand sich zu jener Zeit an
der Maros, mit den Türken zu kämpfen. — Bei dem Pfarrer fand Anna eine
willige Aufnahme, Euer Neffe mußte sich von ihr trennen, aber er blieb
in der Gegend und bewachte den Zugang. Während der ersten Tage konnte
der Pfarrer nicht zu dem Grafen gehen, weil ihn selbst ein Uebelsein
hinderte, am vierten endlich stieg er nach Gyonvar hinab und fand seinen
Herrn auf dem Schmerzenslager. Er hatte die geflüchtete Tochter
verfolgt, wiewohl in falscher Richtung und war mit dem Pferde gefährlich
gestürzt. Ein siebenzigjähriger Greis! Kein Wunder, daß er sich nicht
mehr erholte! Seine Krankheit verschlimmerte sich, der Pfarrer durfte
das Schloß nicht mehr verlassen,
oft sprach er von seiner Tochter, die er sonst zärtlich liebte, der
würdige Geistliche säumte nicht, ihn versöhnlich zu stimmen und in einer
Stunde, wo ihn die Ahnung seines baldigen Todes mit einer besonders
inbrünstigen Sehnsucht nach seinem verlornen Kinde erfüllte, rief er
aus: Ich wollte ihr ja Alles verzeihen, ihr Glück nicht hindern — es ist
ja doch Alles eitel und von den Ehren, die mein Haus überschatten,
folgt mir nichts in die Gruft! Diese Stimmung benutzte der Pfarrer, er
bestärkte ihn in der Milde und erst nachdem er seines Erfolges gewiß
war, führte er das Paar vor das Lager des Greises, dessen letzte Stunde
sichtlich nahte. Hier folgte eine erschütternde Scene, aber des Vaters
Segen heiligte den Bund, über welchen der Pfarrer die Weihe der Kirche
sprach. — So schien sich Alles friedlich zu lösen und nur der Tod des
Kranken, der in der folgenden Nacht eintrat, einen neuen Schmerz über
Anna zu bringen. Da änderte sich ihr Schicksal mit der Ankunft ihres
Bruders. Er raste vor Zorn, als er erfuhr, was sich zugetragen hatte, er
schwur der Schwester und ihrem Verführer, wie er den Fremden nannte,
auch dem Pfarrer die bitterste Rache, er wollte nichts hören und bis
heute nichts glauben, was ihre Schuld minderte. Unter diesen Umständen
fand es ein Freund des Hauses, der den Grafen auf der Heerfahrt
gegleitete, rathsam, einen Eilboten vorauszusenden, die Bedrohten zu
warnen. — Anna und ihr Gemahl waren verschwunden, als der Erzürnte in
Gyonvar ankam, den Pfarrer konnte nur die äußerste Anstrengung eben
jenes Freundes retten, aber er mußte fort aus der Herrschaft und der Graf verschmähte es, ihn auch nur anzuhören.
„So wird ihn Törring nicht finden!" rief der Domherr, der mit voller Seele zugehört hatte.
,, Ihn findet Niemand mehr
hienieden," sagte der Graf ernst. „Sein Zeugniß ist eben jenes Pfand,
das ich der Gekränkten einhändigen soll. Wenn Euch an ihrer Ruhe liegt,
so laßt ihr wissen, daß Stephan — sie wird den Namen kennen! — Alles
gethan hat, um den erbitterten Bruder zu überzeugen, daß aber sein
Bemühen jedesmal an der blinden Leidenschaft gescheitert ist. Iene
Dokumente durfte er nicht öffnen, noch minder sie dem Feindseligen
anvertrauen, der ohnehin an ihrer Echtheit zweifelte."
Der Domherr versprach, ihm
zu einer Zusammenkunft mit der Freifrau von Törring zu verhelfen, und ,
der Bischof, dem nach der Erzählung ganz leicht um das Herz geworden
war, ließ nicht ab mit Fragen, die ihm Alles noch mehr erläutern
sollten, bis der Graf aufbrach.
In der Frühe des andern
Morgens war Irlbach schon auf dem Wege nach Adelmanstein. — „Und wenn es
eine Hinterlist wäre?" fragte er sich. „Ulrice! Sieh dich vor! — Ich
will jeden Falls dabei sein."
Er fand Anna lieblicher,
als er sie gesehen hatte. Die Gemüthsruhe, welche ihr zurückgekehrt war,
die innige Befriedigung welche sie nach den Stürmen des gestrigen
Abends fühlte, hatten ihre Wangen mit Rosen geschmückt, so daß sie
blühend wie der Mai dem
Freunde entgegentrat. An ihm bemerkte sie dagegen eine traurige
Veränderung. Sein volles straffes Gesicht hatte alle Farbe und Fülle
verloren, die kleinen, sonst munter blitzenden Augen sahen erloschen und
trübselig drein und das stattliche Wamms hing in weiten Falten um den
mager gewordenen Leib. Sie fragte so teilnehmend, ob ihm etwas fehle,
daß ihm das Wasser in die Augen schoß, er widersprach hastig und
entledigte sich seines Auftrags. Hocherröthend hörte sie den Namen
Stephan. — „Ich habe es nicht um ihn verdientsagte sie. „Kann er
wirklich wünschen —? Doch sagt ihm, er sei willkommen, auch mein Bruder
hat mir ja seinen Besuch versprochen und alle Gefahr ist vorüber. — Sie
erzählte ihm, daß ihr Bruder sie aufgesucht und sich mit ihr verständigt
habe und bat ihn den Bischof davon zu unterrichten. „Wenn mein Gemahl
zurückkehrt und wir einen festen Wohnsitz finden, ähnlich Eurem
reizenden Eigenthum," schloß sie, „da.nn sind all' meine Wünsche
befriedigt."
Er trennte sich bald von
ihr, um , wie er sagte, nach dem Rechten in der Wirthschaft zu sehen.
Doch war es nicht diese Sorge, welche ihn beschäftigte, denn er setzte
sich sofort wieder zu Pferde und ritt nach der Stadt zurück, was Anna
sehr kränkte. In Regensburg angekommen, war sein erster Gang nach dem
Bischofshofe, wo er von seinem Oheim die Bestätigung dessen hörte, was
ihm Anna erzählt hatte. Der Graf Warhely war ebenfalls bei ihm gewesen,
hatte ihm gestanden, daß er in einem argen Irrthume gewesen, und auf die
Frage, was ihn so plötzlich vom
Gegentheile überzeugt, mit einem gewissen Unmuthe geantwortet: „Ich habe
mit Anna gesprochen." Mehr war nicht von ihm zu erfahren gewesen, aber
Graf Sarosch hatte hinzugesetzt: „Es ist die siegende Gewalt der
Unschuld! Ich habe immer das Beste gehofft von Eurem Zusammentreffen.
Was Anna's Worte noch an Zweifeln übrig gelassen, das wird die Zeit
lösen."
„Alles gut!" sagte der
Bischof zu Irlbach. „In gewisser Hinsicht werde ich vor meinem
heimkehrenden Neffen beschämt sein, aber ich habe noch eine Sorge. Wie
fesseln wir ihn? Er ist ein krausköpfiger Raufbold, auf der Bärenhaut
kann er nicht liegen, soll überhaupt Niemand liegen; wenn er hört, daß
der Schwede im Felde steht — Ihr wißt's doch? — geht er auf und davon.
Ich dachte ihm eins meiner Aemter zu übergeben. Was meint Ihr dazu?"
„Kauft mir Adelmanstein ab," sagte der Domherr, von einem raschen Einfalle ergriffen.
„Wie? das wollt Ihr missen?" rief der Bischof.
„Gefällt Euch das Stadtleben so? Es scheint Euch doch schlecht
anzuschlagen, Ihr werdet täglich elender."
„Ich habe eine große Reise vor," sagte Irlbach ungewiß, „will Rom, überhaupt Welschland sehen."
„Davon hör' ich zum ersten Male," versetzte der Bischof. „Aber den Vorschlag wollen wir noch besprechen."
Irlbach eilte nun, dem
Grafen von Sarosch Anna's Einwilligung zu bringen. Er fand ihn nicht
allein, Warhely war bei ihm und Beide schienen sehr
bewegt, was besonders den Letztern in eine
unbehagliche Stimmung setzte. Der Domherr entledigte sich seines
Auftrags, Graf Stephan hörte ihn mit auflodernden Blicken an, und
stockte in seiner Antwort. „Ich werde kaum oder vielmehr gar nicht Zeit
haben," sagte er endlich. „Seine Majestät sendet mich voraus, meine
Pferde stehen gesattelt. In der That, es wird mir unmöglich sein" — er
stockte wieder, doch ermannte er sich und sagte zu Warhely: „Nach Allem,
wie sich jetzt die Verhältnisse gestaltet haben, glaube ich mein
Versprechen nicht zu verletzen, wenn ich Dir des frommen Mannes
Vermachtniß übergebe; bringe es Deiner Schwester mit meinem letzten
Gruße!" — Er umarmte und küßte Warhely, dann stürzte er hinaus und wenig
Minuten später sah ihn der Domherr, den eine seltsame Sympathie
bewegte, schon zu Pferd sitzen. Warhely, der ihn begleitet hatte, kehrte
in das Zimmer zurück und Beide hatten noch eine lange Unterhaltung, in
welcher sich der Graf nach der Persönlichkeit und dem Geschlechte des
Freiherrn von Törring erkundigte.
Es war ein Eilbote des
Churfürsten von Brandenburg angekommen, welcher die Landung Gustav
Adolphs von Schweden auf deutschem Boden dem Kaiser gemeldet. Die Art,
wie diese Botschaft von dem Hofe aufgenommen wurde, schien alle Gemüther
über die Folgen zu beruhigen. „Wir haben halt wieder ein kleines Feindl
bekommen," sagte Kaiser Ferdidinand. Man sprach von
einem!„Schneekönig," der dem Adler Fehde entboten. Aber Weitersehende
ließen sich
dadurch nicht'irren und Wallenstein's Absetzung, die auf Aller Fürsten
Begehren kurz zuvor erfolgt war, schien für den neuen Krieg von
bedenklichem Einfluß. Auch säumten die Häupter der katholischen Parthei
nicht, Maßregeln zu treffen; in allen Richtungen gingen von Regensburg
Beauftragte mit wichtigen Sendungen ab. Zu diesen Boten gehörte der Graf
von Sarosch. Er hätte bei all' dem Zeit gehabt, den kleinen Umweg zu
machen, der ihn zu Anna führte, aber sein Herz, regte sich zu mächtig,
noch war der Moment nicht gekommen, in welchem er sich stark genug
fühlte, sie wiederzusehen, dazu gehörten noch Iahre, vielleicht der Reif
des Alters auf seinem Haupte!
Anna hatte mit Bangigkeit
auf ihn geharrt, sie athmete leichter als ihr Bruder ohne ihn erschien,
nur in Begleitung des Domherrn, welchen das Mißtrauen, daß Anna die
Documente vorenthalten werden könnten, niitgeführt.— „Hier bringe ich
Dir Dein Eigenthum," sagte Warhely gleich beim Eintritt. „Ich verlange
keine weitern Beweise, ja ich bitte, sie nicht sehen zu dürfen."—Aber
Anna öffnete das Siegel und fand, nächst einem Schreiben des Pfarrers an
sie, das seine letzten Mahnungen enthielt, das Zeugniß ihrer Trauung,
bekräftigt durch des alten Grafen eigene Unterschrift: Iury erkannte die
Züge der zitternden Hand und küßte sie ehrerbietig.
Der Domherr überließ die
Geschwister sich selbst, seine Rolle, die ihn glücklich gemacht hatte,
war ausgespielt, er schlich in das dichteste Dunkel des Haines, setzte
sich auf die Moosbank und gab seinen Gedanken,
seinen Gefühlen freien Lauf. Immer mehr bestürmten sie sein Herz, immer
deutlicher trat ihr Ausdruck auf sein Gesicht, er wehrte dem nicht, er
hatte keine Ahnung, daß er belauscht wurde. Und ein Augenpaar ruhte doch
schon lange mit Erstaunen, mit Antheil auf ihm. Endlich rief ihn eine
gedämpfte Stimme bei Namen. Er blickte auf — Himmel! Es war Törring.
„Was fehlt Dir? Du weinst, glaub' ich?" sagte der Angekommene, hinter welchem jetzt auch Eörse sichtbar wurde.
„Schlimme Augen, sie
thränen mir," stotterte Irlbach, aufspringend und ihn umarmend. „Gott
sei Dank, Du bist wieder da! Weißt Alles, nicht wahr? Sie ist hier, ihr
Bruder auch, sie haben sich versöhnt, die Documente liegen vor, Du bist
gerechtfertigt, Dein Glück ist gesichert. Komm nur, komm! Ieder
Augenblick ist verloren, den sie noch um Dich im Harme verlebt!" — Er
sprach so geflügelt, daß Törring gar nicht zu Worte kam, und zog ihn zum
Schlosse.
„Ich fand das Mädchen mit
meinem Kinde draußen," sagte Törring, „ich hörte, daß Anna hier wohnt,
daß Du ihr eine Freistatt gewährt hast — nimm meinen Dank, auch für
Deinen heimlichen Freundschaftsdienst!"
„Schweig doch, schweig!" rief Irlbach hastig. „Wo ist Dein Pferd?"
„Ich gab es ab, ich wollte
mein treues Weib überraschen, mit meinem Kinde vor sie treten," sagte
Törring. „Es ist ja, wie ich sagte, ich bringe nur
mich selbst zurück — schon unterwegs traf ich auf Dienstmannen des
Grafen, die nach Regensburg zogen, die beschworen mir des Pfarrers Tod
—"
Irlbach unterbrach ihn mit
den Nachrichten, die er ihm zu geben hatte. — „Gott! Ich danke Dir!"
rief Torring in höchster Freude. „So kann ich stolz vor den Mann treten,
der uns von einander reißen wollte! Mir geht ein neues Leben auf! Das
Kriegsbanner flattert wieder, ich habe Aussicht, meinem Weibe das Glück
zu erkämpfen, das ich ihr schuldig bin, nach dem ich so lange schon
jage!"
„Hinweg damit! Es liegt Dir so nah und Du
recognoscirest die Ferne," versetzte Irlbach. „Was soll aus Weib und
Kind werden , so D» in einer Affaire mortaliter blessirt wirst oder gar
fällst? Du bist ihr ein Glück schuldig, das Glück des Friedens.
Metamorphosire deshalb Deinen Degen in eine Pflugschaar."
Törring konnte nicht antworten, denn vom Schlosse
her flog ihnen mit glühenden Wangen, verklärt vom Sonnenlichte, die
junge Frau entgegen. Seliges Wiedersehen! Alles Leid war vergessen, sie
ruhte wiederum an dem treuen Herzen, sein starker Arm umfing sie; mochte
die Zukunft bringen, was sie wollte, vereint mit ihm trug sie Alles!
Aber die Zukunft drohte ja'nicht mehr, die Zukunft war licht und
glückverheißend!
Graf Warhely hatte es
nicht über sich vermocht, den Schwager, den er vor Kurzem noch bitter
gehaßt, zu begrüßen, er war Anna nicht gefolgt, sondern eilends zu
seinem Pferde gegangen und nach der Stadt
geritten. Erst spätern Tagen blieb es vorbehalten, eine Annäherung der
beiden Männer zu bewirken, aber die gleich stolze Sinnesart ließ sie
nicht weit gedeihen und die Abreise des Königs von Ungarn trennte sie,
ehe sie sich gegenseitig erkannt und befreundet hatten. Sie sahen sich
nie wieder, nur Anna erhielt zuweilen einen Brief von ihrem Bruder.
Der Bischof empfing seinen
Neffen mit offenen Armen. „Lassen wir Alles vor der Hand unerörtert,"
sprach er. „Die Zeit wird uns noch viel Raum dazu gestatten, denn Du
bleibst nun hier und ziehst Dein Schwert fortan nur zur Vertheidigung
Deines Heerdes. Den will ich Dir bauen. Keine Widerrede! Ist es etwa
Deinem Stolze zuviel, von dem alten Ohm, den Du doch beerbst, schon bei
Lebzeiten etwas anzunehmen, oder sehnst Du Dich in das wilde
Kriegstreiben, dessen Furie wieder auf unser armes Deutschland
losgelassen scheint? Das will ich zu Deiner Ehre nicht hoffen. Du hast
eine schwere Schuld an Deinem Weibe gut zu machen, das behalte immer vor
Augen."
Die wohlgemeinten Reden
wären fruchtlos gewesen, wenn nicht Anna ihre Bitten hinzugefügt, wenn
nicht die Liebe und das Bewußtsein, daß er Anna aus ihrer Heimath, aus
dem Ueberfluß und allen Freuden des Lebens gerissen habe und ihr Ersatz
schuldig sei, mächtig zu seinem Herzen gesprochen hätte. Wie strahlte
ihr seelenvolles Auge, wie innig schmiegte sie sich an ihn und bot ihm
die schwellenden Lippen, als er endlich zusagte, sich der friedlichen
Beschäftigung zu weihen! Irlbach war gerade zugegen, er sah mit düstern
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